Mehr als 30 Jahre ist es her, als ich das erste Mal in Asparn an der Zaya war. Damals bei einer Exkursion eines Studiums, das heute Kultur- und Sozialanthropologie heißt und nicht mehr Ethnologie wie zu meiner Zeit. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Manchmal sage ich noch immer Völkerkunde und es sind die seltsamsten Blicke, die ich ernte. Am liebsten wäre es mir, von Menschen zu sprechen und ihren verschiedenen Kulturen. Aber auch da bleibt der Erklärungsbedarf nicht aus, wenn man den Begriff genauer ansieht. Egal.
Jeder Schritt, besser zu verstehen, wie alles lebt, führt dahin, toleranter zu werden. Es hilft zu begreifen, dass Unterschiede zum Leben gehören und sie das eigentlich besondere am Leben sind.
Ich bin also morgens von einem modernen Urnengräberfeld nach Asparn an der Zaya aufgebrochen. Einem Friedhof von dem nichts, aber absolut nichts übrig bleiben wird, zu einem Museum, wo mühsam Überreste aus weit vergangenen Tagen zusammengetragen werden. Was für ein Widerspruch!
Der oberste Stock des Schlosses ist der ältesten Zeit gewidmet. Unentschlossen begann ich meinen Rundgang und auch im Nachhinein kann ich nicht sagen, ob der Weg ein zeitliches Muster verfolgte. Es waren mehr die Objekte, die sich zusammenfanden, Grüppchen bildeten und zu Themenkreisen zusammengestellt wurden. Doch ich will immer mehr. Ich will Geschichten. Einzelne Teile, deren Bindeglied „Jungpaläolithikum“ heißt, ist mir zu wenig. Schließlich umfasst jene Zeit einen Rahmen von über 30.000 Jahren, damals als die ersten anatomisch modernen Menschen Europa betraten. Also suchte ich und wurde nicht enttäuscht.
In den letzten Jahren konnten in Niederösterreich die ältesten Fundschichten der ersten Europäer in Willendorf nachgewiesen werden. Menschen kamen an diesen Platz, lange bevor Willendorf gegründet wurde. Vor 43.500 Jahre lagerten sie in der Wachau (Das ist der Bericht der Grabung: Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type environment). Damit ist klar, dass sie mindestens einige tausend Jahre zusammen mit Neandertalern in dieser Region lebten. Neun markante Schichten konnten Archäologen feststellen, die von wechselndem Klima erzählen. Also Schichten, die dick genug waren, dass sie noch heute herausstechen. Wie herausragend dies ist, wurde mir erst klar, dass die ältesten Knochen außerhalb Afrikas 44–46-000 Jahre sind, gefunden in Sibirien.
Es muss ein guter Platz gewesen sein, zum Lagern und sichfür einige Zeit niederzulassen. Das Land rundherum Steppe, geprägt von Gräsern aber noch viel mehr von Kräutern wie Wegerich, Beifuß, Schafgarbe, Chrysanthemen, Kuhschellen und Silberwurz, Mose und Flechten bildeten Polster, und Heidekrautgewächsen brachten hin und wieder etwas Farbe in die Landschaft. In den Flusstälern wie Donau, Thaya oder Krems gab es Nadelwälder, mit Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen, schreiben die Wissenschaftler. Das war neu für mich.
Bisher hatte ich immer die Vorstellung einer Steppe ohne Bäume gehabt, aber ich habe mir meine Bilder von der Prärie in den USA nochmals angeschaut, und gesehen, dass es in den weiten Flächen immer wieder Bäume gibt.
Die meisten Quellen berichten nie von Bäumen, die Steppe wird als reine Graslandschaft beschrieben. Ich begann nach Klimadaten zu suchen, weil mir nicht klar war, welche Unterkünfte sie gehabt haben könnten. Aber Bäume und Mammutknochen geben gute Stützen ab, ob sie nun ähnlich wie ein Tipi (das wir klassisch als Indianerzelt ansehen, auch dies ist eine Unterkunft von Präriebewohnern, also Menschen, die in einer Steppe wohnen) oder ein Wigwam (ein Kuppelzelt) oder der Kote, der Behausung der Samen (die genetisch gesehen, mit diesen ersten Wildbeutern noch am nächsten verwandt sind), aussahen, werden wir nie erfahren.
Immer wenn es kälter wurde, deckte der Löss alles immer wieder sanft zu, somit konnte es bis heute erhalten bleiben. Ich frage mich, wie lange es braucht, bis eine solche Schicht sich bildet. Wenn ich meinen Balkon nicht kehre, bildet sich eine dünne Sandschicht, kaum sichtbar. Selbst wenn der Wind aus der Sahara Sand hereinweht, dann würde es doch lange Zeit brauchen, bis sich 10 Zentimeter dicke Schichten bilden. Bis zu 40 Meter dicke Schichten werden in Krems gemessen. Die Schichten können aus jenem Grund beschrieben werden, weil sie unterschiedliche Färbung aufweisen. In sehr kalten Zeiten ist es reiner Lös, sehr hell, und in allen wärmeren wurde die Erde dunkler. Als die aktuelle Warmzeit begann, konnte der helle Löss in die dunkle, sehr fruchtbare Schwarzerde umgewandelt werden. Kalt war es damals,die Temperaturen im Sommer so wie jetzt im späten Herbst. Bis 20° sollen es an einem Hochsommertag erreicht haben, allerdings sollen die Winter nicht so hart, wie ich erwartete hatte, gewesen sein. Doch das Klima war nicht über mehrere Jahrtausende gleich. Es war manchmal wärmer, manchmal kälter. Meine Bemühungen, eine Grafik über das Auf und Ab der Temperaturen für genau jene Zeit zu finden, musste ich aufgeben. Ich wollte ein Gefühl für die wechselvollen Temperaturen bekommen, aber ich fand keine Tabelle für diese Zeit. Ich weiß nur, dass es vor 20.200 Jahren erheblich kälter wurde, bis vor 11700 Jahren (9.700 v.Chr.) die jetzige Warmzeit begann.
In der Ferne mussten sie es weiß glitzern gesehen haben, die vergletscherten Alpen waren nicht weit entfernt: nur 40 km waren es bis zu den ersten Gletscherzungen. Manche sagen, dass sie die Flusslandschaften im Sommer mieden, denn so wie heute im Norden Gelsenschwärme unerträglich werden können, wäre es damals am Fluss auch gewesen. Im Winter war die Donau zugefroren. Sie konnten auch auf die andere Seite wechseln. Da es in den Eiszeiten trockener war, war das Wetter nicht schlecht. So konnten sonnige Wintertage durchaus angenehm sein.
Die Felder, die mich im Weinviertel umgaben, helfen mir bei der Vorstellung, wie die Landschaft von damals aussah. Sie erinnern mich aber auch daran, wie sehr in der Zwischenzeit der Mensch die Landschaft verändert hat, kein Fleck blieb unberührt: Kulturlandschaft ist sie geworden. Die Vorstellung einer Steppe fällt hier um Mistelbach zumindest leichter, als in der Wachau mit ihren Marillenbäumen und Weinstöcken. Als ich vor einigen Jahren in Willendorf spazierte, versperrten Büsche und Bäume die Sicht. Aber ich werde noch einmal dort hinfahren, um zu schauen, ob ich mich doch ein wenig in diese älteren Zeiten zurückversetzen kann.
Damals zogen Tiere wie Mammuts oder Rentiere in Herden über die sanften Hügel, sie fanden in dieser Kargheit noch immer genug Futter. Mammuts waren auch die ersten Funde im 15. und 16. Jahrhundert, die in dieser Gegend gefunden wurden. Auch wenn auf dem Bild Rinder grasen und man sich die Leitungen wegdenken muss, kann es von der Ferne so ähnlich ausgeschaut haben.
Diese ersten modernen Europäer waren Jäger und Sammler und aßen viel Fisch, manche Untersuchungen ergaben, dass bei einzelnen untersuchten Menschen 40–60% der Nahrung aus Fisch bestand. Sie waren dunkelhäutig und hatten blaue Augen, das sagen uns die aktuellen genetischen Analysen (siehe Film untern mit einem Vortrag von Johannes Krause). Das muss für uns heute, sehr fremd aussehen, wir kennen keine blauäugigen Schwarze.
Sie lebten länger in dieser Region, als wir und alle später Ankommenden. Die Wachau musste schon damals freundlicher als andere Gegenden gewesen sein. Die hellere Hautfarbe wurde evolutionär erst bei den Ackerbauern zu einem Vorteil und setzte sich damals durch, da die bevorzugte Pflanzennahrung zu wenig vom wichtigen Vitamin D enthielt.
Eine Vitrine widmete sich Frauenfigurinen, die im Raum Niederösterreich gefunden wurden.
Ich möchte mit der berühmtesten alten Österreicherin beginnen, der Venus von Willendorf, auch wenn man sich hier ihr nicht wirklich widmet, gehört sie für mich unverzichtbar dazu. Sie hatte ich vor kurzem im Naturhistorischen Museum in Wien besucht. Aber wie so oft, ist für mich ein Objekt, allein für sich gesehen, recht blutleer. Ich merke mir weder, wann es hergestellt wurde, noch irgendwelche anderen Details. Es sind diese speziellen Momente, die mich reizen, mir ein Bild zu malen. Selbst die Grafik, die ich schon in Frankreich sah, die auf einer großen Landkarte die Fundplätze verschiedener Figurinen zeigen, erklärte mir zu wenig. Es gibt mir ein Gefühl der Gleichzeitigkeit, doch wurden diese kleinen Frauenfigurinen über mehrere 10.000 Jahre lang hergestellt. Und ich habe schon Schwierigkeiten mir eine Dauer von 2000 Jahren vorzustellen. Zu dieser Zeit waren die Römer in ganz Europa und dem Mittelmeerraum unterwegs, das fühlt sich unendlich lang an.
Die Willendorferin ist aus Oolith, einem Kalkstein aus der Brünner Gegend, wie auch andere dort gefundene Gegenstände aus Feuerstein, der auch von dort stammt, belegen. 136 Kilometer Luftlinie oder 32 Stunden zu Fuß, wie mir Google Maps verrät, also eine mehrtägige Wanderung muss es gewesen sein. Für uns schwer vorstellbar, wie Menschen damals zu Fuß in einem so weiten Raum umherzogen. 29.500 Jahre alt ist die kleine 11 cm große Lady, das ergaben die neuesten Analysen der Schicht, in der sie gefunden wurde. Mehr als 10.000 Jahre nach den ersten Ankömmlingen wurde sie hergestellt.
Eine kleine nachgemachte Venus in meiner Hand und es fühlt sich gut an, wie dafür gemacht.
Welche Bedeutung weibliche Figurinen haben, können wir heute nicht mehr feststellen. Aber ich verstehe, dass die Objekte klein waren, denn so konnte man sie mitnehmen. Wenn du mit deinem ganzen Hab und Gut immer wieder aufbrichst, um den Herden zu folgen oder ein klimatisch günstigeren Ort aufzusuchen, und du alles tragen musst, dann werden Gegenstände, die keinen praktischen Nutzen haben, sondern einen kulturellen Hintergrund aus welchem tieferen Grund auch immer, eine Größe haben, die unter diesen Umständen vernünftig ist. Eine lebensgroße Statue würde simpel keinen Sinn ergeben. Und ich verstehe ja, dass sie auf eine besondere, aber sehr moderne Weise ausgestellt werden, aber es ist ein sehr distanziertes Aufeinandertreffen. Als ich sie nun diese Kopie nun zum ersten Mal in meine Hand nahm, und sie nicht nur als Objekt betrachtete, war ich seltsam berührt. Ich fühlte mich verbunden mit der Erde und allem, was unser Leben ausmacht. Ich werde sie wohl in Zukunft öfter in die Hand nehmen.
Schade, dass die Willendorferin keinen Namen bekommen hat, wie die Fanny von Stratzing, diese wird manchmal auch Venus vom Galgenberg gerufen, aber Fanny gefällt mir besser. Fanny, weil sie aussieht wie eine Tänzerin und man dachte an Fanny Elßler. Den Arm nach oben streckt, sieht sie aus, als ob sie sich um die eigene Achse drehen möchte. Sie ist aus Schiefer hergestellt.
Und sie ist noch ein Stück älter. Ganze 6.500 Jahre.
Mit 36.000 gehört sie zu den Ältesten all dieser Frauenstatuetten, die in ganz Europa bis weit nach Russland hinein geschnitzt wurden. Dieser Zeitrahmen ist irgendwie gar nicht mehr vorstellbar.
Es muss immer wieder Zeiten des Überflussgegeben haben oder Zeiten, wo es nichts anderes zu tun gab, in kalten Winternächten am flackernden Feuer vielleicht. Neben den geschnitzten Figurinen werden auch Fragmente aus Knochenflöten gefunden — in Niederösterreich wurde eine 19.000 Jahre alte, doch die älteste fand sich in einer Schicht, die auf 31–40.000 Jahre alt datiert wurde, in Deutschland in der Schwäbischen Alb am “Hohle Fels”. Wer schon mal geschnitzt hat, weiß, ganz so einfach ist es nicht. Viel mehr berührt mich, dass sie Musik gemacht haben, wie immer sie auch geklungen hat. Und heute denken wir darüber nach, die künstlerischen Fächer in Schulen gestrichen werden. Dabei sind es gerade diese Dinge, die mich so berühren, weil sie uns Menschen so auszeichnen.
Muscheln und Zähne werden als Anhänger für Ketten verwendet, mit Löchern versehen an ein Band gehängt als Schmuck mit einer persönlichen Bedeutung. Schmuck alleine erscheint mir zu trivial. Es wird nicht nur schön, sondern auch mit Inhalt versehen sein. Reste von rotem Ocker (Rötel) wird auf vielen Gegenständen gefunden, Rötel verwendeten auch Neandertaler. Wozu wissen wir nicht, es wurden nur Farbenreste gefunden.
Auch die Venus von Willendorf war ursprünglich mit diesem roten Pulver eingefärbt worden, oft enthalten Muschelschalen diesen Farbstoff, vielleicht dienten sie als kleiner Farbtopf. Das Leben war also nicht nur vom reinen Überlebenskampf geprägt, wie man es sich gerne vorstellt. Es wurde gefeiert, Musik gemacht, mit Geschichtenerzähler sind sie am Lagerfeuer gesessen, jene Menschen, die die ersten Mythen entwarfen, die halfen, die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Ich mag sie nicht Schamanen nennen, aber Menschen, die vielleicht spirituelle Führer waren. Menschen machten sich hübsch mit Perlen aus Muscheln und Elfenbein. In Russland wurde ein 30.000 Jahre alte Gräber gefunden, wo ein Mann mit 3000 Elfenbeinperlen, die vermutlich Teil der Kleidung waren, lag. Sie verwendeten Farben. Vermutlich auch Schwarz der Kohle. Rötel war ein Stoff mit tiefem Hintergrund sein, Rot wie das Blut, vielleichten Symbol für das Blut der Erde.
Ein Grab zweier Säuglinge wurde in Wachtberg/Krems ausgegraben, das 32.000 Jahre alt ist. Ein Video der APA berichtet von den Ergebnissen. Berührt hat mich, wie sie die beiden gegenüber lagen, als ob sie schlafen würden. Sie wurden dick mit Rötel eingehüllt und vorsichtig mit dem Schulterblatt eines Mammuts abgedeckt. So konnten sie über diese lange Zeit erhalten bleiben.
Die Kindersterblichkeit war groß und gehörte trotz allem nicht zum Alltag. Menschen trauerten. Skelette von Kindern können nur an Begräbnisstätten gefunden werden, zu dünn sind die Knöchelchen, als dass sie so lange Zeit überdauern. Sie wurden mit großer Sorgfalt zum letzten Schlaf meist in Hockerstellung niedergelegt. Kleine Elfenbeinperlen zeigen, dass ihnen Wertvolles mitgegeben wurde, weil sie für die Gesellschaft einen Wert hatten. Sie werden wahrscheinlich bekleidet gewesen sein und eingehüllt in roten Ocker, der bis heute sichtbar ist.
Aus Feuerstein, auch Silex genannt, wurden Werkzeuge hergestellt. Auf irgendeiner Reise habe ich einen seltsamen Stein aufgehoben und mitgenommen, erst viel später sah ich andere, ähnliche und verstand, dass ich ein Stückchen Feuerstein mitgenommen hatte. Für mich ist es ganz besonderer Stein, weil er so wichtig für meine Vorfahren war.
Als dann vor 7000 Jahren die ersten Ackerbauern nach Europa kamen, lebten sie neben den Wildbeutern und sie bekamen Kinder. Sie begannen Kreisgrabenanlagen zu errichten. Davon nächste Woche.
Ich ahnte schon, dass ich irgendwann wieder einen Informationsoverload bekomme. Aber mein Puzzle geht weiter:
Ein Museumsbesuch kann manchmal eine wunderbare Ersatzhandlung sein. Statt Stonehenge zu besuchen, lerne ich ein wenig darüber und drumherum. Ich reise mit meiner Fantasie nicht nur in andere Gegenden sondern auch in eine andere Zeit zu anderen Menschen, Menschen, die irgendwo auch meine Vorfahren waren.
Da bis 27.11.2016 im Mamuz in Mistelbach/Niederösterreich eine Ausstellung über Stonehenge läuft, habe ich mich aufgemacht und mir die Ausstellung angeschaut. 3 Stunden bin ich herum gegangen, habe mir alle Videos angeschaut, habe manchmal bei Führungen zugehört, habe mich neben eine gelangweilte 17-Jährige gesetzt und ihr von Reisen erzählt und eine meiner Lieblingsgeschichten, die ich schon Laura von den Ahousat erzählt hatte, ausgepackt. Es ist eine Geschichte vom Anbeginn der Zeit.
Einen Tag später habe ich verzweifelt versucht, alle Fragen, naja ziemlich viele, zumindest solche, die auch beantwortet werden können, durch Lesen und Schauen und Hören zu lösen.
Langsam klären sich Dinge, die für mich noch offen geblieben sind. Wahrscheinlich ist es einfach meine Ausbildung als Ethnologin, dass ich erst mal ein wenig über die Leute wissen will, denn sonst könnten es wohl auch Außerirdische sein, die Steine aufstellen (wozu sollen Außerirdische soweit reisen, um dann sinnlos Steine anzuhäufen?) und dann wäre es mir ziemlich egal. Aber Menschen interessieren mich. Die Kleine neben mir hat mich gefragt, ob ich, wenn es möglich wäre, zum Mars fliegen wollte. Zu meiner eigenen Überraschung verneinte ich blitzschnell. Es gibt so vieles, was ich hier noch zu lernen und zu verstehen habe, und der Mars hat nichts davon.
Es ist das Leben, unser Leben, von dem ich nicht satt werde, mehr zu erfahren.
Wer waren also die Menschen, die so viel Zeit hatten, etwas Riesiges, Gewaltiges, beinahe Überirdisches aufzustellen?
Es waren Bauern, die ersten in Europa. Die aus Anatolien kamen, Gerste und Weizen, genau genommen wird es Einkorn oder Emmer gewesen sein, in den Taschen mitbringend, Schafe und Ziegen vor sich hertreibend, die es vorher in Mitteleuropa nicht gegeben hat, Rinder und Schweine, die es hier schon gab, aber nicht für den Hausgebrauch gezähmt, nicht zu vergessen. Dank der Genetik ist eines klar, es gab keinen Kulturtransfer, sondern Menschen kamen und brachten ihre Kultur mit. Die Sarden haben heute noch am meisten Gene mit diesen ersten Migranten gemein, sind genetisch also noch am meisten mit diesen alten anatolischen Bauern verwandt. So wie Ötzi mit diesen genetisch verbunden war. Die Sarden und Ötzi waren mit den Migranten, den Viehzüchtern und Ackerbauern aus Anatolien verwandt. Und die Jäger und Sammler, die die ersten Flüchtlinge aus Afrika waren, lebten noch sehr lange Zeit neben ihnen. Und sie sahen so aus, wie heute niemand mehr aussieht, die waren dunkel, sie waren Schwarze mit blauen Augen. Das erzählen zumindest ihre Gene. (Und die Neandertaler ebenso, auch wenn sie in Museen ganz anders ausschauen) Die ersten Europäer waren, wie alle späteren auch, Afrikaner. Das Vitamin D der Sonne brauchten allerdings erst die Bauern, die sich hauptsächlich vegetarisch ernährten, Joghurt und Käse vielleicht, hin und wieder mal Fleisch, aber viel zu wenig und sie wurden weiß. Aber die Milch vertrugen sie damals auch nicht. Joghurt und Käse besitzen kaum Milchzucker. Milchtrinken ist wohl das Urtypischte der Europäer. Alles andere kann diskutiert werden.
Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte erzählt es sehr begeistert und anschaulich und mir macht es riesigen Spaß, die Geschwindigkeit wie durch die Genetik die alten Interpretationen der Historiker durcheinander geschüttelt werden. Er kann Geschichten erzählen. Die andere Forscher dieser Vortragsreihe fesseln mehr durch Inhalt nicht durch Vortrag. Und mit Amüsement stelle ich fest, wie manchen die Ergebnisse der Genetik nicht gefallen, denn es passt nicht zu ihren Theorien.
Bevor diese Migranten aus dem Süden kamen, sah es in Großbritanniens anders aus. Die Insel war bewaldet, es wuchsen Kiefern, Eichen, Buchen, Erlen und Pappeln. Dazwischen gediehen Gräser, Kräuter und ein paar Büsche werden wohl auch dazwischen gewesen sein. Als Nachwehen der Eiszeit gab es Steppenlandschaften, die sich wohl mit der zunehmenden Wärme in den Norden zurückzogen. In den Wäldern lebten Wölfe, Auerochsen, Hirsche, Moorhühner und zahlreiche Nagetiere. Erst die Ackerbauern fällten Bäume, und ihre Ziegen, Schafe und Rinder verhinderten, dass der Wald zurückkam. Die ältesten Funde gehen auf 6000 v.Chr. zurück. Sie machten Europa zu dem, das wir kennen. Statt eines riesigen undurchdringlichen Waldes wird das Land offen.
Es war keine Verbreitung der kulturellen Technik des Ackerbaus und der Viehzucht, sondern es waren die Menschen, die selber kamen und was mitbrachten. Und sie kamen langsam. Viele 100 Jahre, ja 1000e Jahre vergingen, bis sie sich von Nordanatolien über die Donau, Italien und Spanien in den Norden bewegten. Es waren genetische Untersuchungen, die ergaben, dass die ersten Europäer, die vor 40.000 Jahren kamen und als Sammler und Jäger lebten, sich genetisch von den Ackerbauern unterschieden. Was mich immer noch verblüfft (was mit großer Leichtigkeit geschrieben wird), die kamen auch auf die iberische Halbinsel und Süditalien. Mit Booten? Sind sie da Nordafrika entlang gekommen? Nicht nur Bauern, sondern auch Seeleute? Mich erstaunt dies noch immer, erklärt mir aber andererseits auch, wie sie nach Großbritannien kamen, denn, als sie kamen, war die Insel zu Insel geworden. Die Jäger und Sammler kamen noch trockenen Fußes dorthin.
Diese neuen Forschungsmethoden wirbeln ganz nett die alten Vorstellungen durcheinander, halten mich auf Trab, denn ich schau inzwischen immer nach, ob es neuere Erkenntnisse gibt. Das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte ist da eine gute Adresse.
Es waren also Bauern, die die Wälder rodeten und die ersten hölzernen Henges aus dicken alten Eichenstämmen errichteten. Diese ersten Bauern begannen in ganz Europa Steinmonumente zu errichten, und zugleich veränderten sie das Land massiv. Die dunklen Wälder verschwanden langsam aber sicher. Der Mensch verändert das Land massiv und zwar seit es sie gibt und sie sich über den Erdball ausbreiten. Selbst die Aborigines veränderten das Land massiv durch Brandrodungen. Menschen verändern die Welt, immer schon.
Und der Mensch wird sich seiner selbst bewusst, aber auch über das Unberechenbare und schafft Begründungen für Unerklärliches. Daran hält er sich fest und es gibt im Sicherheit. So entstanden die ersten spirituellen Plätze.
In der Nähe von Stonehenge gibt es warme Quellen. Diesen Gewässer frieren nie zu, das bedeutet, dass Tiere auch im Winter dorthin zogen. Seltene Rotalgen wachsen dort und nimmt man einen Stein heraus, verfärbt er sich während des Trocknens in ein wildes Pink. Aber ob warm oder kalt, Quellen haben Menschen immer schon fasziniert. Selbst heute sind sie Ziel für und Ort von Erscheinungen. Wasser gehört irgendwie dazu, ob es die Taufe ist oder bei Marienerscheinungen wie in Lourdes.
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Archäologen bei spirituellen Plätzen sich sehr an die materielle Kultur anlehnen. Viele alte Kirchleins stehen auf noch älteren Kultplätzen. Soll hier der einzige Grund jener sein, dass vorher auch schon etwas Religiöses dort war? Oder vielleicht gibt es bestimmte Kräfte, die wir heute noch nicht messen können, so wie der Strom vor 200 Jahren etwas Magisches war.
In diesen offenen Flächen beginnen sie riesige Monumente zu errichten, aus Holz Kreisgrabenanlagen, Steinkreise wie in Stonehenge, Menhire, Dolmen. Was mich dabei fasziniert ist nicht nur, die technische Begabung, die wir uns noch immer nicht ganz erklären können (Steine von weit her transportieren, das Aufrichten, das Ineinanderfügen der viele Tonnen schweren Steine…), sondern auch der geistige (spirituelle) Hintergrund, von dem wir nur ahnen können, was er sein könnte, aber auch wie viele Menschen so viel Zeit opfern konnten, um diese Plätze zu dem zu machen, was sie sind. Es muss auch Überfluss gegeben haben, denn das Essen und Trinken geht immer noch vor.
Alles erzählt uns etwas. Ich komme ins Schmunzeln bei den vielen Theorien. Warum denken sie so kompliziert?
Jahreszyklen sind für Bauern immer wichtig gewesen (siehe Bauernkalender), die dunkle Jahreszeit grimmig (siehe Perchten in Salzburg und Tirol), das Gedenken an Ahnen (Allerheiligen und Allerseelen) in jeder Kultur vorhanden, das Verbundensein verschiedener Kultplätze durch Wege (ob Jakobsweg oder das Pilgern nach Mariazell) lange Tradition in vielen Gesellschaften.
Vor 5100 Jahren begannen Menschen einen ersten Wall zu errichten.
Stonehenge stand von 3100 v. Chr. bis 1600 v. Chr. in Verwendung, veränderte sich immer wieder, was verwundert erwähnt wird. Es sind 1500 Jahre. Was haben wir heute mit den Menschen von 6. Jahrhundert gemeinsam? Wir haben keine Idee. Wir würden ihre Sprache nicht verstehen und das Essen würde uns wahrscheinlich auch nicht schmecken. Das ist verdammt lange her und in unserer Kultur gab es Schrift, um Dinge festhalten zu können. Klar haben sich Bedeutungen und Rituale verändert. Wir feiern heute die Messe auch nicht mehr so, wie vor 100 Jahren. Wenn es nicht irgendwer aufgeschrieben hätte, wir wüssten es nicht mehr.
Spannend finde ich auch, dass es ein weit größeres Areal umfasst. Durrington Walls liegt 3,2 km entfernt, dort haben die Forscher der Ludwig Boltzmann Instituts und der Universität Birmingham einen viel älteren Henge gefunden. Die gesamte Gegend ist durchzogen von verschiedenen Ritualplätzen.
Was ich beim Besuch des Museums gelernt habe, ist, dass meine Neugier unendlich groß ist, ich immer mehr wissen will, es immer noch etwas gibt, das ich verstehen will. Ich kann das Mysteriöse einfach stehen lassen. Sein-lassen. Alte Plätze als Orte, der den Vorfahren heilig war, als solchen annehmen. Ein Raum, dem ich mich nähere mit der Achtung vor verschiedenen Religionsbildern.
Sie dienen immer dazu, das Unbegreifliche fassen zu können. Und alle wissen, wir können es nicht. Glaube ist unangreifbar. Nur Vernunft und Weisheit ist ein guter Freund. Denn es bleibt uns nichts anderes als Respekt und Wertschätzung. Vielleicht wäre heute wichtiger als alles andere, dass wir uns gegenseitig respektieren. Sonst scheitern wir beim Menschsein. Oft genug sind wir nicht fähig, das Glaubensbild anderer stehen zu lassen, ohne Wertung und Verurteilung. Wenn alle mit diesen Bildern so umgehen, dann ist die Welt gerettet.
Die Aufregung stieg damals 2013, aber die Reise sollte anders verlaufen als ursprünglich gedacht.
Ich plante sie, um mehr über meinen Vorfahren zu erfahren und zwar jener Europäer, die zum ersten Mal diesen Kontinent betraten.
Wohin nur soll ich mit den Eindrücken,
wo ich in eine andere Welt eintauche.
Die Welt die Heimat und doch nicht Heimat ist.
Ich liebe kurze Ausflüge in andere Welten. Die Welten sind vielfältig, egal ob Orte, Musik, Malerei, ein gutes Essen. Reisen ist eine Form, sich dem Universum zu öffnen.
Nachdem mich die letzten großen Reisen nach Australien und an die Westküste Nordamerikas geführt hatten, wollte ich auch in Europa bleiben — in der Nähe meiner Mutter.
Zu den Beiträgen geht es hier lang.
Ich wollte dem näher kommen, was die Menschen, die als erste in Europa lebten, erfuhren. Es geht nach Frankreich. Dort gibt es viele Höhlen, die durch ihre Malereien und Felsritzungen berühmt sind. Ich bin gespannt, was es noch alles zu erzählen geben wird. Ich werde in die Dordogne fahren, um dort die letzten Reste dieser Menschen anzusehen, aber auch die Landschaften auf mich wirken zu lassen, durch sie zogen.
Ich werde an meine persönlichen Vorfahren denken und an jene, die vor paar 10.000 Jahren aus Afrika nach Europa kamen. Die Reise wird ruhiger und besinnlicher werden als frühere. Doch gespannt bin ich auch diesmal.
Unerwartet und doch erwartet starb vergangene Woche meine Mutter. Sie wäre bald 81 geworden. Es wird also auch eine Reise werden, die ich ihr widme. Meine Mutter wird bei mir sein.
Die Limitierung der Besucher ist nicht nur ein Schutz für die Höhle, sondern auch ein Gewinn für die Besucher. In kleinen Gruppen ist die Führung intimer, für mich ganz intim, da ich nicht Französisch spreche. Nur an wenigen Stellen hätte ich gern gewusst, was da alles erzählt wird. Aber so konnte ich mehr Staunen. Ich hätte ja überall noch gerne Zeit für mich verbracht, aber das geht nun mal nicht. Und so ist es auch gut.
Das Seltsame ist, wenn ich mir Bilder betrachte, ich deren Unterschiede schon sehen kann, aber die Art der Höhle hat noch ganz viel mit der Wirkung dieser Malereien, Zeichnungen, Gravuren, Reliefs zu tun. Ich habe immer nur von der Wirkung der Bilder gelesen, aber die Höhle an sich hat ganz viel Ausdruckskraft.
Es ist ein Unterschied, ob es eine schmale, niedrige Höhle ist, in die man hineinkrabbeln musste, um etwas in den weichen Kalkstein zu ritzen, ich aber die Begrenzungen der Höhle rund um mich erkenne (Les Combarelles). Um sie heute betreten zu können, wurde extra gegraben, damit wir aufrecht durchgehen können. Irgendwie nimmt uns dies die Chance zu erkennen, wie es sich anfühlte, als vor 15000 Jahren in diese Wände geritzt wurde.
Combarelles I enthält an die 800 Ritzzeichnungen. meist handelt es sich um Tierdarstellungen, aber auch einige menschliche Abbildungen sind zu sehen (insgesamt 48). Am häufigsten sind die Wildpferde, von denen an die 140 Abbildungen vorhanden sind, gefolgt von Wisenten, Auerochsen, Bären, Rentieren, Mammuts und Hirschartigen. Menschendarstellungen sind meist nur stilisiert dargestellt. Daneben gibt es abstrakte Abbildungen, die sogenannten tektiformen (von lat. tēctum = Dach) bzw. dachförmigen Zeichen.
Sie krabbelten auf allen Vieren hinein, mit dabei waren Lampen, die gefunden wurden, mit Tierfett gefüllt und mit Wacholderzweigen entzündet. Frisch hineingeritzt waren sie viel deutlicher sichtbar als heute, denn der frische weiche Kalkstein zeichnete sich deutlich weiß ab. Die Schatten, die durch das flackernde Licht geworfen wurden, mussten viel lebendiger gewirkt haben, als heute.
Es muss eine sehr stille, meditative Stimmung geherrscht haben, denn es war nur möglich hintereinander in die Höhle zu kriechen. Vielleicht war es tatsächlich immer nur einer, der sich in die Tiefe des Berges vorwagte, und hier auf eine sehr intime Art mit den Tieren kommunizierte. Wie in einem Traum muss die Dunkelheit auf diese Menschen gewirkt haben.
In der anderen, die vergleichbar schmal ist, doch sich die Höhle nach oben hin verliert, weil es 8 Meter hinaufgeht, verlor sich die Bedeutung des Menschen auf andere Art und Weise. In Font-de-Gaume ist es nicht nur die Tiefe, die man ahnen konnte, die Tiere erhielten Farben, sie wurden größer und sie traten auch miteinander in Kontakt. Der Hirsch, der sich zu äsenden Hirschkuh hinabbeugt, überraschte mir auf Grund der Zärtlichkeit, die dieses Bild ausstrahlt. Die Fackeln oder Fettlampen können dies gar nicht ausleuchtet haben. Sie haben immer nur im direkten Umkreis sehen können. Und weil es nicht unheimlich genug ist, haben sie noch einige Meter oberhalb des Bodens Tiere abgebildet, die ich als Besucherin gar nicht sehen kann. Das bedeutet sie haben Gerüste gebaut oder sind auf den Schultern eines anderen gestanden. Die Art und Weise, wie hier mit den Tieren kommuniziert wurde, fühlt sich völlig anders an. Es ist ein Unterschied, ob ich liegend die Tiere verkleinert in die Wände kratze, oder ob ich aufrecht stehend, vielleicht noch erhöht, die gewaltige Kraft eines Büffels auf die Wand sprühe, mit der Farbe in meinem Mund. Es ist so als ob ich die Energie und Lebendigkeit in mich aufnehmen könnte.
Es war Font-De-Gaume, wo ich nochmal eine Führung auf English mitmachte. Sie hat mich nicht so beeindruckt wie andere. Und auch die englische war nicht so gut. Vielleicht nehmen sie viel von der Impression des Ganzen, da auf den verkauften Bildern die Objekte viel deutlicher zu sehen sind, als in der Höhle selbst. Deshalb wollte ich auch nochmal hinein. Leider erschien mich das viel mehr an eine Verkaufsveranstaltung zu erinnern. Wenn mir ein anderer sagt, dass etwas gewaltig ist und ich beeindruckt sein muss, stiehlt er mir mein Gefühl. Sie zeichnen mit einem Pointer die Gestalt der Tiere nach und ich konnte mir nicht helfen, es enthielt viel mehr von der Überraschung dieses Tier zu erkennen, als von dem Faktum, dass hier ein Mensch einen Büffel oder einen Hirsch darstellen wollte.
Doch die riesige Höhle in Rouffiniac überfiel mich völlig unerwartet. Es ging tief hinein, viele Abzweigungen machten es zu einem Abenteuer für sich. 700 Meter sind wir mit einer kleinen Eisenbahn hineingefahren. Überall Abzweigungen, Löcher, die ins schwarze tiefe Unbekannte gingen, die Ausspülungen, die ein Fluss, viele Jahre bevor ein Mensch die Höhle betrat, als bizarre Bilder zeichnete, nahmen mir den Atem. Und dann taucht plötzlich eine Herde von Mammuts auf, die sich hintereinander auf unbekanntes Land zu bewegten. Menschen stiegen in diese Untiefen hinab, um unten weitere Bilder zu zeichnen. Und in dem heute riesigen Saal lagen sie am Rücken, zeichneten Tiere in realistischer Größe, die sie nicht einmal als Ganzes sahen, denn der Abstand zu Decke, war nur sehr gering. Während in Combarelles die seitlichen Wände benutzt wurden, ist hier auch die Decke als Bett für diese Tierbilder verwendet worden. Auf dem Rücken liegend hat ein Mensch mit Manganoxid die Umrisse wirklichkeitsgetreu zeichnen können, ohne die großen Tiere jemals komplett erfassen zu können, weil es nicht möglich war, einen Schritt zurückzugehen.
Mein Entschluss Pech-Merle zu besuchen war richtig. Hier fand ich erstmals nicht nur einen Saal. Es war kein Ort, den einer allein aufsuchen musste, hier war Platz für viele. Die Fußabdrücke von einem Jugendlichen und kleinen Kindern, die hier konserviert wurden, geben davon Zeugnis. Als uns die Höhle gezeigt wurde und das Echo der Führerin den Raum erfüllte, legte bei mir einen Schalter um. Ich hörte Trommeln und Stimmen, die hier die Winkeln und Ecken ausfüllten. Zu den Bildern gesellten sich die Stalaktiten und Stalagmiten, die den Raum zusätzlich verzierten. Hier war endlich auf Platz für Bewegung und Tanz. Hier waren es andere Dinge, die zu besonderen Erfahrungen einluden. Ob Manganoxid tatsächlich, wenn es mit Spucke versetzt, bewusstseinsverändernde Zustände auslöst, wie ich wo lesen konnte, weiß ich nicht. Doch die zahlreichen Umrisse von Händen, die damit erzeugt wurden, lassen diese Idee glaubhaft erscheinen.
Höhlen waren Plätze, die nie als Wohnorte dienten. Anders als in den Abri oder Überhängen, wo unglaublich viele Überreste des Alltagslebens gefunden wurden, waren dort kaum vorhanden. Es waren besondere Stellen, die zu besonderem einluden und aufforderten. Tief, viel tiefer als ich mir je vorgestellt habe, sind Menschen in diese Höhlen hinein und haben dort etwas hinterlassen, das wir heute nur interpretieren können. Das Geheimnis wird verborgen bleiben. Doch da diese etwas so Besonderes sind, werden es für mich spirituelle Orte sein. Orte, wo man mit einer anderen Welt Kontakt aufnahm. Was immer sie dort erlebten, es wird ihnen im Alltag eine Hilfe gewesen sein. Denn wäre es nicht so gewesen, wozu hätten sie diese Unannehmlichkeiten auf sich genommen. Es wird einen Nutzen gehabt haben. Vielleicht sind wir diejenigen, die etwas verloren haben, da wir nicht mehr fähig sind, auf diese Hilfe zurückgreifen zu können.
Wer von uns würde tief hinabsteigen, um ein Bild eines Computers oder eines Autos zu zeichnen. Wieviel Gegenstände unserer Welt haben eine tiefere Bedeutung und wären so wichtig für uns, dass wir darauf vertrauten, dass sie mehr als “nur” ein Gegenstand sind? Dass sie uns mehr geben könnten, als das, wozu wir sie konstruierten? Wir glauben in einer reicheren Welt zu leben, doch ist es wirklich so? Verspricht die Realität mehr als unser Geist und unsere Fantasie und Träume?
Ich hätte gern mehr Zeit für mich gehabt, aber das ist aus verständlichen Gründen nicht möglich. Für mich sind es spirituelle Orte und der alltägliche Touristenstrom erlaubt es nicht, sie auf eine andere Art zu erfahren. Es ist nicht möglich, so vielen Menschen diese Zeit zu geben.
Welche Hintergründe hinter den Tieren, den sexuellen Abbildungen und abstrakten Motiven stehen, weiß ich nicht. Ausser Respekt und Achtung bleibt mir nicht viel zu sagen.
Keine Höhle vorher hat so zum Tanzen eingeladen wie diese. Es war unglaublich. Tanzen und Singen in einem wunderbaren Ballsaal mit leuchtenden Stalagtiten und Stalgmiten.
Wielange wuchsen die bizarren Girlanden hier herunter?
Kein Wunder, dass Menschen hier ihre Handabdrücke hinterließen.
Ich hätte so gerne laut gesungen, aber die geführte Tour hat es verboten. Was wäre passiert, wenn ich es gewagt hätte? Doch ich hörte sie singen und spürte den Trommelschlag. Die Fußspuren der Jugendlichen und Kinder, die wir zu sehen bekamen, sprachen davon.
Zu gerne hätte ich eine Fettlampe entzündet. Wieviel hätte man gesehen, wieviel wäre im Dunkeln verborgen geblieben? Welch ein wunderbarer Abschluss meiner Reise! Auch diese Höhle bewieß mir, dass jede etwas Besonderes ist.
Die beiden Fundstätten im Vallée Vézère geben Zeugnis über die Beliebtheit dieser Landschaft über Jahrtausende. Es sind Wohnplätze und zahlreiche Funde geben davon Zeugnis.
Neandertaler lebten dort vor 300.000 Jahren ebenso wie die Cro-Magnon Menschen, die später in dieses Tal kamen. Die Funde sind manchmal irritierend, denn man kann nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, ob sie nicht noch gleichzeitig dieses Tal aufsuchten. Der derzeitigen Wissenstand läßt diese Aussage noch nicht zu. Aber in La Ferrassie graben sie derzeit regelmässig und es scheint, als ob hier bald Unerwartetes für die Urgeschichte zu tage treten wird. Noch wird ausgewertet und die Datierung, die ein sehr teures Unterfangen ist, findet gerade statt.
Die beiden Skelette sind Neandertaler, die im Musée in Les Eyzies ausgestellt sind.
Ich habe zahlreiche Dokumentationen in den letzten Wochen angeschaut und da hörte ich erstmals, dass bestimmte Gene des Neandertalers zeigen, dass er eine weiße Hautfarbe und rote Haare hatte. Ganz anders als man ihn noch vor wenigen Jahren als grobschlächtigen Frühmenschen sah. Viele neueste Erkenntnisse erzählen unerwartet “modernes” von ihm. Die Neandertaler waren Großwildjäger, die sicherlich auch wegen der klimatischen Umstände mehr Fleisch als Beeren und Wurzeln zu sich nahmen. Aber sein kräftiger Körperbau und seine gedrungene eher rundliche Form ist eine Anpassung an die Eiszeit, so wie auch die Inuit eher klein und gedungen sind, im Gegensatz zu den hochgewachsenen Afrikanern, deren Körperbau nichts mit unseren Schönheitsidealen, sondern mit den klimatischen Gegebenheiten zu tun hat.
Die Wohnstätten in diesem Tal befanden sich nie im Inneren von Höhlen sondern unter geschützten Überhängen (Abri Cap Blanc). Höhlen wurden oft von gefährlichen Tieren, wie Höhlenbär, Höhlenhyänen und Höhlenlöwen als Quartier aufgesucht. Es sind keine Plätze, wo man sich beruhigt zurückziehen kann, sondern Orte, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Egal ob ein gefährliches Tier in der Höhle wartete oder ob es von außen reinkam, irgendwie war man hier vielfach bedroht. Ein Überhang hingegen versprach Sicherheit zumindest von einer Seite.
An beiden Orten gab es Überhänge (Abri oder Shelter) an weiter oben gelegenen Stellen und an tieferen, wobei gerade die tieferen durch Frühjahrsüberschwemmungen zahlreiche Funde konservierten. Bei diesem Beispiel sieht man wieviele Überreste die Herstellung von Steinwerkzeug in den verschiedenen Schichten vorhanden sind. Anfangs fragte ich mich, ob es nicht ungemütlich gewesen sein muss, wenn diese vielen scharfen Splitter rumlagen. Aber nach einer Unterhaltung mit Francois, eine der wunderbaren Führerinnen, erkannte ich, dass dieser “Abfall” sicherlich nicht mitten im Wohnbereich lag.
Es gab keine Behausungen, die das gesamte Jahr benutzt wurden. Als Jäger und Sammler waren sie unterwegs und lebten dort, wo ausreichend Nahrung zu finden war. Und wenn die Tiere weiterzogen, wanderten auch sie weiter. Und dann kam eine heftiger Regenfall und deckte die Schicht mit den Steinsplittern zu. Als sie das nächste Mal wiederkamen, war nichts mehr von den Überresten zu sehen. So ging es über viele Jahrtausende. Ich muss immer wieder innehalten, wenn ich an den Zeitrahmen denke. 90.000 bis 10.000 Jahre und unsere Geschichte? Europa vor 100 Jahren, vor 500 Jahren, Mittelalter, Römer, erste Ackerbauern… was haben wir aus diesem Land gemacht.
Ich habe heute wo gelesen, “Mir hat auch niemand gesagt, wie man Kapitalist wird.” Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, das zu hören noch zu lernen. Wo stehen wir heute? Sind wir wirklich ein Höhepunkt der Evolution? Ist es nicht nur ein Versuch zu schauen, wohin es führt, ein Gehirn wie unseres zu besitzen. Das Spiel ist noch nicht zu ende. Wir wissen nicht, ob wir gewonnen haben. Und es ist kein Mensch-ärgere-dich-nicht, wo wir einfach von Neuem beginnen.
Ich hatte das Glück, bei diesen Unterkünften (Le Poisson, Cap Blanc, La Ferrassie und Moustier) alleine die Führung gebucht zu haben. So konnte ich Fragen stellen, innehalten, die Umgebung auf mich wirken lassen. Sie lagen alle in südlicher Richtung und so wurden alle von der Sonne gewärmt. Das Gefühl bei ihnen war immer anders als in den Höhlen. Freundlichkeit, gute Stimmung, lustige Lieder kamen mir in den Sinn, wenn ich mich dort umsah. Auch wenn heute alles bewachsen und Bäume die Aussicht versperren, sind es gute Plätze, um hier Zeit zu verbringen).
Nachdenklich stimmt mich nachwievor, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Familie beschloss, ihre Mitglieder dort zu begraben. In Cap Blanc wurde ein Grab gefunden, in La Ferrassie lagen Erwachsene im Westen und Jugendliche und Kinder im Osten. Die Forscher gehen davon aus, wenn ein gesamtes Skelett eines Menschen gefunden wird, im besonderen die Fußknochen, denn die sind es die als erste “verloren” gehen, dass eine Bestattung stattgefunden hat. In Ferrassie wurden insgesamt 8 Skelette gefunden. Mulden, wie jene, wo diese lagen, gab es mehr. Es waren Neandertaler, die hier Angehörige zur letzten Ruhe betteten. Darunter war ein Neugeborenes, nur wenige Tage alt. Es ist die älteste Begräbnisstätte von Neandertaler in Europa. Ob Neandertaler so gefühlt haben wie wir heute? Ich glaube, es war nicht so viel anders. Sie kannten Trauer und Verlust, vorallem viel unmittelbarer als wir heute. Wie oft sind wir uns unserer Vergänglichkeit bewusst? Wie sehr blenden wir heute Alter und Tod aus? Wie oft glauben wir, dem Tod entkommen zu sein, indem wir uns einer Illussion der ewigen Jugendlichkeit hingeben? Vielleicht ist dieser Traum zu tiefst menschlich, ob homo sapiens oder homo neandertalensis. War es ein Symbol für die Ewigkeit, als Menschen vor 40–45.000 Jahren diese Zeichen in La Ferrassie hinterließen?
Und falls dich, diese Zahlen nicht irritieren, sie sollten es, denn es ist ein Zeichen dafür, dass Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch nebeneinander in Europa lebten. Und wer weiß, wer diese Symbole hinterließ, die aus jener Zeit stammen?
Trotz der gelungenen Ausstellung verstehe ich nun, dass Museumspädagogik ein wichtiger Bestandteil sein muss. Wissenschaftler verlieren vielleicht in ihrem Eifer und Begeisterung den Überblick, mit welchem Wissen ein simpler Besucher ins Museum kommt.
Mir ist wichtig, dass in Museen wissenschaftlich gearbeitet wird, und dass Platz auch für jene Wissenschaftler ist, die nicht an diesem Museum arbeiten. Aber ein wesentlicher Punkt ist, das Museen der breiten Öffentlichkeit den Wissensstand in einem Fachgebiet näher bringen.
Hier in Les Ezyies sehe ich den Stolz der Wissenschaftler, die gefundenen Objekte zu präsentieren. Aber ich bin der Meinung, dass in diesem Fall weniger mehr wäre. Bei besten Willen kann ich nichts mitnehmen, wenn ich vor 100 für mich völlig gleichartigen Faustkeile liegen und zwar jeweils Hunderte für jede Periode, wenn mir nicht jemand erklärt auf was ich zu achten habe, wird es ein großer Eintopf.
Dank der Führungen, die ich Moustier und le Ferrassie hatte, verstand ich ein wenig mehr. Aber ist es eigentlich nicht tragisch, dass ich zuletzt ins Museum gehen hätte sollen, um die dort ausgestellten Objekte zu verstehen? Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Es wäre für mich viel sinnvoller gewesen, an Hand weniger Faustkeile (Biface auf Französisch klingt einfach eleganter als Faustkeil auf Deutsch) aufzuzeigen, dass dieses Werkzeug seit 1,5 Millionen Jahren angefertigt wurden. Nur kurz zum Verständnis, zu jener Zeit existierten noch verschiedene Hominiden-Arten in Afrika und die benutzten Faustkeile als Unterstützung in ihrem Leben. Es ist also noch ein langer Weg bis zum modernen Menschen. Denn vom Homo sapiens, so wie wir sind, kann erst frühestens vor 200.000 Jahren gesprochen werden. Ich sollte genauer sein. Die Datierung des modernen Menschen ist nicht ganz so einfach. Auf der einen Seite versucht man die besonderen Merkmale der verschiedenen Homo festzuhalten. Bei Neandertaler sind das die besonderen Augenwülste, die flachere Stirn im Gegensatz zu uns, das Kinn, das weniger hervortritt als das unsere, und die Schädelform, die nicht so rund ist, wie der unsere.
Ich bin fasziniert, wenn ich daran denke, dass die ersten bearbeiteten Steine, die Vorgänger der Faustkeile, der Chopper, bereits vor 2,6 Mill. Jahre in Verwendung waren. Durch die Führungen die Tage zuvor haben mir die vielen Steinwerkzeuge etwas näher gebracht.
Es ist beeindruckend, wie geschickt die Steine bearbeitet wurden. Doch auch damals gab es geschicktere und weniger geschicktere. Es waren nie alle gleich begabt in jeglicher Hinsicht. Bei bei den Steinwerkzeugen hat sich eine Wissenschaftlerin die Mühe gegeben und die “Abfälle” sortiert, ihre Entfernung zur Feuerstelle gemessen und die Qualität des Steines geprüft. Und es war so, je geschickter, um so näher konnte derjenige am Feuer sitzen und umso besser war die Qualität des Steines, der bearbeitet wurde. Gute Qualität durfte nicht verschwendet werden.
Ich habe versucht die besonderen Klingen des Solutrèen einzufangen, denn sie sind verdammt dünn. Von diesen hat man lange nicht soviele gefunden, wie von den etwas robusteren. Die Frage steht im Raum, ob nicht viele dieser Klingen mehr rituellen Zwecken dienten, als für den täglichen Gebrauch. Die Methode hat sich nicht für längere Zeit und in einem größeren Raum ausgebreitet. Sie zeigt aber, wie geschickt und gekonnt diese Steine beschlagen wurden.
Eine meiner Fremdenführerinnen erzählte, dass ein Archäologen, der durchaus versiert in der experimentellen Archäologie ist, beim Versuch diese Klingen ebenfalls herzustellen, kläglich scheiterte. Es gelang ihm nicht die Steine in dieser Feinheit zu bearbeiten.
Um einen Eindruck zu gewinnen, wie ein Fundplatz aussieht und wo Archäologen buddelten, um Klingen zu finden, wurde ein solcher Fundplatz in die Ausstellung aufgenommen. Ichh vermute, dass anfangs die Klingen von dem umgebenden Stein oder Sand gar nicht unterschieden werden konnten.
Besonders berührend waren für mich die Skelette. (Neandertaler Skelette werde ich bei den jeweiligen Fundstellen, die ich besuchte, zeigen.) Am liebsten hätte ich sie in ein Grab gelegt. Das Bewusstsein, dass es Menschen sind, mit denen ich wenn auch nur weitläufig, aber doch verwandt bin, ließ mich still und ruhig werden. Auch wenn es vielleicht lächerlich erscheinen mag, aber mir war es wichtig, jedem eine Form von Gebet zukommen zu lassen, mit dem Wissen, dass alles einen guten Weg geht, wenn es aus einem guten Herzen kommt. Das Mascherl, das Religionen so gerne um Menschen hängen, ist irrelevant. Entweder gibt es etwas Höheres oder nicht. Und wenn es etwas Höheres gibt, dann wird es wohl nicht genauso beschränkt denken wie Menschen.