Wisconsin ist alles, nur nicht aufregend, bis auf die Harleys, die ich aber jetzt bei diesem Regenwetter und der Kälte auch nicht sehe. Es ist einfach nicht das Wetter, um mit T‑Shirt brummend durch die Landschaft zu gleiten.
Wisconsin ist kein Land der Berge, aber der Skandinavier, was sich beim Stil ihrer Häuser abzeichnet. Holzhäuser, die man leicht irgendwo in den Norden Europas finden könnte. Dieses Haus ähnelt doch der Villakunterbunt. Falls irgendetwas einmal mehr als 100m herausragte, dann dürfte die Wisconsin Eiszeit ihres dazu getan haben, es der Vergessenheit anheim zu stellen. Aber so wie bei uns zahlreiche Seen Übrigbleibsel der letzten Eiszeit sind (wie der Bodensee oder die Seen im Salzkammergut), sind auch hier alle Wasser deren Reste. Zur Erinnerung: bei uns heißt sie Würmeiszeit, nach einem Fluß im Voralpenland. Eiszeiten erhielten ihre Bezeichnungen nach unterschiedlichen Regionen und da sie früher oder später endeten, sind es jeweils lokale Namen. Sie endete also nicht schlagartig und nicht an allen Stellen der Welt zur exakt gleichen Zeit. Wahrscheinlich nur um mich verrückt zu machen, die Zahlen schwanken von 12.000–9.000 Jahre, einer Zeit, wo der moderne Mensch schon fast überall auf der Erde vorbeigekommen ist. Gerade wurde ein Fund eines etwa 15-jährigen Mädchen auf Yucatan, Naia, datiert, sie ist vor 12/13.000 Jahren gestorben. Die Eiszeit hielt Menschen nicht vom Wandern ab. Ohne dem nomadischen Verhalten würden wir heute noch in Afrika sitzen.
Vor 3 Jahren war ich am Columbia-River. Das Flussbett wurde in mehreren Sturzfluten bei beginnenden Warmzeiten gebildet. Ein See im Nordosten, Lake Missoula, taute und das Wasser stürzte mit ziemlicher Geschwindigkeit durch das Flussbett des Columbia-Rivers. An den verschiedenen Wasserfällen und ihren Stufen kann man erkennen, dass es dramatischere und weniger dramatischere gegeben haben muss. Man schätzt, an die 40 solcher Fluten hat es gegeben.
Den vielen Wasser auf der Landkarte war der heutige Tag gewidmet. Ich beginne zu verstehen, wie es dazu kam, dass der Wildreis ein wichtiges Nahrungsmittel wurde. Doch es gab auch Gärten mit Mais, Bohnen und Kürbis. Fisch ergibt sich wohl von selbst und mit Sicherheit auch Wild. Kaninchen, Eichhörnchen und Chipmunks (Streifenhörnchen) sieht man auch, ohne auf die Jagd zu gehen. Büffel und anderes Wild, Beeren, Nüsse, Wurzeln, müssen eine bunte Nahrungsvielfalt gebildet haben. Die junge Elchkuh, die ich heute sah, starrte mich genauso verwirrt an, wie ich sie. Das war der erste Elch, den ich jemals lebend und in freier Wildbahn gesehen habe. Die Aufregung der Vögel, als ich auf dem Damm im Marschland wanderte, aber auch die Hülsen von Schrotmunition zeigt, dass es heute nicht immer so friedlich ist. In Madison (der Hauptstadt Wisconsins) sah ich einen Truthahn über die Straße marschieren (Rabbits, Chipmunks und Squirrel sowieso). Das Truthahnpärchen im Owen Park war zu weit weg, um es zu fotografieren, aber wahrscheinlich war es gut, nicht näher zu kommen. Geklungen hat es so, wie auf diesem Video. Hingegen dürfte es sich bei den 3 Chihuahua, die sich voller Leidenschaft mitten auf der Straße in einem toten Tier wälzten, nicht um einheimische Tiere handeln.
Die Ojibwa und Menomenee, die hier lebten und leben — durch einige Reservate bin ich durchgefahren -, sprechen beide einen Algonkin-Sprache. Sie zogen saisonal bedingt zu unterschiedlichen Plätzen. Ihre Kanus und ihre Hütten wurden u.a. aus Birkenrinde gefertigt. Je weiter ich in den Nordwesten kam, um so mehr Birken konnte ich sehen, sie sind diese hellgrünen ersten Boten, die ich auf einigen Bildern in Madison einfangen konnte, während sie hier noch auf warme Tage warten. Sie berührten mich auf eine eigene Art. Während die Eichen durch ihre Größe und ihr Alter verdienten einzeln bewundert zu werden, sind die Birken in ihrer Zartheit gemeinsam stark. Als ich heute durch diese Wälder fuhr, musste ich daran denken, dass ich einmal davon träumte einen Birkenwald zu pflanzen. Doch wird sie auch vielfältig für Heilungszwecke verwendet. Wenn so viel der Kultur von ihnen geprägt war, muss es viele gegeben haben. An Hand der Wälder kann man auch sehen, wie “zivilisiert” das Land ist. Und ich liebe dies Unkultivierten. Unberührte Wälder strahlen eine ungeheuere Gelassenheit und Stärke aus. Denn selbst wenn ein Baum gefallen ist, bietet er viel mehr Lebewesen ein zu Hause als zuvor. Neben den Birken habe ich Zitterpappeln (Espen) und Ahorn gesehen. Bei den Nadelbäumen waren Pinien, Fichten, Zedern diejenigen, die ich erkannte. Wobei diese Fichten ein wenig anders aussahen, wie jene, die ich von Europa kenne. Sie hatten dichte engzulaufende Spitzen.
Am Lake Michigan habe ich viele (europäische) Fichten rund um Farmen gesehen, und fragte mich immer wieder, wie die Landschaft ursprünglich ausgesehen hat. Die vielen Felder, die nur durch Waldstreifen unterbrochen werden, erinnerten mich sehr an unsere europäische “Kultivierung” des Landes. Die Farmen hier sind keine riesigen, und viel Geld dürfte nicht mehr zu machen sein. Die Wohnhäuser sind adrett und frisch gestrichen, doch entdeckte ich sie mehr als einmal erst später hinter den riesigen Ställen, die nicht mehr gestrichen und oft sehr zerfallen aussahen.
Wisconsin ist wild hier im Norden und das Wilde hat mich nun in Südwestens Michigans begleitet. Vieles erinnerte mich mehr an Kanada.