ruth barbara lotter
bilderbuch für große
„blue night dreams“ weiterlesen
Der Gedichtband „nia z’viel gfühl“, im Tirolerischen Dialekt geschrieben, erschien 2005.
Vor vielen Jahren sagte jemand zu mir, ich sei nicht sehr emotional, ich hätte nicht so viel Gefühl wie er. Ich vertraute diesem Mann. Er war nicht der einzige. Nur wusste ich nicht mehr, was wahr ist und was nicht. Das, was er sagte oder das, was ich fühlte.
Später sagte jemand anders zu mir, wie gemein es sei, dass ich jetzt auf mich hören will und mir egal wäre, was andere zu mir sagen.
Es war der einzige Weg, den ich sah, meinen eigenen Gefühlen zu trauen, denn vieles, was mir andere sagten, wie ich fühlen würde, war falsch. Gefühle sind nicht falsch, doch sind sie in stetigem Fluss.
Ich wollte in meine Seele schauen, mich neu entdecken. Das ist der Grund, warum ich diese Gedichte schreiben musste.
Daraus entstand diese Sammlung.
Du kannst sie auch als Buch erwerben, oder als mp3 oder als CD. Schreib mir einfach!
eigentlich hab i dacht,
s‘ hat alles sei ordnung
i hab gwußt, wann i aufsteh und wann i mi niederleg
i hab gwußt, wer ma wichtig isch
und hab dacht, i woass, was morgen kimmt
und eigentlich hab i dacht,
s‘ hat alles sei ordnung
es schenste isch,
dass i bei mia bin
dass ma koana einiredn kann
dass i spiar, was i will
dass i nimma hirnwichs, wenn’s um mi geht
i trau mi ans leben
ans schene und schiache,
da darf’s mi zerreissn und in alle schtickln fetzn
denn danach wachs i zsammen
wia a neia mensch
und i werd reicher und schener
und mutiger und stärker
s’leben lasst mi von vorn anfangen,
wia a kloans kind,
des nit woass, was kimmt
i frag mi,
wia ma was zrucklassn kann,
wenn ma nit exischtiert
ma isch wia da anfang
und wie’s end von der welt
koa vor und koa zruck
manchmal bin i ganz groß und stark
da kann ma koana
da kann i bam ausreissn
ana welln widerstehn
da bin i stark
manchmal bin i kloan und so verletzlich
da reicht a lufthauch
und i glab, i bin nimma da
wia a bliamel, des ma ausreisst
und glei verbliaht
manchmal hab i’s gfühl
es gibt koa rätsel mehr
und zglaich isch alls a rätsel fia mi
da kannt’s bis in alle ewigkeit dauern
und geschtern vorbei gwesn sein
s’kannt alls so leicht sein
und trotzdem isch’s so schwierig
du woasch,
dass es leben manchmal a so a plag isch
und du moansch,
wenn di nur ducksch, geht alls vorbei
o doch, i schluck scho,
und du kannsch’s ruhig wissen,
wenn i beim gschichtln druckn schluck,
weil i an schmäh fiar,
denn kennen hab i des nia – s’gschichtl druckn.
bisch der erste, der’s schlucken hert.
die andren haben nit amoal ghert,
wenn i was gsagt hab, wenn i’s gschrien hab
und s’rearn hamm’s erscht recht nit ausghaltn
und gsagt hamm’s, i soll’s lassen.
des warum hat dann koan mehr intressiert.
fascht hätt i’s denen glabt,
dass i nia was gsagt hab.
des schtimmt aba nit.
seelenfrau –
i kann nit sagn
was des hoasst für mi
i spiar’s ganz leise
und woaß ganz genau
ma kannt’s mit zerbrechlichkeit verwechseln
aber des bin i nit
seelenfrau –
i kann nit sagn
wia i no sagn kannt dafia
es zittert in mia
und es macht mi ganz stark
a wenn’s glabt’s
da schmerz macht mi schwach
seelenfrau –
i kannt nit sagn
ob i des bin
denn no bin i dabei z’lernen
nit lei eich z’spiarn, sondern a mi
z’lang war i gwohnt so z’lebn
und heit woass i, des war falsch
seelenmensch –
i kann nit sagn
was des isch
i denk ma lei
es schteckt in uns alle drein
zum vorwärts gehn, ghert a mut dazu
dann kemm ma uns traun, unser seel anzuschaun
was macht di glabn,
dass mei verletzlichkeit a schwächn isch?
mit der verletzlichkeit spiar i mi
aba a di und alle andern, de i spiarn mecht
mit der verletzlichkeit woaß i,
dass andre a oane ham
mit der verletzlichkeit geh i auf eich zu
und woaß, i leb
s’letschte jahr war a aufregends jahr
i war alloan und plötzlich sein so viel leit auftaucht
hättesch mia erzählt,
dass a end so viel schenes bring,
i hätt nit soviel angscht ghabt
kannsch du’s a riachn?
des was dauernd passiert auf dera welt…
nit lei da dreck und die stoana,
mei hilflosigkeit kann ma gstohln bleibn
und da steh i da und s’stundenglasl rennt
und s’rennt imma gschwinda
lebsch no
bisch scho toat –
oda boads –
oda koans?
was soll i da dazähln?
bei allem was fragsch
sein deine antwortn scho längscht in dia drein
angscht isch allaweil a gfängnis
des mia geschtern baut habn
und mia lassn sie s’lebn beherrschn
und fia heit und fia morgen
legt de angscht uns gwaltige fessln an
i bin z’tiefscht verletzt,
i hab di so gliebt, so wie du bisch
i hab’s beschte in dir gliebt und a des schlechte
i hab des gliebt, was du a no sein kanntesch
i hab deine schlechten seiten gnommen und ghofft,
dass dei herz und mei liab dir zoagt,
dass die liab der weg isch für a bessre welt
i hab mi teischt
erinnersch di no,
wia i gsagt hab,
dass wörta nix sein
weil hearn mecht,
wia’d was sagsch
weil i segn mecht,
wie’d was sagsch
und jetzt steh i da
und alles was ma bleibt
sein wörta
kannsch di no erinnern
an den tag, wo’s das herz zerrissen hat?
da hat da teifl dei herz gnommen
und hat zogen in alle richtungen
und s’hat so unendlich weah tan
du sagsch, du fühlsch di wie a fremda
und du vergisch dabei, dass du’s bisch,
der wie a fremder isch
geschtern bin i aufgwacht
wia nach oana schiachn nacht mit donner und blitz
wo da morgen ganz kloar isch
da himmel blau und sauba
lass da erzähln
i hab an menschn troffn
mia ham an unsere herzn griaht
no heit kann i sei umarmung spiarn
i hab von gfühle gsprochn
mia haben davon tramt auszubrechn
in de monat warn mia uns so nah und doch so fern
da war a angst, mia wurdn nia a paar
da denksch oft nach
was die liab isch
und übersiegsch
dass sie eh da isch
rund um di
im Dialekt und auf Hochdeutsch
mit jedem du kimmt was neis
und jedes neie isch a sterndl,
des aufgeht am horizont.
des kann da niemand nehmen,
nur du kannsch’s vergessen.
des sein deine sterndln
und du bisch der meischter
über dein sternenhimmel
und vergiß nit, jed’s sterndl
macht dein himmel heller und schener und leichtender.
geh aussi und sammel deine stern
polier sie und putz sie, sei guat zu ihnen
und wenn oana geht, wird a neier kemmen,
und der alte wird nachstrahlen
als erinnerung in deim herzn.
und dei herz wird heller
und schener
und leichtender.
vergiß des nit, des isch dei leben,
des du zum leichten bringsch.
wenn i was sag,
dann kannt’s sein, dass in 567 tag jemand kimmt
und sagt, du hasch aba gsagt vor 567 tag
du erzählsch mia sachen und i hear dia zua,
da sein luschtige gschichtn und i schau da ins gsicht
und woass,
da sein no ganz andere gschichtn
des dings mit dia,
isch es beschte was ma passieren hat kennen
was anders als a dings tat i jetzt a nit aushalten
i miassat rennen, wenn’s was anders war als a dings
i woass zwar nit, was des dings eigentlich isch
aba i woass, es lasst mi atmen
i woaß nit,
wieso i woaß, was du brauchsch, a wenn’d nit da bisch
und wenn i di verwirr,
mach da nix draus.
i verwirr mi selber oft gnuag.
nua i bin’s gwohnt und du nit.
es isch koa unruah nit
des isch a aufregung
de durch mi fahrt
wenn’d neben mia liegsch
i kannt stundenlang nua dasitzn und schaugn
wia du was machsch
i kannt tagelang nua dasitzn und schaugn
wia du mit leit redsch
i kannt wochenlang nua dasitzn und schaugn
wia du schlafsch
geschtern hab i den mond angschaut
und hab aufghert zum denken
dass i di näxschte wochn nit segn kann
dass i dei lächln a nit segn werd
i hab aufghert zum denken,
dass i mi an di gewehnt hab.
sonnenaufgang
deine lippn suchn meine
schmecksch wia siass
kann nit aufheren
nia vergessn
nur lippn
trau mi nit mehr
halt nit mehr aus
nur a bussl
wenn i in deine augn nur a sekundn einischaug,
bin i betrunkn
als ob i’s ganze meer austrunkn hat
i mecht blind sein,
um die liab, de i fühl, z’segn
i mecht taub sein,
um die liab, de ich brauch, z’hearn
Endlich habe ich meine Gedichte aus einer dunklen Zeit veröffentlicht.
Es ist eine besondere Herausforderung, meine Traurigkeit offen stehen zu lassen. Wie viele Menschen gibt es, die verstehen, dass es Zeiten gibt, wo sie immer mitschwingt, sie mein ständiger Begleiter war?
In sieben mageren Jahren, die mit dem Tod des Vaters begannen und mit dem der Mutter endeten, kamen Wörter zu mir. Heute scheinen die Schatten von damals verschwunden. Inzwischen wurden sie ein integraler Bestandteil. Abschied zeichnete diese Zeit meines Lebens auf vielfältige Weise.
Ich sammelte Wörter.
Wörter halfen zu überleben.
Eines Tages stellte ich fest, dass vieles in der Tiefe schlummerte, bis die Kraft zum Wachsen erreicht war, die ersten Triebe auftauchten und ließen mich wie eine Pflanze wieder dem Licht zustrebte.
Ich will die dunklen Zeiten nicht vergessen, sie sind ein Teil von mir, wie die heiteren auch.
Bestellen kannst du sie direkt bei mir. Schick mir einfach eine Nachricht.
ich falle durch ein endloses Universum.
kann nicht sehen,
wo es beginnt und wo es endet.
ich fliege als Wolke,
die niemand berühren kann.
manchmal unsichtbar, nicht existent.
ich fliege über Berge.
das wildeste Gewitter versucht,
meine Tränen als Hagelkörner niedergehen zu lassen.
ich fliege als Wind,
über das Meer mit nichts, um mich anzuhalten,
und trinke eine neue Flasche mit frischen Tränen.
ich fliege über die Wüste,
die Hitze brennt
und ich hoffe, ich vergehe.
auf der sinnlosen Suche
wie ich vernichten könnte,
was ich fühle.
ich frage mich,
woher all die Tropfen fallen,
die über meine Wangen gleiten?
ist es meine Wolke,
die sich aus dem bildete,
was ich vergessen wollte?
oder sind es unser aller Träume
die nicht mehr wussten,
wie sie zu träumen sind.
all das Verdrängte stieg zum Himmel,
und die Wolke wurde dichter und dunkler,
bis der erste Tropfen fiel.
als ich zu weinen begann,
wusste ich nicht mehr,
wann ich je wieder aufhören würde.
und nun weine ich,
weil ich nichts anderes weiß,
bis die Wolke geleert und das Meer gefüllt.
langsam lerne ich,
in meinen Gefühlen zu schwimmen,
ich treibe darin, um dann wieder aufzutauchen,
und gebe allem Vergessenen,
das verloren war,
einen Raum der Geborgenheit.
meine Tränen von heute,
sind mein Regenbogen.
sie bringen Farbe in mein Leben,
trösten mich, wenn ich traurig bin.
sie fallen in die Tiefe
des gefrorenen Lächelns von gestern.
sie springen in Kaskaden über meine Wangen,
wenn das Lachen mich überfällt.
ich lasse sie fließen,
weil ich meinen Schmerz sehe.
sie, die wie Tautropfen entstehen,
um alte Erinnerungen mit frischem Wasser zu beleben.
ich bin ganz nah bei mir.
da, wo alles seinen Anfang nimmt
und alles enden wird.
da, wo nur mein Gefühl zuhause ist,
da ist soviel Wunderbares,
aber auch so viel Schmerz.
langsam bekomme ich eine Idee,
wer ich bin,
ohne Mantel der Verleugnung.
ich bekomme Angst,
dass ich nicht mehr weiß,
was tun. die Stimme bricht.
warum nur schmerzt so Vieles,
an diesem Platz ohne Worte,
im Meer der Gefühle?
es geht tief hinunter
in ein unbekanntes Land,
das klarer nicht sein könnte.
die Erinnerung an dieses Land
wurde mir ausgetrieben,
als ob es böse wäre.
es ist so ungeheuer gewaltig.
es ist so unendlich klein.
alles und nichts.
ich bin es nicht mehr gewöhnt
so zu spüren.
noch immer schnapp ich nach Luft.
ich versuche, mit dem Wind zu sprechen,
er berührt mich,
er singt für mich
ein Lied der tausend Blätter,
mit jedem Blatt eine andere Geschichte,
während ich meinen geheimsten Schmerz flüstere.
ich versuche mit dem Wind zu spielen,
er tanzt mit mir,
er spielt mit mir
das Spiel der tausend Blätter,
mit jedem Blatt eine andere Geschichte,
während mein Schmerz sich in seinem Atem verliert.
ich hatte meine Unschuld verloren,
und sie kam zurück,
als ich bereit war.
ein riesiges Universum der Weisheit
und ich habe ein Teil berührt
als meine Unschuld ein Teil von ihr wurde.
wenn ich versuche, einfach zu sein,
obwohl und gegen alles, was ich je sah,
dann finde ich die Reinheit des Lebens.
mit dieser Unschuld kann ich offen sein,
kann sehen, dass alles richtig ist,
auch wenn ich es nicht verstehe.
jungfräulich bin ich Teil des Universums,
heller und schöner
berührender und zarter.
das ist, was ich probiere.
als ich es wagte, dich zu treffen,
sah ich eine Göttin.
ich bestaunte deine Schönheit
und verstummte, um deine Weisheit zu sehen.
still verneigte ich mich tief.
aber deine Mutter sagte mir,
ich soll mit dir tanzen.
du bist so wunderbar.
ich wage es kaum, dich anzusehen.
wie sollte ich da tanzen?
leise fingst du zu lachen an,
ansteckend,
und ich lachte mit dir.
ich wusste nicht warum,
demütig, verlegen, scheu.
du sagtest:
ich bin nicht mehr
und auch nicht weniger als jeder von uns
gib mir deine Hand
und tanze.
die Göttin nahm meine Hände
und wir begannen uns zu drehen.
während ich sie anblickte,
begriff ich,
dass wir die Welt umarmten.
Jetzt steht sie still,
die Zeit.
nach Wochen,
wo jede Umdrehung
etwas Neues brachte,
ist es still.
am Morgen krähte ein Rabe
und kündigte das Schweigen an.
wann wird sich die Starre lösen?
noch sehe ich kein Ende.
bewegungslos
warte ich auf das Unaufhaltsame,
harre dem Unwiederbringlichen,
suche den stetigen Wandel.
noch steht sie still,
die Zeit.
50 Tage, 50 Textschnipsel später beende ich die Vorschau.
Ich habe ein Bilderbuch aus diesen Texten und Bildern zusammengestellt:
Marie, 56 Jahre alt, Künstlerin, genauer gesagt Malerin, seit kurzem.
Aus dem Beruf ausgestiegen und frisch verliebt, muss sie nach Norwegen, das Haus von Freunden hüten. Ein Monat lang verbringt sie nur mit Buddy, dem Hund der Freunde, und sich. Ihre täglichen Pflichten beschränken sich auf Blumen gießen, hin und wieder Rasen mähen, ein wenig ernten und den Hund spazieren führen.
Ansonsten genießt sie die langen Tage und die andersartige, fremde Luft, die die Arbeit an ihren Bildern belebt. Sie liebt das Licht des Nordens.
Viel Zeit um nachzudenken, über ihr Leben, ihre Erfahrungen, Wünsche und Träume. Sie schreibt Luke Briefe, ihrer neuen Liebe, über ihre Sehnsucht nach Liebe, ihre Trauer und Lust. Geschichten über den Tod, über andere Männer und das Universum.
Ganz und gar.
Schon immer.
Ich bin doch viel zu alt, um so zu lieben.
Wie konnte ich nur der Liebe so verfallen.
Die Liebe auf den ersten Blick gehört der Jugend.
Und doch.
Nein, ich liebte dich vor der Zeit und werde dich lieben nach der Zeit.
Die Woge von Sicherheit,
auf der wir zu schwimmen glauben,
gibt es nicht.
Und wenn wir hundert Mal um dieselbe Uhrzeit aufstehen, den immer gleichen Fuß als erstes aus dem Bett strecken, kann am hundertundersten Tag alles ganz anders sein.
Davor fürchte ich mich. Manchmal.
Gewissheit ist nur eine Illusion.
Bitte verzeih mir, dass ich von Unsicherheit geplagt werde. Wie kann ich nur an dir zweifeln? Und doch, nichts einfacher als das. Angst, dass du wegrennst, wenn dein Bild von mir nicht mit dem übereinstimmt, was ich wirklich bin. Dass du Vorstellungen hast, die völlig anders sind.
Dass du nicht mich, sondern nur ein Traumbild liebst.
Und auch wenn ich Buddy trocken rubbelte, riecht es nach nassem Hund.
Da sind mir einzelne Düfte von Männern eingefallen.
Welche, die ich mochte (und an die, die ich nicht mochte, will ich jetzt nicht denken).
Dann war mir, als hinge dein Geruch in der Luft.
Wenn ich nur fähig wäre, ihn zu benennen.
Aber kann ich Angekommensein, Geborgenheit, Sicherheit, ein Zuhause auch mit meiner Nase definieren?
Denn so riechst du für mich.
Ein Parfum, das nach Vertrauen duftet, du.
Es war ein langer Weg, bis ich Menschen wieder heranließ.
Ich weiß nicht, ob ich die Balance schon gefunden habe, um die richtige Distanz zu anderen einzuhalten.
Ich will dir nah sein.
Ich will nicht mehr ein „Entweder-Oder“.
Ich will dir körperlich, geistig und seelisch nah sein dürfen.
Nicht immer,
nicht die ganze Zeit,
aber ich will die Momente genießen können,
wo Nähe mir nicht mehr Angst macht.
Sei mir nah.
Hin und wieder.
Eine Minute lang, ganz nah,
wenn die Grenze zu allem schwindet.
Ich habe gelernt, dass es immer ein wenig anders ist.
Jeder ist ein wenig anders,
jeder braucht anderes,
jeder trägt sein besonderes Wesen.
Das mag ich so gerne.
Vielleicht kann ich deshalb so schwer wütend werden.
Zornig werde ich, wenn ich nicht mag, wie ich oder andere behandelt werden.
Aber die Art des anderen bleibt unantastbar, mag sie mir noch so seltsam erscheinen.
Oder ich streite mit dir, wie mit einer anderen meiner Freundinnen, die mich anbrüllt, alles durch die Gegend wirft, und ich verstehe, was sie schmerzt.
Da wurde ich zwar auch klein und sagte nichts. Trotzdem sie mir die Schuld gab, ließ sie es zu, dass ich ihr alles schrieb und erklärte und sie nicht verschwand.
Wir beide am Boden zerstört, uns unverstanden fühlten, und nach ein paar Wochen ging es wieder.
Sie hatte meinen Brief nochmals gelesen und mir nicht Recht gegeben, aber sie sah, was ich sagen wollte.
Das reichte.
Einfach gesehen werden.
Ich muss nicht Recht haben.
Ich muss nicht gewinnen, aber reden muss du mit mir.
Was wird sein, wenn sie erkennen, dass ihr Applaus fehl am Platze sein wird?
Nackt fühlte ich mich, durchschaut, gläsern, und es verunsicherte mich, weil ich nicht wusste, wer ich bin, denn da war jemand, der um mich wusste.
Die anderen sahen Dinge in mir, die ich nicht einmal ahnte.
Hatten sie Recht? War ich so, wie sie sagten?
Welche Geheimnisse trug ich, die ich nicht kannte?
Sie behaupteten zu wissen, was ich begehrte, wohin ich strebte, wer ich war.
Nur ich wusste es nicht mehr.
Wer war ich ganz tief drinnen?
Es gab niemanden, der sah, was ich verloren hatte: Mich.
Ich wurde beamtete Ehefrau und Freundin.
„Du kannst vielleicht nicht mögen, wie ich die Gabel halte oder was ich koche, aber nimm mir bitte nicht meine Würde. Nimm mir nicht mein Selbstvertrauen, beschimpf mich blöde Kuh, aber sag nicht, ich sei dumm. Über eine blöde Kuh kann ich wieder lachen, hingegen meine Dummheit wird als Narbe zurückbleiben.“
Ich war klug damals. Sein Stil wurde subtiler. Feiner. Unbemerkter. Denn ich kann nicht sagen, was es war, aber irgendwann war mein Selbstvertrauen weg. Ihm ist es nicht aufgefallen und mir schon gar nicht.
Die Entscheidungen auf Grund ihrer Vorschläge
trugen keine Früchte.
Viel wichtiger wäre gewesen,
mir zu sagen:
Hör auf dich!
Was singt deine Seele?
Wo warnt dich dein Innerstes?
Vertrau dir selbst!
Ich möchte jeden Flecken deines Körpers entdecken.
Und es ist egal, wie verbraucht, verletzt oder verdreckt er ist.
Ich will nur wissen, was meine Berührung mit dir an genau diesem Quadratzentimeter macht.
Ich will wissen, was du bist.
Ich will mit dir entdecken.
Ich will eine Suche nach Orten beginnen, von denen wir beide nichts ahnen.
Eine Sprache lernen, deren Worte Berührungen sind.
Wir reden so viel über sie,
aber was ist sie wirklich?
Ist sie klar und einfach ohne viele Worte?
Manchmal denke ich mir,
wenn wir von Gefühlen reden,
stimmt vielleicht gerade mal die Richtung,
in die zwei schauen.
Bedeutet es, auf dem gleichen Weg zu sein,
oder gar am gleichen Ziel anzukommen?
Wir verwenden Wörter und wissen nicht, was sie dem anderen bedeuten.
Die Konzepte unterscheiden sich.
Wir sprechen von Dingen, Ideen und Träumen und manchmal meinen wir etwas ganz anderes.
Wir reden an einander vorbei und wundern uns, dass das Gegenüber uns nicht versteht.
Menschsein ist nur eine Form für weitere Lektionen. Nicht wichtiger und nicht wesentlicher als das Entstehen eines Berges, das Leben einer Ameise oder eines Baums oder des Staubs unter meinem Tisch. Nichts ist wichtiger oder unwichtiger. Es ist die Manifestation von allem. Dazu brauche ich nicht werten.
Alles, was ich, Marie, erlebe, dient dazu, alles zu versuchen, zu testen, zu erfahren.
Deshalb gibt es Gut und Böse.
Dazu braucht es keine Rache.
Kein Jüngstes Gericht.
Wir machen sichtbar, was es gibt.
An diesem letzten gemeinsamen Tag meiner Mutter brachte ich eine Aufnahme einer Messe mit und betete einen Rosenkranz an ihrer statt. Sie betete immer, wenn sie nicht mehr ein und aus wusste. Wenn sie nicht schlafen konnte, wenn sie die Schmerzen nicht mehr aushielt, wenn sie verzweifelt war. Früher schon und dann noch immer. Wenn sie Wörter suchte, konnte ich an ihrem Singsang erkennen, dass es noch immer das „Gegrüßt seist du, Maria“ war, und ich sprach die Worte laut für sie. Ich musste daran denken, dass ich kein solches Mantra besitze. Sie hat zu Maria gebetet, seit ich denken kann. Und als nichts mehr war, war immer noch das Gebet. Am Abend, als ich ging, schlief sie ruhig ein.
Denn nichts ist schöner, als dich zu lieben.
Und ich will dich lieben, wenn ich mich über deine Bartstoppeln ärgere,
lieben, wenn du den Freund triffst, den ich nicht mag.
Ich liebe dich, wenn du jeden Tag Fleisch essen willst und es mich graut.
Ich weiß nicht, ob ich ständiges Maulen aushalte, Beschwerden über dies und das: Die Telefongesellschaft, die U-Bahn, die Nachbarn, Dummheit der Menschen und überhaupt.
Kultivierung von übler Laune bleibt üble Laune. Selbst wenn du es in schlechte Witze packst, über die andere lachen. Ich konnte da nie gut mitlachen. Zum Auslachen fehlt mir, glaube ich, das richtige Gen. Ich mag das nicht. Denn es vergiftet auch meine Seele. Lach mit mir, wenn ich mich auslache, und vielleicht darf ich mit dir lachen, wenn du über dich selbst lachen willst.
Aber ich will dich auch lieben,
wenn wir gemeinsam am Ozean spazieren
und die Gischt Haut und Haare mit Salz überzieht.
Ich will dich lieben,
wenn wir an einem Ort sind,
der der Milchstraße erlaubt zu leuchten.