Die beiden Fundstätten im Vallée Vézère geben Zeugnis über die Beliebtheit dieser Landschaft über Jahrtausende. Es sind Wohnplätze und zahlreiche Funde geben davon Zeugnis.
Neandertaler lebten dort vor 300.000 Jahren ebenso wie die Cro-Magnon Menschen, die später in dieses Tal kamen. Die Funde sind manchmal irritierend, denn man kann nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, ob sie nicht noch gleichzeitig dieses Tal aufsuchten. Der derzeitigen Wissenstand läßt diese Aussage noch nicht zu. Aber in La Ferrassie graben sie derzeit regelmässig und es scheint, als ob hier bald Unerwartetes für die Urgeschichte zu tage treten wird. Noch wird ausgewertet und die Datierung, die ein sehr teures Unterfangen ist, findet gerade statt.
Die beiden Skelette sind Neandertaler, die im Musée in Les Eyzies ausgestellt sind.
Ich habe zahlreiche Dokumentationen in den letzten Wochen angeschaut und da hörte ich erstmals, dass bestimmte Gene des Neandertalers zeigen, dass er eine weiße Hautfarbe und rote Haare hatte. Ganz anders als man ihn noch vor wenigen Jahren als grobschlächtigen Frühmenschen sah. Viele neueste Erkenntnisse erzählen unerwartet “modernes” von ihm. Die Neandertaler waren Großwildjäger, die sicherlich auch wegen der klimatischen Umstände mehr Fleisch als Beeren und Wurzeln zu sich nahmen.
Aber sein kräftiger Körperbau und seine gedrungene eher rundliche Form ist eine Anpassung an die Eiszeit, so wie auch die Inuit eher klein und gedungen sind, im Gegensatz zu den hochgewachsenen Afrikanern, deren Körperbau nichts mit unseren Schönheitsidealen, sondern mit den klimatischen Gegebenheiten zu tun hat.
Die Wohnstätten in diesem Tal befanden sich nie im Inneren von Höhlen sondern unter geschützten Überhängen (Abri Cap Blanc). Höhlen wurden oft von gefährlichen Tieren, wie Höhlenbär, Höhlenhyänen und Höhlenlöwen als Quartier aufgesucht. Es sind keine Plätze, wo man sich beruhigt zurückziehen kann, sondern Orte, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Egal ob ein gefährliches Tier in der Höhle wartete oder ob es von außen reinkam, irgendwie war man hier vielfach bedroht. Ein Überhang hingegen versprach Sicherheit zumindest von einer Seite.
An beiden Orten gab es Überhänge (Abri oder Shelter) an weiter oben gelegenen Stellen und an tieferen, wobei gerade die tieferen durch Frühjahrsüberschwemmungen zahlreiche Funde konservierten. Bei diesem Beispiel sieht man wieviele Überreste die Herstellung von Steinwerkzeug in den verschiedenen Schichten vorhanden sind. Anfangs fragte ich mich, ob es nicht ungemütlich gewesen sein muss, wenn diese vielen scharfen Splitter rumlagen. Aber nach einer Unterhaltung mit Francois, eine der wunderbaren Führerinnen, erkannte ich, dass dieser “Abfall” sicherlich nicht mitten im Wohnbereich lag.
Es gab keine Behausungen, die das gesamte Jahr benutzt wurden. Als Jäger und Sammler waren sie unterwegs und lebten dort, wo ausreichend Nahrung zu finden war. Und wenn die Tiere weiterzogen, wanderten auch sie weiter. Und dann kam eine heftiger Regenfall und deckte die Schicht mit den Steinsplittern zu. Als sie das nächste Mal wiederkamen, war nichts mehr von den Überresten zu sehen. So ging es über viele Jahrtausende. Ich muss immer wieder innehalten, wenn ich an den Zeitrahmen denke. 90.000 bis 10.000 Jahre und unsere Geschichte? Europa vor 100 Jahren, vor 500 Jahren, Mittelalter, Römer, erste Ackerbauern… was haben wir aus diesem Land gemacht.
Ich habe heute wo gelesen, “Mir hat auch niemand gesagt, wie man Kapitalist wird.” Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, das zu hören noch zu lernen. Wo stehen wir heute? Sind wir wirklich ein Höhepunkt der Evolution? Ist es nicht nur ein Versuch zu schauen, wohin es führt, ein Gehirn wie unseres zu besitzen. Das Spiel ist noch nicht zu ende. Wir wissen nicht, ob wir gewonnen haben. Und es ist kein Mensch-ärgere-dich-nicht, wo wir einfach von Neuem beginnen.
Ich hatte das Glück, bei diesen Unterkünften (Le Poisson, Cap Blanc, La Ferrassie und Moustier) alleine die Führung gebucht zu haben. So konnte ich Fragen stellen, innehalten, die Umgebung auf mich wirken lassen. Sie lagen alle in südlicher Richtung und so wurden alle von der Sonne gewärmt. Das Gefühl bei ihnen war immer anders als in den Höhlen. Freundlichkeit, gute Stimmung, lustige Lieder kamen mir in den Sinn, wenn ich mich dort umsah. Auch wenn heute alles bewachsen und Bäume die Aussicht versperren, sind es gute Plätze, um hier Zeit zu verbringen).
Nachdenklich stimmt mich nachwievor, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Familie beschloss, ihre Mitglieder dort zu begraben. In Cap Blanc wurde ein Grab gefunden, in La Ferrassie lagen Erwachsene im Westen und Jugendliche und Kinder im Osten. Die Forscher gehen davon aus, wenn ein gesamtes Skelett eines Menschen gefunden wird, im besonderen die Fußknochen, denn die sind es die als erste “verloren” gehen, dass eine Bestattung stattgefunden hat. In Ferrassie wurden insgesamt 8 Skelette gefunden. Mulden, wie jene, wo diese lagen, gab es mehr. Es waren Neandertaler, die hier Angehörige zur letzten Ruhe betteten. Darunter war ein Neugeborenes, nur wenige Tage alt. Es ist die älteste Begräbnisstätte von Neandertaler in Europa. Ob Neandertaler so gefühlt haben wie wir heute? Ich glaube, es war nicht so viel anders. Sie kannten Trauer und Verlust, vorallem viel unmittelbarer als wir heute. Wie oft sind wir uns unserer Vergänglichkeit bewusst? Wie sehr blenden wir heute Alter und Tod aus? Wie oft glauben wir, dem Tod entkommen zu sein, indem wir uns einer Illussion der ewigen Jugendlichkeit hingeben? Vielleicht ist dieser Traum zu tiefst menschlich, ob homo sapiens oder homo neandertalensis. War es ein Symbol für die Ewigkeit, als Menschen vor 40–45.000 Jahren diese Zeichen in La Ferrassie hinterließen?
Und falls dich, diese Zahlen nicht irritieren, sie sollten es, denn es ist ein Zeichen dafür, dass Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch nebeneinander in Europa lebten. Und wer weiß, wer diese Symbole hinterließ, die aus jener Zeit stammen?