Keine Höhle vorher hat so zum Tanzen eingeladen wie diese. Es war unglaublich. Tanzen und Singen in einem wunderbaren Ballsaal mit leuchtenden Stalagtiten und Stalgmiten.
Wielange wuchsen die bizarren Girlanden hier herunter?
Kein Wunder, dass Menschen hier ihre Handabdrücke hinterließen.
Ich hätte so gerne laut gesungen, aber die geführte Tour hat es verboten. Was wäre passiert, wenn ich es gewagt hätte? Doch ich hörte sie singen und spürte den Trommelschlag. Die Fußspuren der Jugendlichen und Kinder, die wir zu sehen bekamen, sprachen davon.
Zu gerne hätte ich eine Fettlampe entzündet. Wieviel hätte man gesehen, wieviel wäre im Dunkeln verborgen geblieben? Welch ein wunderbarer Abschluss meiner Reise! Auch diese Höhle bewieß mir, dass jede etwas Besonderes ist.
Bordeaux — une promenade
Welches Leben will ich leben?
Ich weiß, es ist Urlaub und nicht mit normalem Leben zu vergleichen. Dennoch beginne ich mich intensiv zu fragen, wie ich wirklich leben will und wie ich dieses Leben auch verwirklichen könnte. Es geht nicht darum, nichts zu tun, es geht darum, etwas sinnvolles zu tun.
Seit ich unterwegs bin, geht mir die Vermarktung, die auf den sogenannten sozialen Plattformen nicht aus dem Sinn. Muss ich mich wirklich verkaufen? ist es wirklich normal einen Menschen wie eine Ware anzupreisen?
Einer schreibt als Titelbild: “mir hat auch keiner gesagt, wie man Kapitalist wird!” Und ich denke mir nur, ich will das nicht wissen. Schon gar nicht, dass mir einer erklärt, wie ich dazu werde. Ich will ein Mensch sein und das ist irgendwie gar nicht so leicht. Ich will doch nicht wissen, wie ich zu einer bestimmten Schublade werde. Und es ist mir egal, ob diese Schublade viel Geld bringt oder nicht.
Ob es die 200-Zeichenwelt ist, der man sich mitteilt, oder 500 Zeichen, bizarr ist beides. Teilt man sich hier mit? Wird hier nicht vielmehr ein Bild, ein Image, entworfen, ohne es vielleicht zu wissen, ohne sich dessen bewusst zu sein, oder vielleicht noch schlimmer, ohne es zu wollen? Aus welchem Zweck soll ich diese Medien verwenden? Geht es nicht einfach nur darum, was andere von mir denken sollen? Doch was geben ein paar Wörter schon von mir preis? Es ist doch nur eine Annäherung an das, was wir sind.
Und immer wieder muss ich daran denken, wieviele meiner besten Freunde nichts davon benutzen. Also darf ich mich hinsetzen und ihnen schreiben. Und sie schreiben mir. Oder ich besuche sie, wie jetzt Corinne. Ihr Englisch ist nicht so gut. Aber wir sind miteinander intensiv verbunden.
Einmal las ich: “ich wünsche den anderen das Doppelte von dem, was sie mir wünschen” kam mir nicht in den Sinn, dass derjenige davon sprach, dass andere ihm Gutes wünschten. Nein, es war wie ein böser Fluch. Die anderen wünschen mir böses und ihnen sei es mit dem doppelten vergolten. Schlimmer als “Auge um Auge, Zahn um Zahn”, denn das sollte der Blutrache Einhalt gebieten. Es stimmte mich traurig. Was so zynisch und selbstzufrieden dahin gesagt war, und ich kenne denjenigen, der das sagte, gut genug, um es so zu deuten, tut mir weh. Welchem Zweck dient dieser Sarkasmus?
Lustig ist, dass ich erkenne, dass ich mich nicht so wichtig nehme, dass sich jemand x‑beliebiger die Zeit nimmt, mir irgendetwas zu wünschen. Dafür bin ich mir sicher, dass mir meine Freunde das Allerbeste wünschen, so wie ich ihnen. Die anderen mögen mir verzeihen, ich glaube, ich bin absolut egal für ihr Leben. Und wenn ich der Rede Wert bin, dann interessiert es mich eigentlich nicht. Was soll ich mit der Meinung mir fremder Menschen anfangen, die mich entweder nicht mögen oder vielleicht gar nicht kennen. Was soll ihre Meinung mir über mich aussagen?
Allein unterwegs zu sein bedeutet auch, viel Zeit zu haben, über das, was mir begegnet, was ich lese, nachzudenken. In einem fremden Land unterwegs zu sein nochmal mehr. Und wenn ich die Sprache nicht spreche erst recht.
Sind mir die Blicke in Österreich wirklich so vertraut, dass ich in ihnen Lesens kann? Klar weiß ich, dass ich hier in Frankreich auffiel, wenn ich in der Appartementanlage unterwegs war, wo sonst nur Paare und Familien waren, doch war dies leichter auszuhalten, als jeden Tag allein in einem Hotel zu sein.
Oder bin ich mir vielleicht der Individualität so bewusst, dass mir sehr klar ist, dass ich nicht einer Gruppe zugehörig sein kann. Eine Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich von anderen unterscheidet, sie trennt. Gruppen sind definiert, was sie verbindet: Durch das, was wir arbeiten, wo wir leben, ob am Land oder in der Stadt, wo wir herkommen, was für Ausbildung wir erhalten haben, wie wir unsere Freizeit verbringen, was für Hobbys wir haben. Und es geht weiter, was wir anziehen, welche Frisur wir haben, was wir essen, wie wir unseren Urlaub verbringen. Die Basis der Vorurteile.
Das alles weist uns einer Schublade zu. Je mehr wir mit dieser Box verbinden und je genauer wir es definieren, um so besser ist unser Vorurteil definiert. Diese Boxen werden dann miteinander verknüpft und fertig ist ein bestimmtes Bild.
Kurz durchgespielt, funktioniert es ganz leicht an Hand von Berufen: ein Bibliothekar ist … Ein Journalist ist … Ein Künstler ist.… Oder Österreicher, Deutscher, Franzose, das ganze noch weiblich und die Vorurteile sprießen nur so heraus.
Ich lade jeden ein, dieses Spiel für sich durchzuspielen. Da tun sich Welten auf. Mit einer simplen Bezeichnung wird unglaublich viel verbunden.
Also ist es ganz leicht, diesem Bild nicht zu entsprechen. Nur eine Eigenschaft, die wir ganz eng damit verbinden und derjenige fällt aus der Reihe. Es sind keine Gruppen, denen du wie einem Verein beitrittst, nein es ist die Strukturierung, die wir als Vereinfachung unseres Lebens verwenden. Sie ist zu verführerisch, um sie nicht zu benutzen. Sie ist auch notwendig, denn wenn alles immer neu und ungewohnt ist, bedeutet es auch eine ständige Aufmerksamkeit, aber auch Anstrengung und Aufregung. In einem gewissen Umfang ist das ganz wunderbar und fein, doch gibt es Grenzen. Wenn du wie ein Mensch, der an Alzheimer erkrankt ist, jeden Tag deinen Schlüssel aufs Neue suchst, dann wird es dich verzweifeln lassen.
Hier bin ich wieder an jenem Punkt, wo ich immer besser verstehe, was mit dem mittleren Weg der Buddhisten gemeint ist. Es ist nicht Schwarz oder Weiß. Ich mag es auch nicht wie Billy Joel “shadows of grey” nennen, nein, es soll ein bunt wie ein Regenbogen sein, alle Farben enthalten und dadurch jedes beliebige Bild entstehen lassen, sei es ein lustiges oder ein trauriges, ein stilles oder ein lautes. Und manchmal wird es schwarz sein und manchmal weiss. Es ist nicht nur geradeaus, aber auch nicht nur verwinkelt. Es ist mindestens beides.
Das Leben enthält alles und wir Menschen sind mehr, als uns klar ist. Was wir hier brauchen ist, die Einsicht, dass es mehr gibt. Diese Erkenntnis hilft uns offener zu sein und die Variationen des Lebens zu sehen.
bordeaux avec une différence
Abri du Moustier und Gisement de la Ferrassie
Die beiden Fundstätten im Vallée Vézère geben Zeugnis über die Beliebtheit dieser Landschaft über Jahrtausende. Es sind Wohnplätze und zahlreiche Funde geben davon Zeugnis.
Neandertaler lebten dort vor 300.000 Jahren ebenso wie die Cro-Magnon Menschen, die später in dieses Tal kamen. Die Funde sind manchmal irritierend, denn man kann nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, ob sie nicht noch gleichzeitig dieses Tal aufsuchten. Der derzeitigen Wissenstand läßt diese Aussage noch nicht zu. Aber in La Ferrassie graben sie derzeit regelmässig und es scheint, als ob hier bald Unerwartetes für die Urgeschichte zu tage treten wird. Noch wird ausgewertet und die Datierung, die ein sehr teures Unterfangen ist, findet gerade statt.
Die beiden Skelette sind Neandertaler, die im Musée in Les Eyzies ausgestellt sind.
Ich habe zahlreiche Dokumentationen in den letzten Wochen angeschaut und da hörte ich erstmals, dass bestimmte Gene des Neandertalers zeigen, dass er eine weiße Hautfarbe und rote Haare hatte. Ganz anders als man ihn noch vor wenigen Jahren als grobschlächtigen Frühmenschen sah. Viele neueste Erkenntnisse erzählen unerwartet “modernes” von ihm. Die Neandertaler waren Großwildjäger, die sicherlich auch wegen der klimatischen Umstände mehr Fleisch als Beeren und Wurzeln zu sich nahmen.
Aber sein kräftiger Körperbau und seine gedrungene eher rundliche Form ist eine Anpassung an die Eiszeit, so wie auch die Inuit eher klein und gedungen sind, im Gegensatz zu den hochgewachsenen Afrikanern, deren Körperbau nichts mit unseren Schönheitsidealen, sondern mit den klimatischen Gegebenheiten zu tun hat.
Die Wohnstätten in diesem Tal befanden sich nie im Inneren von Höhlen sondern unter geschützten Überhängen (Abri Cap Blanc). Höhlen wurden oft von gefährlichen Tieren, wie Höhlenbär, Höhlenhyänen und Höhlenlöwen als Quartier aufgesucht. Es sind keine Plätze, wo man sich beruhigt zurückziehen kann, sondern Orte, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Egal ob ein gefährliches Tier in der Höhle wartete oder ob es von außen reinkam, irgendwie war man hier vielfach bedroht. Ein Überhang hingegen versprach Sicherheit zumindest von einer Seite.
An beiden Orten gab es Überhänge (Abri oder Shelter) an weiter oben gelegenen Stellen und an tieferen, wobei gerade die tieferen durch Frühjahrsüberschwemmungen zahlreiche Funde konservierten. Bei diesem Beispiel sieht man wieviele Überreste die Herstellung von Steinwerkzeug in den verschiedenen Schichten vorhanden sind. Anfangs fragte ich mich, ob es nicht ungemütlich gewesen sein muss, wenn diese vielen scharfen Splitter rumlagen. Aber nach einer Unterhaltung mit Francois, eine der wunderbaren Führerinnen, erkannte ich, dass dieser “Abfall” sicherlich nicht mitten im Wohnbereich lag.
Es gab keine Behausungen, die das gesamte Jahr benutzt wurden. Als Jäger und Sammler waren sie unterwegs und lebten dort, wo ausreichend Nahrung zu finden war. Und wenn die Tiere weiterzogen, wanderten auch sie weiter. Und dann kam eine heftiger Regenfall und deckte die Schicht mit den Steinsplittern zu. Als sie das nächste Mal wiederkamen, war nichts mehr von den Überresten zu sehen. So ging es über viele Jahrtausende. Ich muss immer wieder innehalten, wenn ich an den Zeitrahmen denke. 90.000 bis 10.000 Jahre und unsere Geschichte? Europa vor 100 Jahren, vor 500 Jahren, Mittelalter, Römer, erste Ackerbauern… was haben wir aus diesem Land gemacht.
Ich habe heute wo gelesen, “Mir hat auch niemand gesagt, wie man Kapitalist wird.” Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, das zu hören noch zu lernen. Wo stehen wir heute? Sind wir wirklich ein Höhepunkt der Evolution? Ist es nicht nur ein Versuch zu schauen, wohin es führt, ein Gehirn wie unseres zu besitzen. Das Spiel ist noch nicht zu ende. Wir wissen nicht, ob wir gewonnen haben. Und es ist kein Mensch-ärgere-dich-nicht, wo wir einfach von Neuem beginnen.
Ich hatte das Glück, bei diesen Unterkünften (Le Poisson, Cap Blanc, La Ferrassie und Moustier) alleine die Führung gebucht zu haben. So konnte ich Fragen stellen, innehalten, die Umgebung auf mich wirken lassen. Sie lagen alle in südlicher Richtung und so wurden alle von der Sonne gewärmt. Das Gefühl bei ihnen war immer anders als in den Höhlen. Freundlichkeit, gute Stimmung, lustige Lieder kamen mir in den Sinn, wenn ich mich dort umsah. Auch wenn heute alles bewachsen und Bäume die Aussicht versperren, sind es gute Plätze, um hier Zeit zu verbringen).
Nachdenklich stimmt mich nachwievor, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Familie beschloss, ihre Mitglieder dort zu begraben. In Cap Blanc wurde ein Grab gefunden, in La Ferrassie lagen Erwachsene im Westen und Jugendliche und Kinder im Osten. Die Forscher gehen davon aus, wenn ein gesamtes Skelett eines Menschen gefunden wird, im besonderen die Fußknochen, denn die sind es die als erste “verloren” gehen, dass eine Bestattung stattgefunden hat. In Ferrassie wurden insgesamt 8 Skelette gefunden. Mulden, wie jene, wo diese lagen, gab es mehr. Es waren Neandertaler, die hier Angehörige zur letzten Ruhe betteten. Darunter war ein Neugeborenes, nur wenige Tage alt. Es ist die älteste Begräbnisstätte von Neandertaler in Europa. Ob Neandertaler so gefühlt haben wie wir heute? Ich glaube, es war nicht so viel anders. Sie kannten Trauer und Verlust, vorallem viel unmittelbarer als wir heute. Wie oft sind wir uns unserer Vergänglichkeit bewusst? Wie sehr blenden wir heute Alter und Tod aus? Wie oft glauben wir, dem Tod entkommen zu sein, indem wir uns einer Illussion der ewigen Jugendlichkeit hingeben? Vielleicht ist dieser Traum zu tiefst menschlich, ob homo sapiens oder homo neandertalensis. War es ein Symbol für die Ewigkeit, als Menschen vor 40–45.000 Jahren diese Zeichen in La Ferrassie hinterließen?
Und falls dich, diese Zahlen nicht irritieren, sie sollten es, denn es ist ein Zeichen dafür, dass Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch nebeneinander in Europa lebten. Und wer weiß, wer diese Symbole hinterließ, die aus jener Zeit stammen?
Musée national de Préhistoire — Les Eyzies-de-Tayac
Steinwerkzeuge, Klingen, Schaber … Unzählige bearbeitete Steine.
Trotz der gelungenen Ausstellung verstehe ich nun, dass Museumspädagogik ein wichtiger Bestandteil sein muss. Wissenschaftler verlieren vielleicht in ihrem Eifer und Begeisterung den Überblick, mit welchem Wissen ein simpler Besucher ins Museum kommt.
Mir ist wichtig, dass in Museen wissenschaftlich gearbeitet wird, und dass Platz auch für jene Wissenschaftler ist, die nicht an diesem Museum arbeiten. Aber ein wesentlicher Punkt ist, das Museen der breiten Öffentlichkeit den Wissensstand in einem Fachgebiet näher bringen.
Hier in Les Ezyies sehe ich den Stolz der Wissenschaftler, die gefundenen Objekte zu präsentieren. Aber ich bin der Meinung, dass in diesem Fall weniger mehr wäre. Bei besten Willen kann ich nichts mitnehmen, wenn ich vor 100 für mich völlig gleichartigen Faustkeile liegen und zwar jeweils Hunderte für jede Periode, wenn mir nicht jemand erklärt auf was ich zu achten habe, wird es ein großer Eintopf.
Dank der Führungen, die ich Moustier und le Ferrassie hatte, verstand ich ein wenig mehr. Aber ist es eigentlich nicht tragisch, dass ich zuletzt ins Museum gehen hätte sollen, um die dort ausgestellten Objekte zu verstehen? Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Es wäre für mich viel sinnvoller gewesen, an Hand weniger Faustkeile (Biface auf Französisch klingt einfach eleganter als Faustkeil auf Deutsch) aufzuzeigen, dass dieses Werkzeug seit 1,5 Millionen Jahren angefertigt wurden. Nur kurz zum Verständnis, zu jener Zeit existierten noch verschiedene Hominiden-Arten in Afrika und die benutzten Faustkeile als Unterstützung in ihrem Leben. Es ist also noch ein langer Weg bis zum modernen Menschen. Denn vom Homo sapiens, so wie wir sind, kann erst frühestens vor 200.000 Jahren gesprochen werden. Ich sollte genauer sein. Die Datierung des modernen Menschen ist nicht ganz so einfach. Auf der einen Seite versucht man die besonderen Merkmale der verschiedenen Homo festzuhalten. Bei Neandertaler sind das die besonderen Augenwülste, die flachere Stirn im Gegensatz zu uns, das Kinn, das weniger hervortritt als das unsere, und die Schädelform, die nicht so rund ist, wie der unsere.
Ich bin fasziniert, wenn ich daran denke, dass die ersten bearbeiteten Steine, die Vorgänger der Faustkeile, der Chopper, bereits vor 2,6 Mill. Jahre in Verwendung waren. Durch die Führungen die Tage zuvor haben mir die vielen Steinwerkzeuge etwas näher gebracht.
Es ist beeindruckend, wie geschickt die Steine bearbeitet wurden. Doch auch damals gab es geschicktere und weniger geschicktere. Es waren nie alle gleich begabt in jeglicher Hinsicht. Bei bei den Steinwerkzeugen hat sich eine Wissenschaftlerin die Mühe gegeben und die “Abfälle” sortiert, ihre Entfernung zur Feuerstelle gemessen und die Qualität des Steines geprüft. Und es war so, je geschickter, um so näher konnte derjenige am Feuer sitzen und umso besser war die Qualität des Steines, der bearbeitet wurde. Gute Qualität durfte nicht verschwendet werden.
Ich habe versucht die besonderen Klingen des Solutrèen einzufangen, denn sie sind verdammt dünn. Von diesen hat man lange nicht soviele gefunden, wie von den etwas robusteren. Die Frage steht im Raum, ob nicht viele dieser Klingen mehr rituellen Zwecken dienten, als für den täglichen Gebrauch. Die Methode hat sich nicht für längere Zeit und in einem größeren Raum ausgebreitet. Sie zeigt aber, wie geschickt und gekonnt diese Steine beschlagen wurden.
Eine meiner Fremdenführerinnen erzählte, dass ein Archäologen, der durchaus versiert in der experimentellen Archäologie ist, beim Versuch diese Klingen ebenfalls herzustellen, kläglich scheiterte. Es gelang ihm nicht die Steine in dieser Feinheit zu bearbeiten.
Um einen Eindruck zu gewinnen, wie ein Fundplatz aussieht und wo Archäologen buddelten, um Klingen zu finden, wurde ein solcher Fundplatz in die Ausstellung aufgenommen. Ichh vermute, dass anfangs die Klingen von dem umgebenden Stein oder Sand gar nicht unterschieden werden konnten.
Besonders berührend waren für mich die Skelette. (Neandertaler Skelette werde ich bei den jeweiligen Fundstellen, die ich besuchte, zeigen.) Am liebsten hätte ich sie in ein Grab gelegt. Das Bewusstsein, dass es Menschen sind, mit denen ich wenn auch nur weitläufig, aber doch verwandt bin, ließ mich still und ruhig werden. Auch wenn es vielleicht lächerlich erscheinen mag, aber mir war es wichtig, jedem eine Form von Gebet zukommen zu lassen, mit dem Wissen, dass alles einen guten Weg geht, wenn es aus einem guten Herzen kommt. Das Mascherl, das Religionen so gerne um Menschen hängen, ist irrelevant. Entweder gibt es etwas Höheres oder nicht. Und wenn es etwas Höheres gibt, dann wird es wohl nicht genauso beschränkt denken wie Menschen.
Kunst oder was?
Die Malereien, Zeichnungen, Gravuren, Ritzungen, Basreliefs, Reliefs beeindrucken mich zu tiefst. Während viele vor sich hin philosophieren, was der Hintergrund für diese Ausdrucksformen sei, bin ich noch beim Nachdenken, wie sie das überhaupt konnten.
Wenn ich an die Bilder in Le Toth denke, die Kinder anfertigten, dann ist jedermann klar, so schaut es aus, wenn man beginnt zu malen.
Aber so sehen diese prähistorischen Bilder nicht aus. Es sind keine Bilder von Anfängern, das ist nicht das erste Mal, dass diese Menschen hier zeichneten oder malten. Ich kann keines dieser Tiere so darstellen. Und nur weil ich etwas sehr lange beobachte, bin ich immer noch nicht fähig, es abzubilden. Das wäre ja so, wenn ich nur lange genug einem Opernsänger zu höre, lange genug mitsinge, dann würde ich wie er. Nichts da! So einfach geht das einfach nicht.
Die Beobachtung allein genügt nicht, um etwas wiederzugeben. Da muss geübt werden. Und zwar geduldig. Man konnte nicht einfach hergehen und das Blatt Papier wegwerfen, man konnte es auch nicht einfach ausradieren. Einmal geritzt, für immer geritzt. Einmal hin gesprüht, für die Ewigkeit gesprüht.
Um mit einem Zug ein Mammut vom Schwanz bis zum Rüssel authentisch in eine Wand zu ritzen, reicht nicht der Entschluss es zu wollen, auch nicht, dass ich das Bild eines Mammuts vor meinem inneren Auge sehe.
Diejenigen die diese Bilder fertigten, mussten vorher schon geübt haben. Geduldig und ausdauernd. Da wären wir wieder bei Zeit und Muße. Waren sie so getrieben, wie wir heute? War die Jagd so zeitraubend, dass für nichts mehr Platz war? Wohl nicht. Es musste Zeiten gegeben haben, wo anderes im Mittelpunkt stand.
Waren es also Künstler?
Auch das ist bei genauerer Betrachtung unrealistisch. Seit wann sprechen wir denn von Kunst? Aber waren es besonders begabte Menschen? Das vielleicht wohl. Menschen, die eine besondere Begabung hatten und diese auch pflegten. Das heißt sie übten. Kunst von Können. Vielleicht außerhalb, an Stellen, die heute verwittert sind oder vielleicht den nächsten Regen und Schneefall nicht überdauerten. Bis sie dann soweit waren, dass sie fingerfertig genug waren und sie an besonderen Stellen anbrachten.
Auch wenn Ritzungen keine bildhauerische Schwerstarbeit waren, sie gezielt und genau durchzuführen, ohne viele Korrekturen anzubringen, ist etwas Besonderes. Mit einem Stück Manganoxid mal schwungvoll einen Steinbock zu zeichnen, das soll mir mal jemand vormachen. Ich kann es nicht. Selbst wenn ich ein Buch zeichnen würde, käme es nicht wirklich überzeugend hinüber. Wie hat das jemand mal so schön gesagt, es ist mehr Ausdrucksmalerei oder Art brut.
Waren es Schamanen?
Wer sich schon einmal mit schamanischer Praxis auseinander gesetzt hat, weiß, dass es einer langen Schulung bedarf, bevor sie sich mit der Geisterwelt auseinandersetzten. Ob das die richtigen Gesänge, die wirkungsvollen Zeremonien, mit Trommeln, Musik jeglicher Art, schauspielerischen Darbietungen, Trance war. Auch hier ist es jahrelange Praxis, die einen erst zum Schamanen macht. Und ich spreche hier noch nicht von den Geheimnissen der Kräuter. Denn dass sie davon wussten, glaube ich. Nicht umsonst hatte Ötzi vor über 5000 Jahren den Pilz Birkenporling mit sich geführt, der eine antibiotische Wirkung hatte. Nicht alles was wir als Zauberei und Humbug klassifizieren, war nur Show. Es hatte auch Wirkung. So wie die Indianer durchaus Mittel gegen Syphilis hatten. Nur weil wir nichts darüber wissen, heißt es nicht, dass es nichts gibt. Wenn wir heute groß von Placebo sprechen, dann sollten wir vielleicht von unseren Selbstheilungskräften sprechen. Die können wir aktivieren und helfen uns beim Gesundwerden, aber eben nicht nur. Ob es nun eine Geisterwelt gibt oder nicht, will ich hier nicht diskutieren, aber dass die Seele Hilfestellungen annimmt, um wieder gesund zu werden, glaube ich. Auch wenn nicht alles mit naturwissenschaftlichen Methoden erklärbar ist, heißt es nicht, dass es diese Dinge nicht gibt. Vor nicht allzu langer Zeit war Magnetismus ein solches unerklärliches Phänomen. Egal ob Kräuter, Pilze oder moderne Medikamente, sie unterstützen uns, wenn unser Körper gesund werden will.
Ein Schamane ist also ebenso ein Spezialist, der besondere Fähigkeiten hat. So wie ich glaube, dass es Ärzte gibt, die einen besser unterstützen wieder gesund zu werden, wie andere. Denn Heilung ist mehr als nur ein Kraut.
Diese Gedanken führten mich zu Spezialisten.
Während das Anfertigen von Steinklingen und Beilen Fähigkeiten waren, die jeder beherrschen musste, weil sonst ein Überleben nicht möglich war, kann ich mir durchaus vorstellen, dass für diese speziellen Aufgaben wie das Anfertigen von Bildnissen und Objekten, und der Kommunikation mit der anderen Welt, besondere Menschen sich auserwählt fühlten. In der Ethnologie habe ich immer wieder von Schamanen gehört, die nicht begeistert waren, diesen Weg einzuschlagen. Durch schwere Krankheiten getrieben entschieden sie sich dafür. Nicht immer ist das, was man kann, ein leichter Weg. Vielleicht macht man es lieber, aber einfacher muss es nicht sein.
Wenn also ein Mensch, seine Fertigkeit ein Abbild eines Tieres anzufertigen, perfektioniert hatte, kam ein anderer Mensch, der die Fähigkeit erlangt hatte mit der anderen Welt zu kommunizieren, auf ihn zu und sie planten gemeinsam an einem Ritual tief drinnen in einer Höhle zu arbeiten. Nicht nur Kommunikation, sondern auch die soziale Kompetenz dieser Menschen gemeinsam etwas auszuführen, mag dahinter gestanden sein.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer allein sich dachte: Ach, heute geh ich mal ein paar hundert Meter tief in eine Höhle und male ein Mammut, aber so dass es keiner sieht und an einer besonders schwierigen Stelle, damit nur ich es sehen kann.
Für so ein schwieriges Unterfangen braucht es Planung und Zweck. Während die Bilder in den Abri oder Überhängen und Wohnhöhlen aus anderen Gründen angefertigt wurden, ist es bei Höhlen, die nicht im alltäglichen Leben benutzt wurden, ein anderes Ziel, das verfolgt wurde.
Ich bin davon überzeugt, dass es rituelle Handlungen waren. Was sie genau bezweckten, ob sie nun die Tiergeister beschworen oder andere Geister zu Hilfe riefen, ist reine Fantasie. Das werden wir nicht sagen können.
Als ich in Pech-Merle war, wurde mir bewusst, dass hier andere Menschen die Abbildungen anfertigten. Viele Bilder waren abstrakter, enthielten mehr Andeutungen als realistische Darstellungen. Sie waren anders als weiter nördlich im Vallé de Vézére.
Jede der Höhlen, in denen geritzt, gezeichnet, gemalt und gesprüht wurde, empfand ich anders. Es waren unterschiedliche Emotionen, die in mir hochkamen. Es gibt nicht den einen Zweck, den sie erfüllten. Meinem Empfinden nach waren sie unterschiedlichen Zwecken gewidmet. Gerade in Pech-Merle, das eine wunderbare Akkustik hat und herrliche Säle bietet, konnte ich förmlich die Trommeln und Gesänge hören. In Les Cambarelles, wo man nur auf allen vieren die Höhle erobern kann, wird es still, ein heimliches Zwiegespräch mit der Geisterwelt bietet sich direkt an.
Aber es waren besondere Fähigkeiten von besonderen Menschen, die nicht jedem zugänglich waren und nicht jeder fähig war auszuführen. Und dass ich mich nicht alleine so tief in eine Höhle vorwagen würde, steht noch auf einem ganz anderen Blatt. Mir war nicht bewusst, wie weit innerhalb sich viele dieser Bilder, Zeichnungen und Gravuren sich befinden. Mir ist nicht einmal klar, wie sie aus dem oft sehr verzweigten Höhlensystem wieder herausfanden, denn mein Orientierungssinn ist in unserer modernen Zeit ein äußerst beschränkter, auch wenn ich nicht überall das Navi brauche.
Und Spezialisten hatten sie. Auch wenn wir heute nur an Hand der Abschläge der Steinwerkzeuge feststellen können, dass es Begabtere und weniger Begabte gab, so wird es welche gegeben haben, die gut kochen konnten, die gut jagen konnten, die besser Spuren lesen konnten als andere, die früher die Zeichen des Frühlings lesen konnten, die Kleidung besser anpassen und langlebiger anfertigen konnten. Es gab immer schon Unterschiede zwischen Menschen. Unterschiede, die das Leben spannend machen, die aufregend sind und erst zum Übel werden, sobald sie verurteilen. Nur zur Erinnerung möchte ich einwerfen, dass es Kulturen gibt, wo Geisteskrankheiten als eine besondere Gabe gesehen werden, die eine außergewöhnliche Verbindung zu einer anderen Welt mit sich bringen. Schwarz-Weiß ist die Welt der Naiven, Shadows of Grey, jener der Ungläubigen, im Regebogen erstrahlt die Welt als Ganzes. Es ist eine Sache des Glaubens, wer dem widerspricht, glaubt einfach nur an anderes. Denn wissen tun wir beide es nicht. Falsch denkt jener, der rechthaben will.