Abenteuer

Abenteuer sind geil. Auch wenn ich sie meist nur in homöopathischen Dosen geniesse, aber das ist nichts gegen die Jahrzehnte, in denen es gar keine Abenteuer in meinem Leben gab.

Ich selbst fand mich als Teenager nicht besonders abenteuerlustig. Im Rückblick sieht es anders aus. Jungen Menschen, die meine Kinder sein könnten, erzähle ich hin und wieder, was ich erlebte, als ich in ihrem Alter war. Sie wollen doch ermahnt werden, ein klein wenig verrückter zu sein und nicht nur eindimensional auf ein unkalkulierbares Übermorgen hinzusteuern. Und manchmal geht es nur darum, wieder einmal herzlich über sich selbst lachen zu können.

Als ich, 18 Jahre alt, mit einer Freundin in Korsika auf Urlaub war, entschlossen wir uns spontan doch noch 2 Tage länger zu bleiben, obwohl das Budget absolut aufgebraucht war. Wir hatten die Karten für die Fähre und für den Zug. Klingt gut, meinen Sie?  Na ja, von der Fähre waren wir 100 km entfernt und sobald wir das Meer überquert hatten, fehlten uns immer noch 150 km bis Florenz. Wir ernährten uns von Zuckerpäckchen, die wir umsichtig Tag für Tag beim morgendlichen Kaffee mitgenommen hatten. Aufmerksame Männern halfen uns mit Nahrungsmittel aus, als sie sahen, wie wir mit feuchten Fingern den Zucker in unsere Münder beförderten. Aber das ist eine andere Geschichte. Korsika war uns gut gesonnen, wir wurden nicht nur zur Fähre transportiert, sondern bekamen noch Berge und Nordküste gezeigt, und wurden auf ein formidables Abendessen eingeladen. Am nächsten Nachmittag erreichten wir Piombino, es dämmerte bereits, ein alter Mercedes hielt und nahm uns mit. Als wir hinten auf der Rückbank saßen, stellten wir fest, dass wir auf einen Kopf mit kurzgeschnittenen Haaren und bulligen Nacken schauten. Vorurteile? Wir doch nicht, er hat uns mitgenommen. Er hat unseren Wunsch erfüllt. Als wir jedoch das Loch in der Windschutzscheibe sahen, dass einem Einschuß verdammt ähnlich sah, wurde die Stille im Innenraum hörbar. Zumindest ich konnte mein Herz laut klopfen hören. Damals wurde monatlich „Aktenzeichen XY … ungelöst“ ausgestrahlt, eine Sendung, in der mit Hilfe von Zuschauerhinweisen, Täter überführt wurden. Ich weiß nicht, ob Sie mir glauben, aber jedes 2. Verbrechen fand in einem typischen XY-Wald statt, durch den schnurstacks eine einsame Straße verlief. Dort wurden regelmäßig Frauenleichen gefunden. Auf einer solchen Straße befanden wir uns auch, als das Auto stehen blieb und sich dieser gefährlich aussehende Mann umdrehte und fragte, ob wir zu seinem Haus mitkommen wollten. Wir lächelten freundlich, verneinten, stiegen aus und fürchteten uns, weil wir nicht wußten, ob wir von dieser abgeschiedenen Straße jemals wegkommen würden. Kurze Zeit später hielt ein Mailänder, der uns bis zum Bahnhof brachte. Er nahm einen Umweg über Florenz, weil er sich Sorgen machte und seine Freundin in unserem Alter war. Er hoffte, seine gute Tat würde auch Schutz für sie bedeuten. Er hatte gutes Karma angehäuft.

Doch Geschichten will ich sammeln, auch heute noch. Ich war und bin abenteuerlustig. Ich lernte Gefahren einschätzen und gelegentlich habe ich auch später einen Autostopper mitgenommen. Die letzte war Laura. Ihr Vater war Italiener, weshalb sie so oft fror, sagte sie. Getroffen hatte ich sie an einem verregneten Tag auf Vancouver Island. Es war Juli, Hochsommer und sie trug einen Daunenanorak. Ihre Mutter gehörte zu den Ahouat, einer der First Nations in Canada. Ich erzählte ihr von dem Weisskopfadler, den ich gesehen hatte und sie mir, dass dieser das Totemtier ihres Stammes war. Bei jedem Begräbnis zog ein Adler seine Kreise über die Trauernden, wirklich bei jedem, versicherte sie mir. Aus diesem Grund hatte sie begonnen, zu den Elders, zu den Stammesältesten, zu gehen, sie wollte lernen, was sie versäumt hatte über ihre Vorfahren zu erfahren. Sie hatte erwachsene Kinder, 2 Jobs, die 35 km auseinander lagen und kein Auto. Ja, und die Seeschlange war ebenfalls eines ihrer Totemtiere. Sie war stolz auf ihre Kinder, einer war bei den Kanadischen Mounties und eine Krankenschwester. Ich brachte sie heim und schenkte ihr mein Zelt und meinen Kocher und sie mir die Adresse eines Motels, bei dem sie vor Jahren putzte.

Inzwischen kenne ich auch andere Natives oder Indigenes. Indianer darf man ja nicht mehr sagen.

Ich lerne durch Abenteuer. Ein Risiko einzugehen, ist nicht nur gefährlich, sondern bringt Gewinn. Ich bin aufmerksamer, gewinne Sicherheit auch durch Unsicherheit. Abenteuer öffnen neue Türen.

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