Wieder in Amerika

Eigentlich hat­te ich ganz andere Pläne hier in Wis­con­sin, doch wie so oft, kommt es anders, als man denkt. Anstatt dem lange nachzuweinen, will ich nach vorne schauen und sehen, was auf mich zukommt.

Was dieser Reise voranging?

Die let­zten Monate waren gefüllt mit neuen Ideen und deren Pla­nung. Und in den ver­gan­genen Wochen war es soweit. Am 8. April jährte sich der Todestag mein­er Mut­ter und damit startete ich mit der Umset­zung. Nach­dem meine Mut­ter ver­gan­ge­nes Jahr in Frieden gehen durfte, habe ich beschlossen, dieses Trauer­jahr zu nutzen, um tief in mich zu blicken.

Die ver­gan­genen 10 Jahre kosteten mich viel Energie, anfangs fiel es mir nicht beson­ders auf, wie kräftezehrend die Krankheit mein­er Eltern, aber auch andere Umstände waren. Aber zulet­zt war ich mit meinem Leben nicht mehr zufrieden, ich funk­tion­ierte meist nur mehr. Nur das Schreiben war mir geblieben, das machte mich glück­lich. Das Jahr ist vor­bei, nun geht es zur Real­isierung der Träume.

Der erste Schritt war eine neue Woh­nung, die meinen Vorstel­lun­gen entspricht. Vie­len zeigte ich nur die schö­nen Bilder und die wun­der­bare Lage, aber es ging mir auch darum, selb­st einen Schritt in eine ressourcenscho­nende, lebenswerte Zukun­ft zu set­zen. Auch wenn ich keine Kinder habe, möchte ich der Welt respek­tvoll und acht­sam gegenüber treten. Die Woh­nung ist erst 7 Jahre alt, gut isoliert und braucht nicht viel Energie, und ich freue mich über die Fer­n­wärme. Sie liegt so, dass es mir möglich ist, vieles zu Fuß oder mit dem Rad zu erre­ichen. Die Stadt set­zt auf Car-shar­ing und E‑bike-Ver­leih. Das waren alles Beweg­gründe, mich für Eisen­stadt zu entschei­den, neben vie­len anderen. Ich werde Burgenländerin.

Das andere zielt auf meine beru­fliche Zukun­ft. Ich habe mich entschlossen, mich dem zu wid­men, das mein Herz erfüllt und lauter schla­gen lässt. Ich will das tun, was mich die ver­gan­genen Jahre über­leben ließ. Ich habe den Rechen­s­tift gezückt, meine Finanzen geord­net und bin zu dem Schluss gekom­men, dass ich es ruhig wagen kann. Ich will schreiben.

Und ich will aus­re­ichend Zeit haben für unbezahlte Arbeit­en, die ich für ein funk­tion­ieren­des Gemein­we­sen für notwendig erachte.

Begin­nen wollte ich dieses Aben­teuer mit ein­er Recherche zu einem für mich aufre­gen­dem Leben, aber es kam anders. Meine Fre­undin hat­te in den let­zten Wochen große Ver­luste zu tra­gen und möchte nicht mit mir darüber sprechen. Das kann ich ver­ste­hen und gut nachvol­lziehen. Ich weiß noch, wie klein und müde ich in den drama­tis­chsten Stun­den meines Lebens gewor­den bin. Ich war froh um jene, die mich ruhig bei ihnen sitzen ließen, ohne irgen­det­was zu fordern oder zu wollen. Einige gin­gen. Großreinemachen kön­nte man dies wohl nen­nen. Das darunter ger­ade jene waren, die mir immer wieder ver­sichert hat­ten, wie ähn­lich unsere Gedanken seien, lässt mich an ihrer Ken­nt­nis mein­er Per­son zweifeln. Wie froh war ich, dass ich aus­re­ichend Selb­stschutz entwick­elte, um auf mich zu schauen. Manche nan­nten dies Ego­is­mus, ich nenne es Ver­nun­ft. Nie­mand kann so gut auf einen selb­st schauen, wie er selb­st. Sie schaut nun auf sich, so wie ich es tat. Und das tat ich, wann immer mir Dinge oder Men­schen zu viel wurden.

Und so bin ich dankbar, dass meine Fre­undin über deren Leben ich bericht­en wollte, meine Pläne über den Haufen warf, weil es zu viel für sie ist.

Und so bin ich nun dage­sessen und habe in meinen wirren Gedanken­we­gen herum gesucht, was mir denn in den Sinn käme, in den kom­menden Wochen zu unternehmen. Natür­lich hat­te ich an die aufre­gen­den Nation­al­parks in Utah und Ari­zona gedacht. Klar kam mir Yel­low­stone in den Sinn. Aber eigentlich suchte ich nach etwas Stillem. Nach­dem ich im Win­ter eine Doku­men­ta­tion über Gor­don Hemp­ton gese­hen hat­te und ihm auch schrieb, wie sehr mich seine Sehn­sucht nach Ruhe und Friede berührt hat­te, wun­dere ich mich nun nicht über meine Entschei­dung, die großen Natur­wun­der hin­ter mir zu lassen und nach Unaufgeregtem, Ruhigerem zu suchen. Vielle­icht nimmst du dir Zeit und klickst den fol­gen­den Link an und wartest.

SILENCE IS NOT THE ABSENCE OF SOMETHING, BUT THE PRESENCE OF EVERYTHING.”
Mich begleit­et dieser Sound ger­ade beim Schreiben dieser Zeilen.

Ich schaute mir Karten und Reise­führer von Wis­con­sin an und plöt­zlich sah ich das viele Wass­er: die großen Seen, die kleinen natür­lich auch, und den Mis­sis­sip­pi, der die west­liche Gren­ze Wison­sins zu Iowa bildet.

Kom­mende Woche wird es los­ge­hen. Noch erhole ich mich vom Stress der ver­gan­genen, den ich nicht mehr so spie­lend und leicht über­winde wie in jün­geren Jahren, mit Spazierenge­hen, gesun­dem Essen, viel Trinken, Lesen und Schlafen.
Meet me soon at the water!

ps. Das Land führte, bess­er ver­führte, mich, es wurde eine ganz beson­dere Reise, die still begann und in eine andere Stille überging.

Sankt Romedius und Mona Lisa

Was haben die bei­den gemeinsam?

Tja, das ist nicht so leicht zu errat­en, denn sie erin­nern mich an meine Großel­tern: an den Vater meines Vaters und die Mut­ter mein­er Mutter.
mg_7373Meinen Opa habe ich nie ken­nen­gel­ernt und es waren immer nur Geschicht­en, die sich manch­mal als falsch her­ausstell­ten. Er ist im Krieg gefall­en. Doch wann und wo, hätte mein Vater gewusst, aber er sprach nicht über ihn. Und ich reimte mir anscheinend auch Geschicht­en zusam­men oder hat es meine Mut­ter erzählt und nicht bess­er gewusst? Ich weiss es nicht. Ich hat­te ein­mal älteren Män­nern zuge­hört und die waren in Rus­s­land. Vielle­icht war das Anlass mein­er Vorstel­lung er sei 1943 in Rus­s­land gefall­en. Doch wenn mein Vater wütend war, dann wäre ich wie mein Groß­vater. Da ich aber mich recht gern habe, habe ich auch meinen Groß­vater zu lieben begonnen. Dazu kam, dass kein­er etwas Gutes über ihn zu bericht­en wusste. Das wiederum machte mich wütend. Nie­mand ist nur schlecht. Selb­st wenn er nur schöne Augen gehabt hätte.

Was blieb von ihm?

Er hat­te meine Groß­mut­ter mit einem une­he­lichen Kind eines reichen Salzburg­er Bauern geheiratet. Eigentlich wäre er auch ein Bauer, er war der Älteste. Und um die oft kleinen Land­wirtschaften zu erhal­ten, wur­den sie nicht geteilt, es erbte nur ein­er. Mein Groß­vater hat also auf den Hof verzichtet und eine Frau mit einem une­he­lichem Kind geheiratet. Er wurde Maler und arbeit­ete unter der Woche irgend­wo in Tirol. Aber worüber immer wieder gesprochen wurde, war, dass mein Vater und seine Schwest­er ihn am Fre­itag aus der Wirtschaft holen mussten, weil er son­st alles ver­trank. Mehr war hier als Infor­ma­tion nicht her­auszu­holen: Wie alt sie waren? Wie spät es war? War er wirk­lich stock­trunk­en oder war er nur am Ende der Woche ein Bier trinken? Doch das Schlimm­ste kam noch, er hat­te Bruch­holz im Wald gesam­melt, doch der Wald war nicht sein­er. Waldbe­sitzer ver­ste­hen keinen Spass. Obwohl heute der Wald rund um Inns­bruck lange nicht so “ordentlich” aussieht wie noch vor 30 Jahren, doch ver­boten ist es auch heute noch. Aber es ist auch ver­boten in Frankre­ich, auch wenn für den Eigenbe­darf dur­chaus ein Auge zuge­drückt wird, hat mir Pierre erzählt. Mein Groß­vater wan­derte ins Gefäng­nis. Dies war eine Riesen­schande. Als mein Vater wieder ein­mal sehr wütend auf mich war, weil ich
mg_7374seinen Geburt­stag vergessen hat­te und erst 2 Tage später grat­ulierte, hat er mir einen Brief geschrieben, wie ent­täuscht er von mir ist, wie bei seinem Vater. Da schrieb er mir davon. Ich dachte nur, wenn mein Groß­vater nur annäh­ernd so schlim­mer Dinge tat wie ich, dann kann er nicht ganz so schlimm gewe­sen sein. Damals erfuhr ich, dass mein Groß­vater 1945 knapp vor Kriegsende im früheren Jugoslaw­ien gefall­en ist.

Mein Groß­vater hieß Romed.

Als ich bei der Rück­reise im Trenti­no schlief, erzählte mir, die Tochter der Wirtin, dass ein Wall­fahrt­sort in der Nähe sei. San Rome­dio, der Heilige nach dem mein Groß­vater genan­nt wurde. Er wurde ange­blich in Thaur, einem kleinen Dorf in der Nähe von Inns­bruck, im 7. oder 8. Jahrhun­dert geboren. Und da es damals noch nicht Tirol hieß, wan­derte er nach Rom und nach Tri­ent und schien sich nicht son­der­lich um anständi­ge Lan­des­gren­zen zu küm­mern. Vielle­icht war er
mg_7390auch ein Adeliger aus Thaur. Ist das wirk­lich wichtig? Die Ein­siedelei wurde errichtet, die Leute pil­gern heute noch hin und danken für gesunde Kinder und die Ret­tung bei furcht­baren Unfällen. Als Romedius alt war, wollte er den Bischof in Tri­ent besuchen. Als ein Bär sein Pferd aufge­fressen hat­te, befahl er den Bären zu sat­teln und ritt auf diesem ins Tal. Heute lebt dort die Mut­ter des Prob­lem­bären “Bruno”, den die Bay­ern erschossen, aber da ich es nicht so gern habe, einges­per­rte Tiere zu sehen, bin ich sie nicht suchen gegangen.

Ich glaube, mein Vater hat da etwas ver­mis­cht, vor 30 Jahren habe ich ihn ein­mal gefragt, ob er wisse, wo unser Name herkommt. Mein Geburt­sname ist ein alter typ­is­ch­er Tirol­er Name, Jen­newein. Doch was er mir erzählt hat, passt bess­er zu San Rome­dio. Das muss ihm mein Gross­vater erzählt haben. Eine schöne Geschichte, die von meinem Opa zu meinem Papa zu mir gekom­men ist.

Hier zün­dete ich noch eine Kerze an für meine Vor­fahren, es ist der let­zte Tag mein­er Reise. Was für ein wun­der­bar­er Abschluß!

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Als ich das Kloster ver­ließ, war ich erstaunt ein Bild von Andreas Hofer hän­gen zu sehen, der dort auch als Vertei­di­ger gefeiert wor­den. Darunter ein Kranz der Welschtirol­er Schützenkom­panie, eine der unheim­lichen Ein­rich­tun­gen meines Heimat­landes sind deren Schützen.

Ich wollte es genauer wis­sen — die Schule ist gar zu lange her — Welschtirol, was ist das nun wirk­lich? Es ist das heutige Trenti­no (und ein bis­serl was dazu) war ab 1200 Teil der Graf­schaft Tirol: Nord‑, Süd‑, Ost- und Welschtirol. Ab 1365 kam diese Graf­schaft an den näch­sten Ver­wandten der let­zten Gräfin von Tirol, Mar­garete Maultasch, dem Hab­s­burg­er Rudolf dem Stifter. Dieses Tirol blieb erhal­ten bis zum Ende des 1. Weltkriegs, wo Südtirol und das Trenti­no an Ital­ien gingen.

Wer sind diese Schützen und was vertei­digten die Schützen gegenüber Napoleon? Ich weiß noch wie ich in Kor­si­ka darauf ange­sprochen wurde, denn Tirol wider­stand Paris so wie die Kors­en Wider­stand gegen Frankre­ich übten. Es waren die Rechte der freien Bauern, die sie vertei­digten. Doch nicht alle waren frei, nicht alle waren Besitzer eines Bauern­hofes. Nur nichts Neues! Wed­er von den Bay­ern, noch von den Fran­zosen, egal ob gut oder schlecht. Ein ziem­lich stures Volk! wehe dem, der nicht dieser Mei­n­ung war.

Das führt mich zu mein­er Oma, eine Südtiro­lerin. Sie und mein Opa heirateten erst spät, sie gehörten zu jenen Bauernkindern, die leer aus­gin­gen. Da war es nicht so leicht Kinder durchzufüt­tern, trotz­dem beka­men sie 9. Bei mein­er Mut­ter war sie 40 und meine Mama, war mit­ten drin­nen in der ganzen Kinder­schar. Meine Großel­tern sahen sich als Tirol­er, sprachen Deutsch und waren sehr gläu­bige Menschen.

Als in Südtirol unter Mus­soli­ni nur mehr in Ital­ienisch unter­richtet wurde, gin­gen sie mit ihren Kindern nach Inns­bruck, denn ein Brud­er lebte bere­its in Nordtirol. Und mein Groß­vater sah sich nicht als Ital­ie­nier, er kämpfte als Kaiser­jäger im 1. Weltkrieg und er hat­te nichts, was er in Südtirol zurück­lassen hätte müssen. Doch dort hätte er seine Sprache ver­loren. So wur­den meine Großel­tern Südtirol­er Optan­ten. Es hat­te nichts mit Hitler zu tun, son­dern mit ihrer Vorstel­lung ihres Lebens.
betenIn dem Kloster fand ich dann diese 4 Damen. Von Katha­ri­na, Bar­bara und Mar­garete wußte ich, dass sie auch als 3 Beten gel­ten, die man in Südtirol oft auch auf Häusern find­et, als Ambet, Bor­bet und Wil­bet. Die Ursu­la ist im katholis­chen Raum als 4. Jungfrau dazu gekom­men. Die drei Madeln sind in vie­len Kul­ten vorhan­den, was sie einst sym­bol­isierten, ist offen. Ich mag die Vorstel­lung der drei weisen Frauen, der Jungfrau, der reifen und der alten Frau. Sie dienen als Sym­bol für die Vergänglichkeit des Lebens. Sie erin­nern mich aber auch an diese tiefe, stille Volks­gläu­bigkeit mein­er Großeltern.

Meine Großel­tern haben mein­er Mut­ter auch dieses Beten beige­bracht, das sie solange sie kon­nte, wie ein Mantra pflegte. Ich bewun­derte es und benei­dete sie, dass sie auf diese Stütze in Zeit­en der Not zurück­greifen konnte.

Was ist nun mit der Mona Lisa? Ich habe in den let­zten Tagen einen Artikel über sie gele­sen und plöt­zlich war mir klar, warum ich ein­er­seits das Lächeln nie ver­stand und es mir ander­er­seits so ver­traut war. Ihre Art zu lächeln, entsprach dem Lächeln mein­er Oma. Still, zurück­hal­tend, ein­fach, demütig, das Leben so nehmen, wie es kommt. Es gibt nichts Aufre­gen­des, aber doch einiges, was ich ler­nen kann.

Meinen Großel­tern sei dieser let­zte Tag mein­er Heim­reise gewidmet.

Wäre ich reich …

Ab dem 15. wird das Geld knapp, erk­lärt mir Pierre, ab dann ist am Fre­itag Nach­mit­tag, aber auch am Sam­stag wenig los im Super­markt hier in Bor­deaux. In Frankre­ich werde ich auf eigene Art und Weise an die finanziellen Krisen erinnert.

Ein­er­seits sind große Häuser in Bor­deaux teuer wie noch nie und doch halb so teuer wie in Paris. Kleine sind im Ver­hält­nis kaum leichter zu bekom­men und sie kosten gle­ich viel. Pierre würde gern sein großes Haus, dass an diesem und jenen Eck verän­dert wer­den müsste, um dem Schickim­ic­ki-Stan­dard zu entsprechen, gegen ein kleineres aus­tauschen. Ums gle­iche Geld. Es klappt nicht. _MG_6950

In Les Arcs, wo Corinne wohnt, sind Häuser, die vor zwei Jahren noch viel Geld bracht­en, schw­er zu verkaufen. Es sind tolle Häuser für Durch­schnitts­men­schen, nichts für Reiche. Doch Reiche kaufen sich etwas anderes, der Durch­schnitt kann sich solche Häuser nicht mehr leis­ten. Nicht nur Corinne, auch ihre kanadis­che Fre­undin und ihre Mut­ter wollen verkaufen. Corinne hat auf gut 1/3 verzichtet. Hinge­gen in so abgele­ge­nen Gegen­den wie The­ly im Zen­tral­mas­siv, wer­den einem die Häuser nachgeworfen.

Für Kün­stler wie Corinne, diese vie­len kleinen, die unser Leben ganz still bere­ich­ern, weil sie hier und dort ein Fest beleben, ist eine schwere Zeit. Denn jene, die sich das leis­ten kon­nten, geht das Geld aus. Selb­ständig wer­den? Chris­tine, eine Fre­undin Corinne’s, war selb­ständig, sie hat­te ein Geschäft und verkaufte lokale Pro­duk­te. Sie sper­rte let­ztes Jahr zu und muss nun noch immer zahlen. Mehr Mut zur Selb­ständigkeit? Damit das, dein Leben beherrscht? Sie ste­ht jet­zt mit Corinne und Claude am Stand, wo Kinder zum malen angeregt wer­den. Beim Mit­tagessen meinte sie, sie habe die Nase voll davon, auch wenn ihr ein ander­er Fre­und zure­det wieder selb­ständig zu werden.

Doch was hätte ich lieber? Ein Leben im Überfluss?

Dann würde ich in einem Hotel sitzen, würde nicht für Fre­unde kochen, würde nicht drei Tage mit einem Lit­er­atur­pro­fes­sor inter­es­sante Gespräche führen.

Ich hätte ein aus­tauschbares Hotelz­im­mer, mit aus­tauschbarem Essen, das über­all auf der Welt gle­ich schmeckt.

Ich würde nicht wis­sen, welch­es Essen Fran­zosen schätzen. Wie sie es geniessen gemein­sam zu essen.

Ich hätte keinen exzel­len­ten 12-jähri­gen Bor­deaux genossen und über ihn bei einem äußerst inter­es­san­ten Gespräch die Zeit vergessen.

Ich hätte keine Ahnung, wie Häuser in Bor­deaux oder in der Provence von Innen aussehen.

Ich hätte einen Urlaub gemacht, der nicht viel Unter­schied hätte, von einem Film über Frankre­ich. Hätte ich reiche Fre­unde besucht, hätte ich nicht kochen dür­fen, wir hät­ten nicht zu dritt in einem kleinen Apparte­ment geschlafen: denn Claude, weil sie nicht gerne alleine schläft, ist, obwohl sie zwei Türen weit­er wohnt, zu uns gekom­men und hat ihren Schlaf­sack aus­gepackt. Sie ist mehr als 60 Jahre alt.
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Bei reichen Fre­un­den hät­ten wir getren­nte Zim­mer, wir hät­ten nicht selb­st gekocht.

Ich wüsste nicht, auf was Fran­zosen in einem Super­markt acht­en. Ich wüsste auch nicht, wie Kau­ma­gen schmeckt (Auch ich habe nach­schauen müssen, um rauszufind­en, was das ist). Das ist so eine Art Vor­ma­gen bei Geflügel, das bei der Ver­dau­ung hil­ft, eine Spezial­ität Bordeaux.

Ich hätte wahrschein­lich nicht mit­bekom­men, das Bor­deaux die Ver­legerhaupt­stadt Frankre­ichs ist, mit vie­len und ein­er ganz riesi­gen Buch­hand­lung, aber auch ein­er Buch­hand­lung, die sich Ver­boten­em wid­met: der Erotik, nicht nur bil­ligem Schund, nein auch Erotik in der Lit­er­atur von namhaften Schrift­stellern ist zu finden.

Die gesamte Häuserzeile ist EINE Buchhandlung in Bordeaux.
Die gesamte Häuserzeile ist EINE Buch­hand­lung in Bordeaux.

Ich werde auch noch einen Beitrag in Wikipedia über einen Maler und Fotografen Bor­deaux’ schreiben, denn darüber hat Pierre geschrieben und auf Deutsch fehlt der Eintrag.

Für die Neugieri­gen unter euch: Pierre Molin­ier. Wer nun unanständig über seine Fotografien denkt, sollte sich Zeit lassen beim vorschnellen Urteil. Er hat bewusst, manche Mon­ta­gen als Man­dalas gemacht, welch­er Form von Schaman­is­mus er sich wid­mete, weiß ich nicht genau, aber ich kann es nachvol­lziehen. Auch wenn Sex­u­al­ität eine große Rolle in seinem Leben spielte, so war doch noch mehr.

Nichts davon hätte ich erlebt, wäre ich reich.

Seit ich meine Urlaube bil­liger gestalte, wer­den sie span­nen­der und aufre­gen­der. Wer ist nun reich­er? Der, der alles kaufen kann oder ich, der sein Leben gestal­ten kann. Ich hat­te früher anders Urlaub gemacht. Irgend­wie fühlt es sich wie ein Plas­tikurlaub an gegen die Tage, die ich nun erleben darf.

Ich bin dabei meine Bedürfnisse zu über­denken und zu reor­gan­isieren. Das lehrte mich mein Urlaub.

Meine Franzosen

Mein Frankre­ich entspricht nicht dem, was ich von außen gel­ernt habe, was Fernse­hen und Zeitun­gen mir erzählten, mein Frankre­ich ist anders. Das war nicht immer so, denn als junger Men­sch war ich natür­lich in Paris. Aber auch das hätte mir Zeichen genug sein dür­fen, denn wo ver­brachte ich meine Zeit: vor dem Cen­tre George Pom­padou, nicht drin­nen. Draußen, denn dort spielte sich das Leben ab. Nicht nur die üblichen Straßen­musik­er waren dort zu find­en, oder die selt­samen Karikatur-oder Por­trait­maler, alle möglichen Kün­stler tum­melten sich hier rum. Das gefiel mir. Das ist lange her. Damals hat­te ich vergessen, was mir Schreiben und Fotografieren bedeutet. Denn ich hat­te es ver­loren. Es gab eine Zeit, da ergab das, was ich schrieb, keinen Sinn für andere und manch­mal auch kaum für mich. Es war so, dass Worte mir nicht mehr halfen, mich mitzuteilen.

Das ist sehr lange her — mehr als 30 Jahre.

Und es war auch weit weg von meinem heuti­gen Frankreich.
Corinne, in deren fast leerem Haus ich sitze, war die erste, die mich hier­her ver­führte. Ach, warum halb leer? Sie zieht um nach The­ly, ein winziger Ort, kaum zu find­en, um den Traum, den sie, seit ich sie kenne, träumt, zu ver­wirk­lichen. Sie hat ihren Bauern­hof gekauft, und wird dort ihren spir­ituellen, magis­chen, ökol­o­gis­chen Garten endlich umset­zen kön­nen. Ihren Fre­und Piam habe ich noch immer nicht ken­nen­gel­ernt, denn der ist ger­ade mit dem ersten Laster unter­wegs nach Nor­den. Corinne ist Kün­st­lerin und vor allem, eine wun­der­bare Leben­skün­st­lerin. Bei ihr füh­le ich mich immer so ganz ganz, auch wenn sie immer ganz viel im Kopf hat und an vie­len Plätzen gle­ichzeit­ig ist. Aber sie hat die wun­der­bare Fähigkeit andere so sein zu lassen, wie sie sind. Was zur Zeit zwar etwas prob­lema­tisch ist, denn ihr Jüng­ster ist 17 und so wie Siebzehn­jährige nun mal sind. Und nicht für jedes Kind ist diese Art von Frei­heit geeignet.

Sie hat nie viel Geld, lebt öfters mal von Not­stand und wenn das Geld gar knapp wird, dann meldet sich jemand für eine Mas­sage. So habe ich sie auch ken­nen­gel­ernt: in Thai­land, als wir gemein­sam einen Mas­sagekurs besucht­en. Und auch dort erlebten wir Momente, wo unsere Herzen gemein­sam schlugen.

Sie war die erste, die sich bei mir meldete, als meine Mut­ter starb.
Immer wieder passiert es, dass ein­er von uns etwas erzählt und der andere ver­wun­dert ist, weil es ihm auch passierte. Es ist unglaublich viel Syn­chro­niz­ität in unser bei­der Leben, auch von den nicht so schö­nen Seiten.

Ich freu mich, dass ich ihr eine Hil­fe war. Während sie nun in ihr neues Haus fährt, bin ich Rich­tung Öster­re­ich unter­wegs. Ich bin schon sehr ges­pan­nt auf Thely.

Doch bevor ich zu ihr fuhr, wollte ich den Atlantik sehen. Und den bekam ich zu sehen durch Pierre. Pierre ist ein 68-Jähriger Pro­fes­sor aus Bor­deaux. Ein nor­maler Pro­fes­sor? Ach, nein, das würde nicht zu meinem Frankre­ich passen. Mit 49 beschloss er aus dem 10-stündi­gen Uni-All­t­ag auszusteigen und wenn es ihm beliebte, Büch­er zu schreiben. Wie Corinne pfiff er auf das, was heutzu­tage als “nor­males” Leben ange­se­hen wird. Da waren Lebensver­sicherun­gen, von deren Zin­sen er Geld bekam, in Bor­deaux lebten seine Eltern, die froh waren, dass der einzige Sohn endlich wieder zurück­kam, denn er war zulet­zt Pro­fes­sor in New Zealand, von wo er zwar zweimal im Jahr heim­fuhr, aber es war weit weg. Pierre war mein Gast­ge­ber, als ich in Bor­deaux couch­surfte. Couch­surf­ing: Diese geniale Erfind­ung, wo man in anderen Städten und Län­dern pri­vat bei Men­schen unterkommt!

Als Tourist bekommt man weltweit gle­iche Hotels mit gle­ich fre­undlichem oder unfre­undlichem Per­son­al zu sehen. Das Früh­stücks­büf­fet ist über­all gle­ich, die Zim­mer sind aus­tauschbar. Keinen Moment sehne ich mich danach.

Aber es ist viel aufre­gen­der fremde Men­schen ken­nen­zuler­nen. Ich liebe diese Erfahrun­gen und ich ver­suche über­all, zumin­d­est einige Tage so unterzukom­men. Ich lernte immer wieder Men­schen an ver­schiede­nen Orten von innen und außen geze­ich­net ken­nen. Es waren alle ganz beson­dere Men­schen. Und sie brin­gen immer auch Erin­nerun­gen zurück in mein Leben, was ich großar­tig finde.

So jet­zt muss ich unter­brechen, denn Corinne bere­it­et ihren Gara­gen­verkauf vor. Bet­ty hat mir das in Madi­son, Wis­con­sin gezeigt, wo am Woch­enende am Ende des Stu­di­en­jahres an diesem und jenen Eck ein Fäh­nchen oder Schild zum stöbern ein­lud. Bet­ty gehört auch zu meinen ganz pri­vat­en Schätzen.

Nun ich bin nicht von großer Hil­fe. Ich spreche kein Franzö­sisch und Corinne hat ihre eigene Ord­nung, die ich nicht stören mag. Aber sie ruft mich, wenn nie­mand da ist, damit wir plaud­ern können.

Die Men­schen, die ich ken­nen­lerne, haben ver­schiedene Dinge gemein­sam. Sie schätzen gutes Essen, sie lieben Kun­st, bei­des und jed­er auf seine Art. From­mage und Frais­es bekam ich bei überall.

Ich musste ger­ade wieder unter­brechen, denn die alte einäugige Katze wollte gestre­ichelt wer­den. Nun ist genug, doch schon stellt sich der Tigerkater an, hat aber lange nicht die Aus­dauer der anderen geplagten. Von der Straße höre ich jeman­den beim Klopfen von Steinen, wozu auch immer, und immer wieder begin­nt er zu sin­gen. Die Sonne ist warm, aber nicht zu heiß. Es ist Früh­ling in der Provence. Die Regen­t­age der let­zten Zeit sind vergessen. Und auch die Kälte, die mich mein wärm­stes Fließjäck­elchen in Bor­deaux aus dem Auto holen ließen. Den ganzen Tag bei 11 Grad und dann noch bei Regen nach­hause laufen. Woll­sock­en, warme Jog­ging­hose kamen ger­ade recht. Ich rech­nete nicht damit, dass ich die vie­len war­men Sachen brauchen würde, aber sie erfüll­ten gute Dien­ste. Für Mai ist es ein­deutig zu kalt gewe­sen. Auch wenn ich jet­zt auf der Ter­rasse unter der frischge­wasch­enen Wäsche sitze, und es lange nicht so gemütlich, wie vor ein paar Jahren ist, weil nur mehr das Notwendig­ste aus­gepackt ist, der Wind ist immer nich kühl. Das Dur­chat­men tut gut.

Inzwis­chen tröpfeln nur mehr vere­inzelt Men­schen in Corinne’s Garage und wir sitzen vor der ver­schlosse­nen Kirche ihrem Haus gegenüber und trinken Tee und essen die Kirschen und Erd­beeren, die wir vorher am Markt kauften.

Wir bei­de müssen darüber nach­denken, wie selt­sam es ist, dass sich unsere Wege immer zu beson­deren Zeit­en kreuzten. Kurz bevor wir uns ken­nen­lern­ten, starb mein Vater und ich ver­lor meinen Job, sie war ger­ade dabei sich von ihrem Fre­und zu tren­nen. Ich denke damals haben wir gemein­sam das erste Mal miteinan­der geweint. Wir stam­men aus der gle­ichen See­len­fam­i­lie, sagt sie. Das gle­iche Buch, das ich vor 10 Tagen für sie gekauft hat­te, hielt sie vor 3 Tagen in Hän­den und sagte, dass sie sich es kaufen müsse. Das sind die Gänse­haut­mo­mente in meinem Leben.

Marie-Jeanne war auch kurz hier, eine ganz reizende ältere Dame, die ich vor 5 Jahren bei Coco ken­nen­lernte, sehr erdig, sehr weise, ganz gelassen. Inzwis­chen kom­men immer mehr Fre­unde, von denen ich einige in den let­zten Jahren ken­nen­ler­nen durfte. Der Gara­gen­verkauf ist auch eine Möglichkeit sich zu ver­ab­schieden, so gibt es selb­st­gemacht­en Orangen­wein und andere Dinge zum Ver­wöh­nen. Die Deutsche, mit der ich Man­dalas malte und mit der ich über etwas ganz Trau­riges sprach, kommt noch vor­bei. Eine andere, bei der ich vor Jahren zum Grillen ein­ge­laden war, schaut auch herein.

Das Her­rliche hier ist, dass ich mich soviel mehr auf das Schauen und Wahrnehmen ver­lassen muss. Was erzählt mir die Kör­per­sprache? Vielle­icht ist mir nur alles so fremd, dass es mir fre­undlich­er erscheint. Aber das kann auch nicht sein. Beim Aut­o­fahren etwa spürt man, wo man unter­wegs ist, sobald es städtis­ch­er wird, wer­den die Aut­o­fahrer nervös­er und drän­geln. Hinge­gen am Land rund um Mon­ti­gnac, war ich immer wieder über­rascht, wie wenige Autos zum Über­holen anset­zten. Ich war let­ztes Jahr in Öster­re­ich am Land unter­wegs und fühlte mich wie eine Getriebene. Erst gestern Mar­seille im Rück­en, Niz­za und Mona­co vor der Nase, da waren die eili­gen teueren Autos, die es nicht erwarten kon­nten, wo anzukom­men, wo sie eigentlich schon wieder weg waren. Welchen Ort erre­ichen sie wirk­lich, wenn die Gedanken über­all sind nur nicht im Augenblick?

Die Garage wird noch eine Stunde offen sein, von 10 bis 19 Uhr. Vorher dachte ich mir, wie es bei uns wäre, wenn ich auf 2 Klappses­seln auf einem kleinen Platz sitzen würde, auf dem immer wieder Autos vor­beifahren. Es ist nur jet­zt eng gewor­den, weil Fre­unde ein­fach am Platz ste­hen blieben, so wird gehupt, das Auto ein wenig vorge­fahren, damit der andere vor­bei kann und dann wird weitergeplaudert.

Inzwis­chen kaufte ich noch Brot. Der Wind behagt mir nicht beson­ders. Der Mis­tral bläst seit Tagen kalten Wind aus Skan­di­navien und trotz Son­nen­schein frieren wir oft. Ich hätte nicht gedacht, soviel­mal Leute in Fließ­jack­en rum­laufen zu sehen. Aber windgeschützt kon­nte man die 17 Grad im Schat­ten, was in der Sonne doch viel mehr ist, genießen.

Gara­gen­verkauf ist zu Ende. Spät nach 10 Uhr Abend kommt Corinne’s Schwiegersohn und dessen Fre­und mit dem Laster zurück, mor­gen wird gepackt und die bei­den wer­den los­fahren. Corinne arbeit­et am Woch­enende bei einem Fes­ti­val der Natur in einem kleinen Örtchen auf­nahm Berg hin­ter Saint-Tropez.

Ps. Ich bin schon längst wieder in der Arbeit. Aber einiges ging mir noch durch den Kopf, einiges hat­te ich schon notiert, also ich schau mal. Wie lange es noch in meinem Hirn urlaub­smäs­sig rotiert.

Eine Höhle — alle Höhlen gesehen? FALSCH

Die Lim­i­tierung der Besuch­er ist nicht nur ein Schutz für die Höh­le, son­dern auch ein Gewinn für die Besuch­er. In kleinen Grup­pen ist die Führung intimer, für mich ganz intim, da ich nicht Franzö­sisch spreche. Nur an weni­gen Stellen hätte ich gern gewusst, was da alles erzählt wird. Aber so kon­nte ich mehr Staunen. Ich hätte ja über­all noch gerne Zeit für mich ver­bracht, aber das geht nun mal nicht. Und so ist es auch gut.

Das Selt­same ist, wenn ich mir Bilder betra­chte, ich deren Unter­schiede schon sehen kann, aber die Art der Höh­le hat noch ganz viel mit der Wirkung dieser Malereien, Zeich­nun­gen, Gravuren, Reliefs zu tun. Ich habe immer nur von der Wirkung der Bilder gele­sen, aber die Höh­le an sich hat ganz viel Ausdruckskraft.

Es ist ein Unter­schied, ob es eine schmale, niedrige Höh­le ist, in die man hineinkrabbeln musste, um etwas in den weichen Kalk­stein zu ritzen, ich aber die Begren­zun­gen der Höh­le rund um mich erkenne (Les Com­barelles). Um sie heute betreten zu kön­nen, wurde extra gegraben, damit wir aufrecht durchge­hen kön­nen. Irgend­wie nimmt uns dies die Chance zu erken­nen, wie es sich anfühlte, als vor 15000 Jahren in diese Wände ger­itzt wurde.

Com­barelles I enthält an die 800 Ritzze­ich­nun­gen. meist han­delt es sich um Tier­darstel­lun­gen, aber auch einige men­schliche Abbil­dun­gen sind zu sehen (ins­ge­samt 48). Am häu­fig­sten sind die Wildpferde, von denen an die 140 Abbil­dun­gen vorhan­den sind, gefol­gt von Wisen­ten, Aue­rochsen, Bären, Ren­tieren, Mam­muts und Hirschar­ti­gen. Men­schen­darstel­lun­gen sind meist nur stil­isiert dargestellt. Daneben gibt es abstrak­te Abbil­dun­gen, die soge­nan­nten tek­ti­for­men (von lat. tēc­tum = Dach) bzw. dachför­mi­gen Zeichen.

Sie krabbel­ten auf allen Vieren hinein, mit dabei waren Lam­p­en, die gefun­den wur­den, mit Tier­fett gefüllt und mit Wachold­erzweigen entzün­det. Frisch hinein­ger­itzt waren sie viel deut­lich­er sicht­bar als heute, denn der frische weiche Kalk­stein zeich­nete sich deut­lich weiß ab. Die Schat­ten, die durch das flack­ernde Licht gewor­fen wur­den, mussten viel lebendi­ger gewirkt haben, als heute.

Es muss eine sehr stille, med­i­ta­tive Stim­mung geherrscht haben, denn es war nur möglich hin­tere­inan­der in die Höh­le zu kriechen. Vielle­icht war es tat­säch­lich immer nur ein­er, der sich in die Tiefe des Berges vor­wagte, und hier auf eine sehr intime Art mit den Tieren kom­mu­nizierte. Wie in einem Traum muss die Dunkel­heit auf diese Men­schen gewirkt haben.

In der anderen, die ver­gle­ich­bar schmal ist, doch sich die Höh­le nach oben hin ver­liert, weil es 8 Meter hin­aufge­ht, ver­lor sich die Bedeu­tung des Men­schen auf andere Art und Weise. In Font-de-Gaume ist es nicht nur die Tiefe, die man ahnen kon­nte, die Tiere erhiel­ten Far­ben, sie wur­den größer und sie trat­en auch miteinan­der in Kon­takt. Der Hirsch, der sich zu äsenden Hirschkuh hin­abbeugt, über­raschte mir auf Grund der Zärtlichkeit, die dieses Bild ausstrahlt. Die Fack­eln oder Fet­t­lam­p­en kön­nen dies gar nicht ausleuchtet haben. Sie haben immer nur im direk­ten Umkreis sehen kön­nen. Und weil es nicht unheim­lich genug ist, haben sie noch einige Meter ober­halb des Bodens Tiere abge­bildet, die ich als Besucherin gar nicht sehen kann. Das bedeutet sie haben Gerüste gebaut oder sind auf den Schul­tern eines anderen ges­tanden. Die Art und Weise, wie hier mit den Tieren kom­mu­niziert wurde, fühlt sich völ­lig anders an. Es ist ein Unter­schied, ob ich liegend die Tiere verklein­ert in die Wände kratze, oder ob ich aufrecht ste­hend, vielle­icht noch erhöht, die gewaltige Kraft eines Büf­fels auf die Wand sprühe, mit der Farbe in meinem Mund. Es ist so als ob ich die Energie und Lebendigkeit in mich aufnehmen könnte.

Es war Font-De-Gaume, wo ich nochmal eine Führung auf Eng­lish mit­machte. Sie hat mich nicht so beein­druckt wie andere. Und auch die englis­che war nicht so gut. Vielle­icht nehmen sie viel von der Impres­sion des Ganzen, da auf den verkauften Bildern die Objek­te viel deut­lich­er zu sehen sind, als in der Höh­le selb­st. Deshalb wollte ich auch nochmal hinein. Lei­der erschien mich das viel mehr an eine Verkaufsver­anstal­tung zu erin­nern. Wenn mir ein ander­er sagt, dass etwas gewaltig ist und ich beein­druckt sein muss, stiehlt er mir mein Gefühl. Sie zeich­nen mit einem Point­er die Gestalt der Tiere nach und ich kon­nte mir nicht helfen, es enthielt viel mehr von der Über­raschung dieses Tier zu erken­nen, als von dem Fak­tum, dass hier ein Men­sch einen Büf­fel oder einen Hirsch darstellen wollte.

Doch die riesige Höh­le in Rouffini­ac über­fiel mich völ­lig uner­wartet. Es ging tief hinein, viele Abzwei­gun­gen macht­en es zu einem Aben­teuer für sich. 700 Meter sind wir mit ein­er kleinen Eisen­bahn hineinge­fahren. Über­all Abzwei­gun­gen, Löch­er, die ins schwarze tiefe Unbekan­nte gin­gen, die Ausspülun­gen, die ein Fluss, viele Jahre bevor ein Men­sch die Höh­le betrat, als bizarre Bilder zeich­nete, nah­men mir den Atem. Und dann taucht plöt­zlich eine Herde von Mam­muts auf, die sich hin­tere­inan­der auf unbekan­ntes Land zu bewegten. Men­schen stiegen in diese Untiefen hinab, um unten weit­ere Bilder zu zeich­nen. Und in dem heute riesi­gen Saal lagen sie am Rück­en, zeich­neten Tiere in real­is­tis­ch­er Größe, die sie nicht ein­mal als Ganzes sahen, denn der Abstand zu Decke, war nur sehr ger­ing. Während in Com­barelles die seitlichen Wände benutzt wur­den, ist hier auch die Decke als Bett für diese Tier­bilder ver­wen­det wor­den. Auf dem Rück­en liegend hat ein Men­sch mit Manganox­id die Umrisse wirk­lichkeits­ge­treu zeich­nen kön­nen, ohne die großen Tiere jemals kom­plett erfassen zu kön­nen, weil es nicht möglich war, einen Schritt zurückzugehen.

Mein Entschluss Pech-Mer­le zu besuchen war richtig. Hier fand ich erst­mals nicht nur einen Saal. Es war kein Ort, den ein­er allein auf­suchen musste, hier war Platz für viele. Die Fußab­drücke von einem Jugendlichen und kleinen Kindern, die hier kon­serviert wur­den, geben davon Zeug­nis. Als uns die Höh­le gezeigt wurde und das Echo der Führerin den Raum erfüllte, legte bei mir einen Schal­ter um. Ich hörte Trom­meln und Stim­men, die hier die Winkeln und Eck­en aus­füll­ten. Zu den Bildern gesell­ten sich die Sta­lak­titen und Sta­lag­miten, die den Raum zusät­zlich verzierten. Hier war endlich auf Platz für Bewe­gung und Tanz. Hier waren es andere Dinge, die zu beson­deren Erfahrun­gen ein­lu­den. Ob Manganox­id tat­säch­lich, wenn es mit Spucke ver­set­zt, bewusst­seinsverän­dernde Zustände aus­löst, wie ich wo lesen kon­nte, weiß ich nicht. Doch die zahlre­ichen Umrisse von Hän­den, die damit erzeugt wur­den, lassen diese Idee glaub­haft erscheinen.

Höhlen waren Plätze, die nie als Wohnorte dien­ten. Anders als in den Abri oder Über­hän­gen, wo unglaublich viele Über­reste des All­t­agslebens gefun­den wur­den, waren dort kaum vorhan­den. Es waren beson­dere Stellen, die zu beson­derem ein­lu­den und auf­forderten. Tief, viel tiefer als ich mir je vorgestellt habe, sind Men­schen in diese Höhlen hinein und haben dort etwas hin­ter­lassen, das wir heute nur inter­pretieren kön­nen. Das Geheim­nis wird ver­bor­gen bleiben. Doch da diese etwas so Beson­deres sind, wer­den es für mich spir­ituelle Orte sein. Orte, wo man mit ein­er anderen Welt Kon­takt auf­nahm. Was immer sie dort erlebten, es wird ihnen im All­t­ag eine Hil­fe gewe­sen sein. Denn wäre es nicht so gewe­sen, wozu hät­ten sie diese Unan­nehm­lichkeit­en auf sich genom­men. Es wird einen Nutzen gehabt haben. Vielle­icht sind wir diejeni­gen, die etwas ver­loren haben, da wir nicht mehr fähig sind, auf diese Hil­fe zurück­greifen zu können.

Wer von uns würde tief hin­ab­steigen, um ein Bild eines Com­put­ers oder eines Autos zu zeich­nen. Wieviel Gegen­stände unser­er Welt haben eine tief­ere Bedeu­tung und wären so wichtig für uns, dass wir darauf ver­traut­en, dass sie mehr als “nur” ein Gegen­stand sind? Dass sie uns mehr geben kön­nten, als das, wozu wir sie kon­stru­ierten? Wir glauben in ein­er reicheren Welt zu leben, doch ist es wirk­lich so? Ver­spricht die Real­ität mehr als unser Geist und unsere Fan­tasie und Träume?

Ich hätte gern mehr Zeit für mich gehabt, aber das ist aus ver­ständlichen Grün­den nicht möglich. Für mich sind es spir­ituelle Orte und der alltägliche Touris­ten­strom erlaubt es nicht, sie auf eine andere Art zu erfahren. Es ist nicht möglich, so vie­len Men­schen diese Zeit zu geben.

Welche Hin­ter­gründe hin­ter den Tieren, den sex­uellen Abbil­dun­gen und abstrak­ten Motiv­en ste­hen, weiß ich nicht. Auss­er Respekt und Achtung bleibt mir nicht viel zu sagen.