Frühjahrsputz

Vor mir stehen etliche Kisten mit Briefen, Tagebüchern, Notizen. Ich habe sie geordnet, 2 Tage lang, und gelesen vielleicht 10%. Einiges trieb mir die Tränen in die Augen, aber ich bekam auch meine schönsten Geschenke zu sehen: Liebesbriefe an mich.

Gelassenheit ist wirklich ein Geschenk des Alters. Fragte ich früher: „war das alles?“, geht es heute, nur um das Bewegendste, Berührendste. Ich brauch keine hunderten Liebesbriefe, sondern nur den richtigen. Und ich verstehe heute endlich, warum mir der eine so im Herzen blieb.Lotus

„Ich denke an ein verstrubbeltes, legeres, hintergründiges, strahlendes, schimmerndes, verzwicktes, verdrehtes, perlendes, blumiges, klingendes, lachendes, hübsches, blauäugiges, originelles, frisches, tanzendes, hüpfendes, lesendes, brillantes, mit Flittern übersätes Mädchen namens Elisabeth, das ich gern habe, auch wenn ich mich manchmal nicht traue es zu zeigen.

Alles Schöne und Gute wünscht Dir Paul, der froh ist, dich zu kennen.

P.S. Du bist ein wunderbarer Mensch. Du bist O.K.“

Es waren nicht viele Briefe, aber die gingen ohne kleinste Umwege direkt in mein Innerstes:

„Ich möchte, und so glaube ich auch Du, ausbrechen aus dem üblichen Trott, sei es in der Schule, Arbeit, in Beziehungen zu Freunden, und, was viel, viel wichtiger ist, wir möchten ändern und erneuern. Das ist sicher keine schlechte Entwicklung, auch wenn es uns oft sehr schwer fällt und wir oft genug daran sind, zu kapitulieren. Der Mensch braucht eine Portion Wahnsinn, damit er den Mut hat, auszubrechen, um Lebens- und Liebenswertes auf die Welt zu bringen.“

Der spricht von mir, von uns, von dem, was uns verbindet. Er spricht von Hoffnungen und Träumen (und er spricht noch heute davon, auch wenn er sie zu leben nicht wagte und immer vermisste). Den kann ich jahrzehntelang nicht hören und er schreibt und meine Knie sind immer noch weich. Was hätten wir doch tun können. Wir wagten es nicht. Und heute? Nein ich will ihn nicht wegreißen von seiner Frau und seinen Töchtern. Auch wenn mein Herz lauter pumpert als jeder Hubschrauber über meinem Kopf, wenn unsere Seelen miteinander sprechen. Ganz leise flüstern sie vom Wahren, vom Wichtigen, von dem, was die Welt zusammenhält.

Statt dessen wählte ich den Wörterzauberer, der mit Wörtern jonglierte und mich nicht sah. Ich wurde austauschbar mit jeder Frau.

„Was ich alles hätte werden können, wäre ich nicht das geworden, was ich bin für dich.

Wäre ich sportlicher gewesen, ich hätte Pilot werden können mit meinem Blick für die Landschaft und meinen fast tauben Ohren.

Wäre ich schlanker geworden, ich hätte Rocknrollsänger werden können mit meiner Angst, die mir so im Nacken sitzt.

Wäre ich als Kind reicher Eltern geboren worden, ich hätte dir ein Flugzeug kaufen können, jenes von dem ich dir schrieb vor der Zeit.
Halsüberkopfakrobat hätte ich werden können
oder
Märchenerzähler
oder
dramatischer Liebhaber
oder
Fernschreiber in Alaska
oder
Archäologe in entfernterer Geographie.

Aber ich bin das geworden, was ich geworden bin, und bin das geworden, was ich sein wollte, und das bin ich jetzt für dich und kann an nichts mehr denken als: ich bin es für dich geworden. Ich will es für dich sein. (Und meine Angst vor Berührungen, die sich löst wie unter der Sonne, deiner) und wenn ich schreibe ES TUT MIR WEH, DICH NICHT ZU SPÜREN, das tut weh.

Verrückt bin ich und an Mauern stehen Telefonnummern verbotener Schönheiten, die ich nicht begehren kann, nach dir, dem Paradies, dass das andauert, ich kann es nicht verlassen, ohne zugrunde zu gehen.

Und die Angst, dass du mich verlässt, ist schon ein Zugrundegehen. Meine Ängstlichkeit vor schönen Männern, die sitzt tief, so tief wie ich tief liebe. Dass es dich gibt, ist ein Geschenk, wie ich dich liebe, vom ersten Dichsehen bis zum letzten Buchstaben dieses Papiers, der folgenden Papiere.

Ich kann dir nichts bieten als meine Hässlichkeit, aber ich kann dir immer wieder zeigen, wie sehr ich dich liebe, du mein Herz, meine einzige Frau.

Ich liebe dich.“

Kein „ich sehe dich“, da ist kein „Wir“. Es ist blanke Bewunderung. Sie machte mir Angst. Nackt fühlte ich mich, durchschaut, gläsern und es verunsicherte mich, nicht mehr wissend, wer ich bin, denn da war jemand, der um mich wusste. Wusste, was ich begehre. Und ich wusste nicht mehr, wer ich bin, da ganz tief drinnen. Und es gab niemanden, der sah, was ich verloren hatte. Ich wurde beamtete Ehefrau.  

Ich erkannte nicht, das Bewunderung Distanz errichtete zwischen uns. Denn da war kein „wir“, kein wohin geht dein Streben, unser Streben. Kein, ich versuche dir den Weg zu deinen Sternen zu weisen. Und der Raum zwischen uns fühlte sich irgendwann an wie Verachtung und ich wurde ersetzt mit der nächsten Prinzessin. Wie traf mich das Wort, mit dem er einst mich benannte. Der wollte nicht ausbrechen mit mir, wollte keine Welten erobern, und nicht verrückt durch’s Leben tanzen. Der träumte ganz andere Träume. Seine.

Ich brauchte lange, es klar zu sehen.

Großreinemachen.

Marktwert

Ich bin verdammt froh, keinerlei Marktwert anzustreben. Damit ist egal, ob ich einen besitze oder nicht. Dieses sich selbst als Produkt definieren, ist seltsam. Etwas teilen, Begeisterung, ein Lied, einen Text, das ist etwas anderes. Da geht es um Leidenschaft und Freude, die man teilen will. Andere hingegen machen Werbung, und wenn du nicht ihrer Meinung bist, dann bist du weniger wert. Die überzeugen nicht, weil sie Argumente haben, sondern weil sie lauter sind. Hast du nicht deren Tempo, bist du Zweiter. Bist du nicht so laut, bist du Zweiter. Willst du denken, bevor du redest, bist du Zweiter.

Irgendeinen Geschmack suche ich, der bei mir zurückbleibt, wenn es nicht aufrecht ist, dieses Werben um jeden Preis. Aber wie kann ich das beschreiben, was ist es genau? Schneller, lauter, schlagfertiger und dann bist du Nummer eins am Markt. Und das soll einen Wert haben? Vielleicht ist es nur Naivität, die mich führt. Eine Naivität, die wissen will, was ein anderer empfindet, was er denkt, was er braucht. Wenn ich etwas verkaufen will, ist es mir völlig egal, was du empfindest, was du denkst, was du brauchst. Und wenn es nur das Gefühl ist, dass du etwas Besseres seist.
Nur so will ich nicht leben.

Ich teile, weil ich mich freue und hoffe, dass ein anderer sich freut.

Deshalb will ich meinen Marktwert auch gar nicht wissen. Damit bin ich frei. Scheiß drauf. Sollen die anderen geliebt werden wollen. Mir reicht, dass ich finde, dass ich cool bin. Mögen die anderen verbrennen, wenn sie an mich denken. Oder auch nicht, ist mir auch egal.

Mit der Axt entzwei

Ich bin verletzlich geworden.

Es ist nicht mangelndes Vertrauen oder Misstrauen, das mich beherrscht, sondern Angst verletzt zu werden. Ich dachte, ich hätte mein Vertrauen im Klo runter gespült. Aber ich bin nur vorsichtig geworden. Es waren nicht Fremde, die bei mir diesen Schrecken auslösten.

Ich habe nie verstanden, wie andere leichtfertig Versprechungen gaben, an denen ich zweifelte, zu groß, zu umfassend, zu schwer wogen sie. Ich kann nicht für immer und ewig Versprechungen geben. Und wenn ich versucht bin so zu denken, dann behalte ich es für mich. Denn auch ich war versucht. Aber in Wahrheit geht es nicht. Eine Freundin, die mich ohne Erklärung stehen gelassen hatte, dachte nach 3 Jahren wäre SIE soweit, wieder mit mir zu sprechen. Egal, was sie mir als Erklärung gegeben hätte, ich wollte mich auf niemanden mehr einlassen, der mich 3 Jahre lang ignoriert. Geheult habe ich deshalb viel, aber das Risiko stillschweigend ignoriert zu werden, wenn ihr etwas an mir nicht passt, war zu groß. Jemand, der nicht wissen will, warum ich so gehandelt hatte, mich nicht einmal sagt, was genau es war, was ihn störte, ist niemand, dem ich vertrauen kann.

Es ist ein Unterschied, wenn sich Wege auseinander bewegen. Immer versuchte ich, wenn ich die Bewegung kommen sah, noch darüber zu sprechen. Die wenigsten konnten. Und manchmal gab es wieder eine Bewegung aufeinander zu. Das heißt im Fluß sein. Keiner hob die Axt und schlug auf die zarte Pflanze Vertrauen entzwei, die durch Kommunikation genährt wird.

Ich bin vorsichtig geworden.

Blödmänner

„Wer glaubt, xy ist abc, ist schlicht blöd.“ Dieses Zitat brachte mich zum Nachdenken. Diese Aussage ärgerte mich, ich mochte sie nicht. Erst als ich das Ding mit xy belegte, wußte ich, woran sie mich erinnert. War das Volksschule oder doch mehr Kindergarten? Soll ich darauf antworten: „Dann bin ich lieber blöd“ oder „Wer so redet, ist doof“ oder „Na, dann … ;-)“ verlegen, wie der dort angesprochene? Mundtot gemacht, zum Schweigen gebracht und dann noch mit Smiley gekichert. Es war nur kein Kind, das hier sprach, auch kein Jugendlicher, nicht mal ein protestierender Student, nein, derjenige steht mitten im Leben und strotzt und protzt vor Selbstbewusstsein. Keine Unsicherheit trübt das Wässerchen.

In solchen Momenten komme ich mir dann sehr alt vor, denn ich frage mich, a) ob die Welt tatsächlich wissen will, was ich blöd finde und b) wenn andere über Dinge diskutieren, die ich für sinnlos halte, es nicht klüger wäre, einfach den Mund zu halten. Im Grunde appelliere ich mit einer Aussage wie dieser an die Dummheit meines Gegenübers, der selbst nicht imstande ist, zu denken. „Da du auch blöd bist, sag ich dir, was du blöd zu finden hast.“ Willkommen in der Welt der Idioten!

Viel zu viele Menschen sagen, was denn richtig ist und was falsch, anstatt daran zu arbeiten, dass alle mehr denken, damit sie selbst entscheiden können. He, ich bin erwachsen, ich brauche keine Eltern, Lehrer, Peergroup, die mir erklären, wie ich urteilen soll. Gruppendruck. Das einfachste Mittel das soziale Lebewesen Mensch auf Linie zu bringen.

Stattdessen habe ich eine Allergie bekommen: die Besserwisser-Allergie.

Einstürzende Altbauten

Ich bin dabei viele Mauern einstürzen zu lassen: Arbeitswechsel, Wohnungswechsel und Namenswechsel. Gutes darf und will ich in meinem Leben behalten: neben Freunden gehört Singen, Schreiben, Lachen, Fotografieren, Lesen, Reisen, Kochen, Stricken, Malen und sicherlich noch anderes dazu. Also bleibt eigentlich alles Wesentliche beim Alten.