Übers Fremdsein beim Reisen

Als ich eines Mor­gens, unter­wegs in frem­den Lan­den, beim Kaf­fee saß, fragte ich mich, warum ich das Reisen so liebe. Die Sonne stieg ger­ade über den Hügel und fiel wie zufäl­lig durch das Küchen­fen­ster. Sie ist mir eine treue Beglei­t­erin und ich erkenne sie, selb­st wenn sie nur durch die Wolk­endecke grüßt. Auf sie kann ich mich ver­lassen. Sie ist das Sym­bol mein­er Heimat, ich weiß jet­zt, dass ich zuhause bin im Son­nen­sys­tem. Umso mehr über­raschte mich meine Antwort.

Denn es geht dabei gar nicht um Vertrautes.

Es ist das Fremd­sein an anderen Plätzen. Nicht der andere Ort an sich, nicht das Meer oder die Berge, die Wälder oder Prärien, nein, es ist die Heimat­losigkeit, ohne Wurzeln, aus­geliefert dem Unberechenbaren.

Mit dieser Antwort hat­te ich nicht gerech­net. Es gibt mir das Gefühl, auf der ganzen Erde zuhause zu sein. Die Sit­ten und Bräuche mögen vielle­icht andere sein, aber jed­er, der mir begeg­net, ist ein Unbekan­nter. Sind es nicht nur ein­fach Gewohn­heit­en, die mir andere nur schneller ver­traut machen? Gewohn­heit­en, mit denen ich groß gewor­den bin: Die Sprache oder das Wiener Schnitzel, das ich esse, bei­des gibt mir ein Gefühl von Heimat.

Doch ist es nicht nur eine Illu­sion, die die Wahrheit ver­schleiert? Jed­er, der mir begeg­net, ist ein Unbekan­nter. Die Reak­tio­nen der Men­schen, wo ich aufgewach­sen bin, sind nur ver­trauter. Wahrschein­lich sind nur die Muster geläu­figer. Ist das nicht erschreck­end, dass nur einge­fahrene Mod­elle die Illu­sion von Nähe vortäuschen? Oder muss ich ein­fach nur weniger erk­lären, weil wir ähn­liche Voraus­set­zun­gen haben?

Woan­ders spreche ich mit Frem­den und wir suchen gemein­sam nach Verbinden­dem. Jedes Ken­nen­ler­nen ist ein Ver­traut­machen, eine Suche nach Gemein­samkeit­en, aber auch die Erken­nt­nis von Trennendem.

Oft behar­rte ich darauf, anders zu sein. Als mir das durch den Kopf ging, begriff ich erst, dass Ander­sar­tigkeit nur ein Kennze­ichen für unsere Einzi­gar­tigkeit ist. Ger­ade weil wir alle anders sind, gle­ichen wir uns nicht wie ein Ei dem anderen.

Das Beson­dere im Gegenüber:

Hin und wieder Verlorenheit
und Ein­samkeit ist der Preis,
den wir zahlen,
alle außergewöhn­lich zu sein.

Es sind zwei Seit­en ein­er Medaille: Bin ich ein­ma­lig, muss ich auch ein wenig exo­tisch, ander­sar­tig und auch fremd sein.

Doch warum füh­le ich mich manch­mal getren­nt von anderen? Sind es Nor­men, die sich in mein Hirn einge­bran­nt haben, die wie heilige Geset­zestafeln bei ihrer Übertre­tung Mel­dung erstat­ten? Jedes Mal, wenn ich den Kopf über andere schüt­tle, über­tritt der andere heim­lich eine mein­er Fix­ierun­gen. Ich zeige auf sie und sage: “Hast du den gese­hen?” und hoffe auf deine Zus­tim­mung, die mir sagt, dass mein Vorurteil richtig wäre. Doch ich bin nur vor­ein­genom­men und es bleibt nur meine eigene geistige Enge, die sich hier abze­ich­net. Ich übe, diese Rou­tine zu durch­brechen. Die Gren­zen sind fließend, das eine finde ich noch akzept­abel, das andere gehört sich nicht.

Viele von diesen Vorschriften habe ich im Kon­takt mit mein­er Mut­ter und ihren Mit­be­wohn­ern, anderen Alzheimer-Patien­ten, ver­loren. Selb­st sie wis­sen, was sich gehört, und es strengt sie an, wenn sie spüren, wie sie wegen man­gel­nder Funk­tion­stüchtigkeit verurteilt wer­den. Sie bleiben bei ihrer Sache, die für nie­man­den son­st noch wichtig ist oder Sinn ergibt. Wer sie abhal­ten will, wird mit Zorn bestraft. Sie waren meine Lehrer für Toleranz.

Reise, reise!

Reise, reise!”
Schön­er kann ich es nicht sagen.
“Reise, reise!”
Bess­er kön­nte mich nie­mand wecken.

Denn mit “Reise, reise” wer­den Matrosen der deutschen Marine auf See geweckt.

Meine Reise hat vor mehr als 50 Jahren begonnen, bewusst fing ich vor gut 40 Jahren an, mich in der Welt zu orten. Als pubertäres Gehabe hat­ten es meine Eltern abge­tan, doch die Krankheit wurde chro­nisch. Denn irgend­wie habe ich nie aufge­hört, mich immer wieder zu fra­gen, wer ich bin, wo ich ste­he, wohin ich will und wohin ich gehöre.

Mein Leben ist eine Reise, eine Fahrt zu einem ent­fer­n­ten Ziel, wie auch immer dieses Ziel definiert ist.

Ich mag die Weite.
Die Weite des Lan­des und
die Weite des Himmels,
die Weite des Denkens und
die der Fantasie.

So war mein Leben öfter ein Auf­bruch oder ein Unter­wegs­sein zu einem Ziel, als eis­ern in einem Hafen zu liegen. Auf­bruch, das bedeutete Reise im Althochdeutschen. Das Englis­che „Rise“ erin­nert eben­falls daran: In der Bewe­gung auf­steigen und wachsen.

Jene Zeit, in der ich still­stand und har­rte, weil die Ziele zu triv­ial, zu bürg­er­lich, zu lang­weilig war, habe ich nicht vergessen. Ich dachte, man dürfe nicht, schlim­mer noch: Ich dürfe nicht träu­men. Ich wollte endlich die Ziele mein­er Eltern erfüllen. Doch ich glaube, dass ich sie damit let­z­tendlich auch nicht glück­lich machen kon­nte. Denn als sie erkan­nten, dass ihr Träume und ihre Ziele mich nicht glück­lich macht­en, war ihr Glück plöt­zlich auch nicht mehr per­fekt. Auch war anson­sten nicht viel Platz für meine Träume, zu bieder war das Leben um mich herum.

Als sie sich auf den Weg in eine andere Welt macht­en, war meine Zeit gekom­men, mich eben­falls aufzu­machen. Immer wieder suchte ich die Stille, um zu sehen und zu ver­ste­hen, was mich glück­lich macht.

Das erre­ichte ich nicht, indem ich schaute, was andere unter­nah­men, oder kauften, um einen Lust­gewinn zu erzie­len. Ich begann ver­schiedene Dinge auszupro­bieren. Ich nenne es gerne meine Kindergartenzeit.

Tun, ohne zu urteilen, ausprobieren, ohne Schranken im Kopf, spielerisch Neues erfahren.

Kein von Außen gelenk­tes Empfind­en sollte mein Glück leit­en. Und es schlich sich von hin­ten her­an und plöt­zlich jauchzte ich inner­lich, weil ich mich über ein beson­deres Foto freute oder über einen Text, der mich tief berührte. Und fast hätte ich es vergessen, dass diese Momente während des Reisens beson­ders inten­siv war.

Nie habe ich nur annäh­ernd so viel Freude emp­fun­den, wenn ich etwas kaufte. Vielle­icht, wenn ich ein Bil­ly-Regal alleine zusam­men­schrauben kon­nte und nichts passierte, keine Schraube fehlte und die Nägel an der Rück­seite tat­säch­lich versenkt waren und nicht auf der Vorder­seite wieder her­vor lacht­en. Aber meine jahrzehn­te­lange Erfahrung zeigte sich und ließ mich schmun­zeln, denn heute ist es kein Kun­st­stück mehr für mich, ein Bil­ly-Regal alleine zusam­men­zuschrauben. Doch der Kauf selb­st machte mich nicht glück­lich, Kon­sum macht mich nicht glücklich.

Kaufen, besitzen, haben statt sein.

Als ich mit mein­er selb­st­bes­timmten Arbeit begonnen hat­te, war mein schlecht­es Gewis­sen ein ständi­ger Begleit­er. Egal wie oft ich sagte, ich habe genug zum Leben, ich brauche nicht mehr. Ich muss nicht ans Geld denken, wenn ich für andere etwas schaffe. Ich muss meine Lese- und Bil­dungs­förderungsweb­site nicht verkaufen. Sie ist mein per­sön­lich­er Protest gegen die man­gel­nde Ini­tia­tive der Poli­tik, mehr für Bil­dung zu tun. Lange brauchte ich, bis ich fest­stellte, dass viel mein­er Energie in die Über­legun­gen, wie ich damit Geld machen kön­nte, floß, als in die eigentliche Arbeit an Inhal­ten, an Pos­i­tivem. Ich wurde zu einem Ver­wal­tungsap­pa­rat. Anstatt zu tun, verf­ing ich mich in admin­is­tra­tiv­en Fes­seln. Von diesen beginne ich, mich wieder zu befreien.

Ich ver­stand, dass Geld mich nicht glück­lich macht, etwas zu tun sehr wohl. Natür­lich brauche ich Geld zum Leben, aber keine Unmen­gen und das habe ich. Vielle­icht gefällt mir mal etwas, aber richtig glück­lich werde ich, wenn ich etwas machen kann, ob es sin­gen ist, malen, schreiben oder fotografieren ist. Egal was. Es ist kein lautes Glück, es ist eine tief innen emp­fun­dene Zufrieden­heit.Die ganzen XYZ-Gen­er­a­tions­de­f­i­n­i­tio­nen finde ich lächer­lich, denn was zählt, ist nicht, ob die Norm ein­er Gen­er­a­tions­beschrei­bung einge­hal­ten wird, son­dern ob du deinen eige­nen Prinzip­i­en treu sein kannst. 

Das bedeutet nicht: „Werde ego­is­tisch“ son­dern „Bleib dir treu.“Und die Treue zu mir, ist niemals sta­tisch gewe­sen, son­dern war immer in Bewe­gung, immer wollte ich aus­pro­bieren, sehen, wie sich etwas anfühlt. Ich wollte immer tanzend die Welt ent­deck­en. Mein Leben ist eine Reise zu mir.

Und wenn manche Dinge nicht so liefen wie geplant, so war es nicht so schlimm, denn ich wusste, es bleibt nicht so. Es wandelt sich. Leben bewegt. Was andere als bedrohlich empfinden, ist mir ein Trost.

Im Gegen­teil: Men­schen, die anscheinend ganz genau wis­sen, was richtig sei, verun­sich­ern mich und genau­so die anderen, die Rat­ge­ber und Ratschläge verzweifelt suchen, um zu find­en, was gut für sie sein könnte.

Das Glück liegt im Abenteuer, sich selbst immer wieder neu zu entdecken.

Als ich nun meine Reisen zusam­menge­tra­gen hat­te (sie waren vorher auf jew­eils eige­nen Blogs), wurde das Fer­n­weh immer größer. Aber ich dachte auch inten­siv darüber nach, wie ich reisen möchte, wohin und wie lange. Ich fragte mich, ist es möglich mit nichts oder wenig oder mit etwas, das ich zuhause habe, eine Reise zu machen?

Kann ich eine Stunde in der Woche ein tatsächlich eine Reise unternehmen?

Eine Reise, wie ich sie ver­ste­he, unab­hängig und frei, gren­zen­los und offen.
Ich fragte mich: Ist es möglich, kleine Ziele für kleine Reisen zu find­en? Doch! Es ist.

Meine Micro-Reisen waren geboren!

Ich bin ges­pan­nt, wohin sie  mich führen und hoffe, ich kann dich ver­führen, nach deinen eige­nen Reisen zu suchen.

Don’t be scared to walk alone

Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber manch­mal höre ich etwas und mein Herz wird berührt. Als ich die Zeilen las:

Don’t be scared to walk alone.

Don’t be scared to like it.

Fürchte dich nicht alleine zu gehen.
Fürchte dich nicht, es zu mögen.

musste ich an meine Reisen denken.

Erst spät ent­deck­te ich das Reisen für mich. Ich hat­te zwar alleine Urlaub gemacht. Eine griechis­che Insel, wie ich es schon als junge Frau machen wollte, und nach 3 Tagen habe ich einen Koller im Hotel bekom­men und mir geschworen: So werde ich nie wieder Urlaub machen. Ich war ver­schreckt. Urlaub alleine, nichts für mich, dachte ich. Niemals wieder. Nach 3 Tagen schloß ich mich 2 anderen an, die einzi­gen anderen Allein­reisenden, und eben­so verza­gt wie ich. Das war das einzig tat­säch­lich Verbindende, auch wenn die Ober­fläche anderes erzählte.

Das war das erste und let­zte Mal, dass ich so reiste. Eigentlich war es nur ein klas­sis­ch­er Urlaub, nicht mehr. Inzwis­chen bin ich zur Reisenden gewor­den. Zur Ent­deck­erin. Füße ausstreck­en, in der Sonne liegen, faul sein, anderen Touris­ten nach zu hecheln, das ist nicht meines. Dazwis­chen habe ich mit Fre­un­den Urlaub gemacht und dabei fest­gestellt, Fre­unde für wenige Tage besuchen ist nett, mit Fre­un­den etwas ent­deck­en, macht Spaß, der faule Urlaub ist noch immer meines.

Es war ein langer, langsamer Weg zum Reisen. In Thai­land war es mehr ein Arbeit­saufen­thalt, wo ich 4 Wochen lang Thai-Mas­sage lernte. Noch immer von Angst durch­set­zt, so ver­loren, wie einst auf Rho­dos zu sein. In Thai­land traf ich reisende Frauen in meinem Alter. Und mein altes Mot­to kam zum Zug:

Wenn die das schaffen,
dann schaffe ich das auch” 

2 Jahre später war es soweit, ich erfüllte mir einen lebenslan­gen Wun­sch und fuhr nach Aus­tralien. Die Sehn­sucht ließ alle Vor­sicht weichen. Auch, dass Fre­unde den Beginn und das Ende der Reise umrahmten, nahm Angst. In den Wochen dazwis­chen war ich dann mehr oder weniger alleine unter­wegs und habe es genossen. Mit 48 ent­deck­te ich das Reisen für mich.

Das war 2009. Alive in the age of worry!

Das Zitat stammt aus dem Song von John May­er: Age of worry.

Wenn ich mich heute umse­he, dann sor­gen sich viele und meist völ­lig unbe­grün­det. Ich habe eine Angstübung mit ein­er kleinen Fre­undin gemacht. In der geht es nur darum, bei jed­er Furcht, die auf­taucht, sich zu fra­gen, ob diese real ist. Die meis­ten Äng­ste sind irre­al, so wie unser bei­der Angst vor Clowns. Nicht, dass damit jegliche Angst ver­schwindet, aber sie lässt sich leichter iden­ti­fizieren. Ich bekomme Übung zu erken­nen, ist die Angst real oder nur ein phan­tastis­ches Kon­strukt, der jede Ver­nun­ft entgegensteht.

Ich habe keine Angst mehr,
alleine vor­wärts zu gehen,
und ich liebe es.

JOHN MAYER LYRICS
“The Age Of Worry”

Close your eyes and clone yourself
Build your heart an army
To defend your innocence
While you do every­thing wrong

Don’t be scared to walk alone
Don’t be scared to like it
There’s no time that you must be home
So sleep where dark­ness falls
Alive in the age of worry
Smile in the age of worry
Go wild in the age of worry
And say, „Wor­ry, why should I care?“

Know your fight is not with them
Yours is with your time here
Dream your dreams but don’t pretend
Make friends with what you are

Give your heart then change your mind
You’re allowed to do it
‚Cause God knows it’s been done to you
And some­how you got through it

Alive in the age of worry
Rage in the age of worry
Sing out in the age of worry
And say, „Wor­ry, why should I care?“

Rage in the age of worry
Act your age in the age of worry
And say, „Wor­ry, get out of here!“

Suche nach dem Alten Europa

Die Aufre­gung stieg damals 2013, aber die Reise sollte anders ver­laufen als ursprünglich gedacht.

Ich plante sie, um mehr über meinen Vor­fahren zu erfahren und zwar jen­er Europäer, die zum ersten Mal diesen Kon­ti­nent betraten.

Wohin nur soll ich mit den Eindrücken,
wo ich in eine andere Welt eintauche.

Die Welt die Heimat und doch nicht Heimat ist.

Ich liebe kurze Aus­flüge in andere Wel­ten. Die Wel­ten sind vielfältig, egal ob Orte, Musik, Malerei, ein gutes Essen. Reisen ist eine Form, sich dem Uni­ver­sum zu öffnen.

Nach­dem mich die let­zten großen Reisen nach Aus­tralien und an die West­küste Nor­damerikas geführt hat­ten, wollte ich auch in Europa bleiben — in der Nähe mein­er Mutter.

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Zu den Beiträ­gen geht es hier lang.

Ich wollte dem näher kom­men, was die Men­schen, die als erste in Europa lebten, erfuhren. Es geht nach Frankre­ich. Dort gibt es viele Höhlen, die durch ihre Malereien und Fel­sritzun­gen berühmt sind. Ich bin ges­pan­nt, was es noch alles zu erzählen geben wird. Ich werde in die Dor­dogne fahren, um dort die let­zten Reste dieser Men­schen anzuse­hen, aber auch die Land­schaften auf mich wirken zu lassen, durch sie zogen.

Ich werde an meine per­sön­lichen Vor­fahren denken und an jene, die vor paar 10.000 Jahren aus Afri­ka nach Europa kamen. Die Reise wird ruhiger und besinnlich­er wer­den als frühere. Doch ges­pan­nt bin ich auch diesmal.

Uner­wartet und doch erwartet starb ver­gan­gene Woche meine Mut­ter. Sie wäre bald 81 gewor­den. Es wird also auch eine Reise wer­den, die ich ihr widme. Meine Mut­ter wird bei mir sein.

Alle Beiträge dieser Reise findest du hier.

 

Die Welt entdecken

Tja, leichter gesagt, als getan. Aber die Grund­vo­raus­set­zung, die ich für mich gefun­den habe, ist: Reise alleine!

Sobald ich mit anderen reiste, quatschte ich mit ihnen, redete meist wo immer ich war, richtete mich nach ihren Wün­schen. Das wurde so Teil von mir, dass ich viel später, als ich schon allein unter­wegs war, noch immer getrieben war.

Ich bin auf Urlaub, ich muss mich bewe­gen, ich muss vorwärts.

Anstatt mich ein­fach hinzuset­zen. Den Ort, der mir so gut gefällt, ein­fach sein lassen. Dies­mal will ich es bess­er machen. Dies­mal will ich sitzen bleiben, drei Stun­den, vier Stun­den und sehen, was passiert. Kann ich so mutig sein und kein Pho­to machen? Ver­ste­he ich es, die Span­nung im Still­sein zu fangen?

Ruhe ent­deck­en. Aben­teuer in der Regungslosigkeit aufspüren.

Welches Leben will ich leben?

Ich weiß, es ist Urlaub und nicht mit nor­malem Leben zu ver­gle­ichen. Den­noch beginne ich mich inten­siv zu fra­gen, wie ich wirk­lich leben will und wie ich dieses Leben auch ver­wirk­lichen kön­nte. Es geht nicht darum, nichts zu tun, es geht darum, etwas sin­nvolles zu tun.

Seit ich unter­wegs bin, geht mir die Ver­mark­tung, die auf den soge­nan­nten sozialen Plat­tfor­men nicht aus dem Sinn. Muss ich mich wirk­lich verkaufen? ist es wirk­lich nor­mal einen Men­schen wie eine Ware anzupreisen?

Ein­er schreibt als Titel­bild: “mir hat auch kein­er gesagt, wie man Kap­i­tal­ist wird!” Und ich denke mir nur, ich will das nicht wis­sen. Schon gar nicht, dass mir ein­er erk­lärt, wie ich dazu werde. Ich will ein Men­sch sein und das ist irgend­wie gar nicht so leicht. Ich will doch nicht wis­sen, wie ich zu ein­er bes­timmten Schublade werde. Und es ist mir egal, ob diese Schublade viel Geld bringt oder nicht.

Ob es die 200-Zeichen­welt ist, der man sich mit­teilt, oder 500 Zeichen, bizarr ist bei­des. Teilt man sich hier mit? Wird hier nicht vielmehr ein Bild, ein Image, ent­wor­fen, ohne es vielle­icht zu wis­sen, ohne sich dessen bewusst zu sein, oder vielle­icht noch schlim­mer, ohne es zu wollen? Aus welchem Zweck soll ich diese Medi­en ver­wen­den? Geht es nicht ein­fach nur darum, was andere von mir denken sollen? Doch was geben ein paar Wörter schon von mir preis? Es ist doch nur eine Annäherung an das, was wir sind.

Und immer wieder muss ich daran denken, wieviele mein­er besten Fre­unde nichts davon benutzen. Also darf ich mich hin­set­zen und ihnen schreiben. Und sie schreiben mir. Oder ich besuche sie, wie jet­zt Corinne. Ihr Englisch ist nicht so gut. Aber wir sind miteinan­der inten­siv verbunden.

Ein­mal las ich: “ich wün­sche den anderen das Dop­pelte von dem, was sie mir wün­schen” kam mir nicht in den Sinn, dass der­jenige davon sprach, dass andere ihm Gutes wün­scht­en. Nein, es war wie ein bös­er Fluch. Die anderen wün­schen mir bös­es und ihnen sei es mit dem dop­pel­ten ver­golten. Schlim­mer als “Auge um Auge, Zahn um Zahn”, denn das sollte der Blu­tra­che Ein­halt gebi­eten. Es stimmte mich trau­rig. Was so zynisch und selb­stzufrieden dahin gesagt war, und ich kenne den­jeni­gen, der das sagte, gut genug, um es so zu deuten, tut mir weh. Welchem Zweck dient dieser Sarkasmus?

Lustig ist, dass ich erkenne, dass ich mich nicht so wichtig nehme, dass sich jemand x‑beliebiger die Zeit nimmt, mir irgen­det­was zu wün­schen. Dafür bin ich mir sich­er, dass mir meine Fre­unde das Allerbeste wün­schen, so wie ich ihnen. Die anderen mögen mir verzei­hen, ich glaube, ich bin abso­lut egal für ihr Leben. Und wenn ich der Rede Wert bin, dann inter­essiert es mich eigentlich nicht. Was soll ich mit der Mei­n­ung mir fremder Men­schen anfan­gen, die mich entwed­er nicht mögen oder vielle­icht gar nicht ken­nen. Was soll ihre Mei­n­ung mir über mich aussagen?

Allein unter­wegs zu sein bedeutet auch, viel Zeit zu haben, über das, was mir begeg­net, was ich lese, nachzu­denken. In einem frem­den Land unter­wegs zu sein nochmal mehr. Und wenn ich die Sprache nicht spreche erst recht.

Sind mir die Blicke in Öster­re­ich wirk­lich so ver­traut, dass ich in ihnen Lesens kann? Klar weiß ich, dass ich hier in Frankre­ich auffiel, wenn ich in der Apparte­men­tan­lage unter­wegs war, wo son­st nur Paare und Fam­i­lien waren, doch war dies leichter auszuhal­ten, als jeden Tag allein in einem Hotel zu sein.

Oder bin ich mir vielle­icht der Indi­vid­u­al­ität so bewusst, dass mir sehr klar ist, dass ich nicht ein­er Gruppe zuge­hörig sein kann. Eine Gruppe ist dadurch gekennze­ich­net, dass sie sich von anderen unter­schei­det, sie tren­nt. Grup­pen sind definiert, was sie verbindet: Durch das, was wir arbeit­en, wo wir leben, ob am Land oder in der Stadt, wo wir herkom­men, was für Aus­bil­dung wir erhal­ten haben, wie wir unsere Freizeit ver­brin­gen, was für Hob­bys wir haben. Und es geht weit­er, was wir anziehen, welche Frisur wir haben, was wir essen, wie wir unseren Urlaub ver­brin­gen. Die Basis der Vorurteile.

Das alles weist uns ein­er Schublade zu. Je mehr wir mit dieser Box verbinden und je genauer wir es definieren, um so bess­er ist unser Vorurteil definiert. Diese Box­en wer­den dann miteinan­der verknüpft und fer­tig ist ein bes­timmtes Bild.

Kurz durchge­spielt, funk­tion­iert es ganz leicht an Hand von Berufen: ein Bib­lio­thekar ist … Ein Jour­nal­ist ist … Ein Kün­stler ist.… Oder Öster­re­ich­er, Deutsch­er, Fran­zose, das ganze noch weib­lich und die Vorurteile sprießen nur so heraus.
Ich lade jeden ein, dieses Spiel für sich durchzus­pie­len. Da tun sich Wel­ten auf. Mit ein­er sim­plen Beze­ich­nung wird unglaublich viel verbunden.

Also ist es ganz leicht, diesem Bild nicht zu entsprechen. Nur eine Eigen­schaft, die wir ganz eng damit verbinden und der­jenige fällt aus der Rei­he. Es sind keine Grup­pen, denen du wie einem Vere­in beitrittst, nein es ist die Struk­turierung, die wir als Vere­in­fachung unseres Lebens ver­wen­den. Sie ist zu ver­führerisch, um sie nicht zu benutzen. Sie ist auch notwendig, denn wenn alles immer neu und unge­wohnt ist, bedeutet es auch eine ständi­ge Aufmerk­samkeit, aber auch Anstren­gung und Aufre­gung. In einem gewis­sen Umfang ist das ganz wun­der­bar und fein, doch gibt es Gren­zen. Wenn du wie ein Men­sch, der an Alzheimer erkrankt ist, jeden Tag deinen Schlüs­sel aufs Neue suchst, dann wird es dich verzweifeln lassen.

Hier bin ich wieder an jen­em Punkt, wo ich immer bess­er ver­ste­he, was mit dem mit­tleren Weg der Bud­dhis­ten gemeint ist. Es ist nicht Schwarz oder Weiß. Ich mag es auch nicht wie Bil­ly Joel “shad­ows of grey” nen­nen, nein, es soll ein bunt wie ein Regen­bo­gen sein, alle Far­ben enthal­ten und dadurch jedes beliebige Bild entste­hen lassen, sei es ein lustiges oder ein trau­riges, ein stilles oder ein lautes. Und manch­mal wird es schwarz sein und manch­mal weiss. Es ist nicht nur ger­adeaus, aber auch nicht nur ver­winkelt. Es ist min­destens beides.

Das Leben enthält alles und wir Men­schen sind mehr, als uns klar ist. Was wir hier brauchen ist, die Ein­sicht, dass es mehr gibt. Diese Erken­nt­nis hil­ft uns offen­er zu sein und die Vari­a­tio­nen des Lebens zu sehen.