Als ich eines Morgens, unterwegs in fremden Landen, beim Kaffee saß, fragte ich mich, warum ich das Reisen so liebe. Die Sonne stieg gerade über den Hügel und fiel wie zufällig durch das Küchenfenster. Sie ist mir eine treue Begleiterin und ich erkenne sie, selbst wenn sie nur durch die Wolkendecke grüßt. Auf sie kann ich mich verlassen. Sie ist das Symbol meiner Heimat, ich weiß jetzt, dass ich zuhause bin im Sonnensystem. Umso mehr überraschte mich meine Antwort.
Denn es geht dabei gar nicht um Vertrautes.
Es ist das Fremdsein an anderen Plätzen. Nicht der andere Ort an sich, nicht das Meer oder die Berge, die Wälder oder Prärien, nein, es ist die Heimatlosigkeit, ohne Wurzeln, ausgeliefert dem Unberechenbaren.
Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Es gibt mir das Gefühl, auf der ganzen Erde zuhause zu sein. Die Sitten und Bräuche mögen vielleicht andere sein, aber jeder, der mir begegnet, ist ein Unbekannter. Sind es nicht nur einfach Gewohnheiten, die mir andere nur schneller vertraut machen? Gewohnheiten, mit denen ich groß geworden bin: Die Sprache oder das Wiener Schnitzel, das ich esse, beides gibt mir ein Gefühl von Heimat.
Doch ist es nicht nur eine Illusion, die die Wahrheit verschleiert? Jeder, der mir begegnet, ist ein Unbekannter. Die Reaktionen der Menschen, wo ich aufgewachsen bin, sind nur vertrauter. Wahrscheinlich sind nur die Muster geläufiger. Ist das nicht erschreckend, dass nur eingefahrene Modelle die Illusion von Nähe vortäuschen? Oder muss ich einfach nur weniger erklären, weil wir ähnliche Voraussetzungen haben?
Woanders spreche ich mit Fremden und wir suchen gemeinsam nach Verbindendem. Jedes Kennenlernen ist ein Vertrautmachen, eine Suche nach Gemeinsamkeiten, aber auch die Erkenntnis von Trennendem.
Oft beharrte ich darauf, anders zu sein. Als mir das durch den Kopf ging, begriff ich erst, dass Andersartigkeit nur ein Kennzeichen für unsere Einzigartigkeit ist. Gerade weil wir alle anders sind, gleichen wir uns nicht wie ein Ei dem anderen.
Das Besondere im Gegenüber:
Hin und wieder Verlorenheit
und Einsamkeit ist der Preis,
den wir zahlen,
alle außergewöhnlich zu sein.
Es sind zwei Seiten einer Medaille: Bin ich einmalig, muss ich auch ein wenig exotisch, andersartig und auch fremd sein.
Doch warum fühle ich mich manchmal getrennt von anderen? Sind es Normen, die sich in mein Hirn eingebrannt haben, die wie heilige Gesetzestafeln bei ihrer Übertretung Meldung erstatten? Jedes Mal, wenn ich den Kopf über andere schüttle, übertritt der andere heimlich eine meiner Fixierungen. Ich zeige auf sie und sage: “Hast du den gesehen?” und hoffe auf deine Zustimmung, die mir sagt, dass mein Vorurteil richtig wäre. Doch ich bin nur voreingenommen und es bleibt nur meine eigene geistige Enge, die sich hier abzeichnet. Ich übe, diese Routine zu durchbrechen. Die Grenzen sind fließend, das eine finde ich noch akzeptabel, das andere gehört sich nicht.
Viele von diesen Vorschriften habe ich im Kontakt mit meiner Mutter und ihren Mitbewohnern, anderen Alzheimer-Patienten, verloren. Selbst sie wissen, was sich gehört, und es strengt sie an, wenn sie spüren, wie sie wegen mangelnder Funktionstüchtigkeit verurteilt werden. Sie bleiben bei ihrer Sache, die für niemanden sonst noch wichtig ist oder Sinn ergibt. Wer sie abhalten will, wird mit Zorn bestraft. Sie waren meine Lehrer für Toleranz.