Ich hatte Lust auf Steine, runde, glatte Steine. Steine, die ich anmalen kann. Also auf zur Donau! Der Herbst ist eine meiner Lieblingsjahreszeiten, neben Frühling, Sommer und Winter.
Nationalparks in Österreich sind für mich immer noch gewöhnungsbedürftig. Zu nah die Zivilisation, spürbar und offensichtlich. Und doch, wenn ich mich bemühe, meine Fantasie einschalte und mir bewusst mache, sehe ich all die Stellen, zu denen ich nicht vordringe kann. Die allen anderen gehören und nicht den Menschen
Noch sehe ich allerdings, so viel Kultur mitten in der Natur. Ich gehe am alten Treppelweg, auf alten Steinen, nicht asphaltiert, anders wie an vielen anderen Stellen, berühmt als Donaufahrradweg, hier ist Radfahren verboten, und die Tegethoff und Kaiserin Elisabeth tuckern vorbei Richtung Bratislava, sie lassen die Donau kurz rauschen und ich schließe die Augen und bin für kurze Momente am Meer und höre die Wellen, wie sie mit den Steinen singen. Die Enten, die einen Lieblingsplatz bei den Steinen, die weit hineinführen ins Bett des Flusses, haben, nehmen Schwung, wie wilde Surfer und setzen an zu einem kurzen Ritt auf den Wellen, die die Donauschiffe lostraten. Ich sehe Steine, mit denen die Donau ein wenig gezähmt werden soll, alt, vermute ich, denn ich bin mitten im Nationalpark Donau-Auen. Es ist ein europäischer Nationalpark, hier muss eingegriffen werden, um die Natur zu erhalten. Durch die zahlreichen Staudämme ist der Fluss ein anderer geworden. Von weiten, wenn ich Zeit und Raum ausschalte, erkenne ich die Brüder und Schwestern, der Mississippi, auch so ein gezähmter, der manchmal über die Stränge schlägt, aber meist wie ein See daliegt, oder der Adelaide River, oben im Norden Australiens, mit Krokodilen, die meterhoch aus dem Wasser schnellen können. Und von weitem sieht einer aus wie der andere. Und bei jedem, der weit entfernten, dachte ich an die Donau.
Die Fähre nach Orth liegt drüben am anderen Ufer, dort wo sie zuhause ist, kommt aber bereitwillig herüber nach Haslau, die Handynummer, um sie zu holen, steht auf der großen Tafel, und wie lange sie heuer noch fährt.
Die Flieger wählen heute nicht die Strecke über den Neusiedler See, sondern steuern, die Direttissima über Wien nehmend, Schwechat an. Ich hatte geglaubt, die Flugzeuge schon von allen Richtungen gesehen zu haben, aber heute gibt es neue Ansichten. Ich muss an Los Angeles denken, wo Autos sich unter den landenden Adlern zu Spielzeugen verwandeln. Aber das war nicht im Nationalpark, das war bei der Fahrt dorthin, wo Niederösterreich für einen Moment zu Los Angeles wurde und ich fluchte, weil ich nicht mitten im Kreisverkehr stehen bleiben konnte, um den Flieger zu beobachten und denn dann war er weg.
Hundebesitzer und ihre treuen Freunde sind mit mir die ersten, die der Donau entlanglaufen, manche von ihnen springen noch ins Wasser hinein und freuen sich, obwohl sie nicht wissen, dass es wahrscheinlich das letzte Mal für dieses Jahr sein wird. Manche Menschen stehen und schauen zu, wie sie sich vergnügen, andere laufen mit ihnen, so wie jene, die laufen, weil laufen sie glücklich macht.
Und ich gehe runter ans Ufer und bewundere die vielen verschiedenen Steine, sehe Muscheln so groß, wie ich sie nie erwartet hätte und wünsche mir einen Geologen, der mir die Geschichten erzählt von den Steinen, den ganz glatten, den schimmernden, den einen, die mir erzählen, dass sie sich mit anderen zusammengetan haben, die dunklen mit den weißen und in der Hitze geformt und jetzt ganz hart sind. Und die Donau, die ihnen hilft, rund zu werden und fein anzugreifen, um sich in Hände zu kuscheln.
Und manchmal gibt es Augenblicke, da ist es ganz still und ich hörte noch Vögel singen. (Auch wenn jene die auf dem Video singen an einem ganz anderen Ort für mich sangen, so erinnerte ich mich nun an sie und lass sie meine Bilder begleiten.
Österreichischer Nationalfeiertag im Nationalpark, ein wenig Sonne, ein bißchen mehr Wolken, gar nicht kalt, aber den Herbst riecht man, oder vielleicht ist es nur die Au, das stehende Wasser, die Bäume oder die am Boden liegenden Blätter.
Und ich habe Steine gepflückt, die an der Donau wachsen. Und aus diesen Steinen, sind dann die wunderbaren geworden.
Sind sie nicht prachtvolle kleine Kerlchen?
Und jetzt lade ich dich ein, tauch’ ein in ein paar Bilder, die ich an der Donau machen konnte.
Mehr als 30 Jahre ist es her, als ich das erste Mal in Asparn an der Zaya war. Damals bei einer Exkursion eines Studiums, das heute Kultur- und Sozialanthropologie heißt und nicht mehr Ethnologie wie zu meiner Zeit. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Manchmal sage ich noch immer Völkerkunde und es sind die seltsamsten Blicke, die ich ernte. Am liebsten wäre es mir, von Menschen zu sprechen und ihren verschiedenen Kulturen. Aber auch da bleibt der Erklärungsbedarf nicht aus, wenn man den Begriff genauer ansieht. Egal.
Jeder Schritt, besser zu verstehen, wie alles lebt, führt dahin, toleranter zu werden. Es hilft zu begreifen, dass Unterschiede zum Leben gehören und sie das eigentlich besondere am Leben sind.
Ich bin also morgens von einem modernen Urnengräberfeld nach Asparn an der Zaya aufgebrochen. Einem Friedhof von dem nichts, aber absolut nichts übrig bleiben wird, zu einem Museum, wo mühsam Überreste aus weit vergangenen Tagen zusammengetragen werden. Was für ein Widerspruch!
Der oberste Stock des Schlosses ist der ältesten Zeit gewidmet. Unentschlossen begann ich meinen Rundgang und auch im Nachhinein kann ich nicht sagen, ob der Weg ein zeitliches Muster verfolgte. Es waren mehr die Objekte, die sich zusammenfanden, Grüppchen bildeten und zu Themenkreisen zusammengestellt wurden. Doch ich will immer mehr. Ich will Geschichten. Einzelne Teile, deren Bindeglied „Jungpaläolithikum“ heißt, ist mir zu wenig. Schließlich umfasst jene Zeit einen Rahmen von über 30.000 Jahren, damals als die ersten anatomisch modernen Menschen Europa betraten. Also suchte ich und wurde nicht enttäuscht.
In den letzten Jahren konnten in Niederösterreich die ältesten Fundschichten der ersten Europäer in Willendorf nachgewiesen werden. Menschen kamen an diesen Platz, lange bevor Willendorf gegründet wurde. Vor 43.500 Jahre lagerten sie in der Wachau (Das ist der Bericht der Grabung: Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type environment). Damit ist klar, dass sie mindestens einige tausend Jahre zusammen mit Neandertalern in dieser Region lebten. Neun markante Schichten konnten Archäologen feststellen, die von wechselndem Klima erzählen. Also Schichten, die dick genug waren, dass sie noch heute herausstechen. Wie herausragend dies ist, wurde mir erst klar, dass die ältesten Knochen außerhalb Afrikas 44–46-000 Jahre sind, gefunden in Sibirien.
Es muss ein guter Platz gewesen sein, zum Lagern und sichfür einige Zeit niederzulassen. Das Land rundherum Steppe, geprägt von Gräsern aber noch viel mehr von Kräutern wie Wegerich, Beifuß, Schafgarbe, Chrysanthemen, Kuhschellen und Silberwurz, Mose und Flechten bildeten Polster, und Heidekrautgewächsen brachten hin und wieder etwas Farbe in die Landschaft. In den Flusstälern wie Donau, Thaya oder Krems gab es Nadelwälder, mit Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen, schreiben die Wissenschaftler. Das war neu für mich.
Bisher hatte ich immer die Vorstellung einer Steppe ohne Bäume gehabt, aber ich habe mir meine Bilder von der Prärie in den USA nochmals angeschaut, und gesehen, dass es in den weiten Flächen immer wieder Bäume gibt.
Die meisten Quellen berichten nie von Bäumen, die Steppe wird als reine Graslandschaft beschrieben. Ich begann nach Klimadaten zu suchen, weil mir nicht klar war, welche Unterkünfte sie gehabt haben könnten. Aber Bäume und Mammutknochen geben gute Stützen ab, ob sie nun ähnlich wie ein Tipi (das wir klassisch als Indianerzelt ansehen, auch dies ist eine Unterkunft von Präriebewohnern, also Menschen, die in einer Steppe wohnen) oder ein Wigwam (ein Kuppelzelt) oder der Kote, der Behausung der Samen (die genetisch gesehen, mit diesen ersten Wildbeutern noch am nächsten verwandt sind), aussahen, werden wir nie erfahren.
Immer wenn es kälter wurde, deckte der Löss alles immer wieder sanft zu, somit konnte es bis heute erhalten bleiben. Ich frage mich, wie lange es braucht, bis eine solche Schicht sich bildet. Wenn ich meinen Balkon nicht kehre, bildet sich eine dünne Sandschicht, kaum sichtbar. Selbst wenn der Wind aus der Sahara Sand hereinweht, dann würde es doch lange Zeit brauchen, bis sich 10 Zentimeter dicke Schichten bilden. Bis zu 40 Meter dicke Schichten werden in Krems gemessen. Die Schichten können aus jenem Grund beschrieben werden, weil sie unterschiedliche Färbung aufweisen. In sehr kalten Zeiten ist es reiner Lös, sehr hell, und in allen wärmeren wurde die Erde dunkler. Als die aktuelle Warmzeit begann, konnte der helle Löss in die dunkle, sehr fruchtbare Schwarzerde umgewandelt werden. Kalt war es damals,die Temperaturen im Sommer so wie jetzt im späten Herbst. Bis 20° sollen es an einem Hochsommertag erreicht haben, allerdings sollen die Winter nicht so hart, wie ich erwartete hatte, gewesen sein. Doch das Klima war nicht über mehrere Jahrtausende gleich. Es war manchmal wärmer, manchmal kälter. Meine Bemühungen, eine Grafik über das Auf und Ab der Temperaturen für genau jene Zeit zu finden, musste ich aufgeben. Ich wollte ein Gefühl für die wechselvollen Temperaturen bekommen, aber ich fand keine Tabelle für diese Zeit. Ich weiß nur, dass es vor 20.200 Jahren erheblich kälter wurde, bis vor 11700 Jahren (9.700 v.Chr.) die jetzige Warmzeit begann.
In der Ferne mussten sie es weiß glitzern gesehen haben, die vergletscherten Alpen waren nicht weit entfernt: nur 40 km waren es bis zu den ersten Gletscherzungen. Manche sagen, dass sie die Flusslandschaften im Sommer mieden, denn so wie heute im Norden Gelsenschwärme unerträglich werden können, wäre es damals am Fluss auch gewesen. Im Winter war die Donau zugefroren. Sie konnten auch auf die andere Seite wechseln. Da es in den Eiszeiten trockener war, war das Wetter nicht schlecht. So konnten sonnige Wintertage durchaus angenehm sein.
Die Felder, die mich im Weinviertel umgaben, helfen mir bei der Vorstellung, wie die Landschaft von damals aussah. Sie erinnern mich aber auch daran, wie sehr in der Zwischenzeit der Mensch die Landschaft verändert hat, kein Fleck blieb unberührt: Kulturlandschaft ist sie geworden. Die Vorstellung einer Steppe fällt hier um Mistelbach zumindest leichter, als in der Wachau mit ihren Marillenbäumen und Weinstöcken. Als ich vor einigen Jahren in Willendorf spazierte, versperrten Büsche und Bäume die Sicht. Aber ich werde noch einmal dort hinfahren, um zu schauen, ob ich mich doch ein wenig in diese älteren Zeiten zurückversetzen kann.
Damals zogen Tiere wie Mammuts oder Rentiere in Herden über die sanften Hügel, sie fanden in dieser Kargheit noch immer genug Futter. Mammuts waren auch die ersten Funde im 15. und 16. Jahrhundert, die in dieser Gegend gefunden wurden. Auch wenn auf dem Bild Rinder grasen und man sich die Leitungen wegdenken muss, kann es von der Ferne so ähnlich ausgeschaut haben.
Diese ersten modernen Europäer waren Jäger und Sammler und aßen viel Fisch, manche Untersuchungen ergaben, dass bei einzelnen untersuchten Menschen 40–60% der Nahrung aus Fisch bestand. Sie waren dunkelhäutig und hatten blaue Augen, das sagen uns die aktuellen genetischen Analysen (siehe Film untern mit einem Vortrag von Johannes Krause). Das muss für uns heute, sehr fremd aussehen, wir kennen keine blauäugigen Schwarze.
Sie lebten länger in dieser Region, als wir und alle später Ankommenden. Die Wachau musste schon damals freundlicher als andere Gegenden gewesen sein. Die hellere Hautfarbe wurde evolutionär erst bei den Ackerbauern zu einem Vorteil und setzte sich damals durch, da die bevorzugte Pflanzennahrung zu wenig vom wichtigen Vitamin D enthielt.
Eine Vitrine widmete sich Frauenfigurinen, die im Raum Niederösterreich gefunden wurden.
Ich möchte mit der berühmtesten alten Österreicherin beginnen, der Venus von Willendorf, auch wenn man sich hier ihr nicht wirklich widmet, gehört sie für mich unverzichtbar dazu. Sie hatte ich vor kurzem im Naturhistorischen Museum in Wien besucht. Aber wie so oft, ist für mich ein Objekt, allein für sich gesehen, recht blutleer. Ich merke mir weder, wann es hergestellt wurde, noch irgendwelche anderen Details. Es sind diese speziellen Momente, die mich reizen, mir ein Bild zu malen. Selbst die Grafik, die ich schon in Frankreich sah, die auf einer großen Landkarte die Fundplätze verschiedener Figurinen zeigen, erklärte mir zu wenig. Es gibt mir ein Gefühl der Gleichzeitigkeit, doch wurden diese kleinen Frauenfigurinen über mehrere 10.000 Jahre lang hergestellt. Und ich habe schon Schwierigkeiten mir eine Dauer von 2000 Jahren vorzustellen. Zu dieser Zeit waren die Römer in ganz Europa und dem Mittelmeerraum unterwegs, das fühlt sich unendlich lang an.
Die Willendorferin ist aus Oolith, einem Kalkstein aus der Brünner Gegend, wie auch andere dort gefundene Gegenstände aus Feuerstein, der auch von dort stammt, belegen. 136 Kilometer Luftlinie oder 32 Stunden zu Fuß, wie mir Google Maps verrät, also eine mehrtägige Wanderung muss es gewesen sein. Für uns schwer vorstellbar, wie Menschen damals zu Fuß in einem so weiten Raum umherzogen. 29.500 Jahre alt ist die kleine 11 cm große Lady, das ergaben die neuesten Analysen der Schicht, in der sie gefunden wurde. Mehr als 10.000 Jahre nach den ersten Ankömmlingen wurde sie hergestellt.
Welche Bedeutung weibliche Figurinen haben, können wir heute nicht mehr feststellen. Aber ich verstehe, dass die Objekte klein waren, denn so konnte man sie mitnehmen. Wenn du mit deinem ganzen Hab und Gut immer wieder aufbrichst, um den Herden zu folgen oder ein klimatisch günstigeren Ort aufzusuchen, und du alles tragen musst, dann werden Gegenstände, die keinen praktischen Nutzen haben, sondern einen kulturellen Hintergrund aus welchem tieferen Grund auch immer, eine Größe haben, die unter diesen Umständen vernünftig ist. Eine lebensgroße Statue würde simpel keinen Sinn ergeben. Und ich verstehe ja, dass sie auf eine besondere, aber sehr moderne Weise ausgestellt werden, aber es ist ein sehr distanziertes Aufeinandertreffen. Als ich sie nun diese Kopie nun zum ersten Mal in meine Hand nahm, und sie nicht nur als Objekt betrachtete, war ich seltsam berührt. Ich fühlte mich verbunden mit der Erde und allem, was unser Leben ausmacht. Ich werde sie wohl in Zukunft öfter in die Hand nehmen.
Schade, dass die Willendorferin keinen Namen bekommen hat, wie die Fanny von Stratzing, diese wird manchmal auch Venus vom Galgenberg gerufen, aber Fanny gefällt mir besser. Fanny, weil sie aussieht wie eine Tänzerin und man dachte an Fanny Elßler. Den Arm nach oben streckt, sieht sie aus, als ob sie sich um die eigene Achse drehen möchte. Sie ist aus Schiefer hergestellt.
Und sie ist noch ein Stück älter. Ganze 6.500 Jahre.
Mit 36.000 gehört sie zu den Ältesten all dieser Frauenstatuetten, die in ganz Europa bis weit nach Russland hinein geschnitzt wurden. Dieser Zeitrahmen ist irgendwie gar nicht mehr vorstellbar.
Es muss immer wieder Zeiten des Überflussgegeben haben oder Zeiten, wo es nichts anderes zu tun gab, in kalten Winternächten am flackernden Feuer vielleicht. Neben den geschnitzten Figurinen werden auch Fragmente aus Knochenflöten gefunden — in Niederösterreich wurde eine 19.000 Jahre alte, doch die älteste fand sich in einer Schicht, die auf 31–40.000 Jahre alt datiert wurde, in Deutschland in der Schwäbischen Alb am “Hohle Fels”. Wer schon mal geschnitzt hat, weiß, ganz so einfach ist es nicht. Viel mehr berührt mich, dass sie Musik gemacht haben, wie immer sie auch geklungen hat. Und heute denken wir darüber nach, die künstlerischen Fächer in Schulen gestrichen werden. Dabei sind es gerade diese Dinge, die mich so berühren, weil sie uns Menschen so auszeichnen.
Muscheln und Zähne werden als Anhänger für Ketten verwendet, mit Löchern versehen an ein Band gehängt als Schmuck mit einer persönlichen Bedeutung. Schmuck alleine erscheint mir zu trivial. Es wird nicht nur schön, sondern auch mit Inhalt versehen sein. Reste von rotem Ocker (Rötel) wird auf vielen Gegenständen gefunden, Rötel verwendeten auch Neandertaler. Wozu wissen wir nicht, es wurden nur Farbenreste gefunden.
Auch die Venus von Willendorf war ursprünglich mit diesem roten Pulver eingefärbt worden, oft enthalten Muschelschalen diesen Farbstoff, vielleicht dienten sie als kleiner Farbtopf. Das Leben war also nicht nur vom reinen Überlebenskampf geprägt, wie man es sich gerne vorstellt. Es wurde gefeiert, Musik gemacht, mit Geschichtenerzähler sind sie am Lagerfeuer gesessen, jene Menschen, die die ersten Mythen entwarfen, die halfen, die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Ich mag sie nicht Schamanen nennen, aber Menschen, die vielleicht spirituelle Führer waren. Menschen machten sich hübsch mit Perlen aus Muscheln und Elfenbein. In Russland wurde ein 30.000 Jahre alte Gräber gefunden, wo ein Mann mit 3000 Elfenbeinperlen, die vermutlich Teil der Kleidung waren, lag. Sie verwendeten Farben. Vermutlich auch Schwarz der Kohle. Rötel war ein Stoff mit tiefem Hintergrund sein, Rot wie das Blut, vielleichten Symbol für das Blut der Erde.
Ein Grab zweier Säuglinge wurde in Wachtberg/Krems ausgegraben, das 32.000 Jahre alt ist. Ein Video der APA berichtet von den Ergebnissen. Berührt hat mich, wie sie die beiden gegenüber lagen, als ob sie schlafen würden. Sie wurden dick mit Rötel eingehüllt und vorsichtig mit dem Schulterblatt eines Mammuts abgedeckt. So konnten sie über diese lange Zeit erhalten bleiben.
Die Kindersterblichkeit war groß und gehörte trotz allem nicht zum Alltag. Menschen trauerten. Skelette von Kindern können nur an Begräbnisstätten gefunden werden, zu dünn sind die Knöchelchen, als dass sie so lange Zeit überdauern. Sie wurden mit großer Sorgfalt zum letzten Schlaf meist in Hockerstellung niedergelegt. Kleine Elfenbeinperlen zeigen, dass ihnen Wertvolles mitgegeben wurde, weil sie für die Gesellschaft einen Wert hatten. Sie werden wahrscheinlich bekleidet gewesen sein und eingehüllt in roten Ocker, der bis heute sichtbar ist.
Aus Feuerstein, auch Silex genannt, wurden Werkzeuge hergestellt. Auf irgendeiner Reise habe ich einen seltsamen Stein aufgehoben und mitgenommen, erst viel später sah ich andere, ähnliche und verstand, dass ich ein Stückchen Feuerstein mitgenommen hatte. Für mich ist es ganz besonderer Stein, weil er so wichtig für meine Vorfahren war.
Als dann vor 7000 Jahren die ersten Ackerbauern nach Europa kamen, lebten sie neben den Wildbeutern und sie bekamen Kinder. Sie begannen Kreisgrabenanlagen zu errichten. Davon nächste Woche.
Ich ahnte schon, dass ich irgendwann wieder einen Informationsoverload bekomme. Aber mein Puzzle geht weiter:
Jules und ich landeten also am Rande der Leiser Bergen. Geplant hatte ich das nicht. Ich wollte schauen, wo mich Jules hinführt. Ich selbst hatte schon total vergessen, dass es diese Berge gibt und als Tiroler hätte ich diese Hügelkette auch nicht wirklich Berge genannt. 491 Meter ist die höchste Erhebung, Innsbruck, wo ich aufgewachsen bin, liegt 83 Meter höher. Und von Ladendorf hatte ich erst recht noch nichts gehört.
Wie viele andere Dörfer hier schmiegt es sich in den Talgrund, denn 200 Meter weiter oben bläst oft ein heftiger Wind. Als ich die kleine Straße abbog, dem Hinweisschild folgend, dass dort ein Parkplatz sei, wunderte ich mich zwar, dachte aber, niemand wäre bei diesem Sturm dort oben. Doch alle Plätze waren besetzt. Also stellte ich mich nebenan unter ein riesige Betonkreuz, das ich schon von weitem gesehen hatte.
Als dann die ersten beiden Musikanten kamen, fragte ich mich, was an einem Freitagnachmittag bei diesem Wetter so wichtig wäre, dass man sich diesem Wetter so aussetzt. Der Pfarrer grüßte mich als Einziger freundlich, die dunkel gekleideten, ernsten Menschen sahen mich nicht und unterhielten sich, alle sehr würdevoll und gedämpft, während ich sie vom Auto aus beobachtete und mich fragte, was sie hier taten. Denn der Wind blies ungemütlich und kalt, es war nicht gerade der ideale Moment, um auf einer Hügelspitze rumzustehen.
Bald waren alle weg und ich suchte ein besseres Plätzchen für Jules, denn der Parkplatz war nun leer, ich zog mir die Mütze tief in die Stirn und schloß den Reisverschluss und wickelte die Jacke eng um mich, stieg aus und plötzlich ergab alles einen Sinn.
Es ist ein Plätzchen, wo Menschen ihre Asche der Erde wiedergeben können. Auf einem Schild stand, dass hier ein Urnenfriedhof war. Sie waren zu einem Begräbnis gekommen. Die Aschen von Verstorbenen in verrottbaren Urnen wurden hier vergraben mit freiem Blick auf Sonnenauf- und Untergang. Wie hier in der Gegend vor 3000 Jahren Bronzeurnen vergraben wurden, nur dass von diesen Urnen nichts mehr übrig bleiben wird. Archäologen werden hier nichts anderes finden als Überreste dieses Riesenkreuzes.
Seltsam fühlt sich dieser Platz an. Ich zweifle nicht, dass die Toten hier Frieden finden, auch zweifle ich nicht, dass die Art und Weise beruhigend ist. Seltsam ist, dass die Wiese so nackt am obersten Punkt liegt, keine schützenden Bäume oder Büsche, die Stelle so ausgesetzt, dass einzelne Pflanzen, die gesetzt wurden, inzwischen verdorrt sind. Der Gewalt des Wetters zu heftig ausgesetzt, ist der Ort. Vielleicht war aber auch nur das Wetter nicht das Richtige. Das Foto erscheint seltsam, aber es gab tatsächlich nicht viel mehr zu sehen. Das ist der Weg, der neben dem Friedhof vorbei führt.
Den einzigen Widerstand bildet das Friedenskreuz, wie sie zu dem Betonmonument sagen. Es steht so fest, dass der Sturm vergeblich an ihm rüttelt.
Auf den Hügeln am Horizont sah ich zwei Gebäude, die wie ein Observatorium aussehen, aber ich erinnerte mich daran, dass sie vielleicht nicht so romantische Hintergründe haben könnten. Ich begann zu recherchieren: Luftraumüberwachung, die militärische und zivile wird in diesen zwei überdimensionalen Golfbällen betrieben. Von der Goldhaube war in meiner Jugend oft die Rede, heute hört man nur mehr bei dramatischen Ausfällen von Radarstationen von der Luftraumüberwachung. Von der Goldhaube werden junge Menschen wahrscheinlich noch nie gehört haben. Auf dem Bild sieht man in weiter Ferne, einen der beiden Türme.
Doch Ladendorf berührt mich auch, denn neben dem Kreuz ist auf der einen Seite nicht nur der Urnenfriedhof, sondern auf der anderen noch eine Wiese mit einer kleinen Schrebergartenhütte, wie mein Vater eine hatte. Es ist der Grillplatz mit einem Unterschlupf im Trockenen, der allen zur Verfügung steht. Anmelden müsste man es nur und bei einem Wetter wie heute, darf kein Feuer gemacht werden. Dass dort gefeiert wird, sehe ich an den Überresten im Abfalleimer: voll bis oben hin mit Dosen.
Mein Traum vom witzverzählende Apostel wurde sicherlich lebendig wegen der Kunstinstallationen, wo neben Auszügen des Evangeliums auch Gedichte, die zur Landschaft passten, standen. Es sind Tafeln von Heinz Cibulka, die am Meditationsweg, der zum Friedenskreuz, dem höchsten Punkt von Ladendorf, führt, aufgestellt sind.
Ob in der Nacht tatsächlich jemand an der Tür rüttelte, oder nur ein noch heftiger Windstoß das Auto beutelte, kann ich nicht sagen, ich bin aufgewacht, aber ich war nicht beunruhigt und bin gleich wieder eingeschlafen. Der Sturm begleitete uns die ganze Nacht und immer wieder versuchte er heftig, mich zu erschüttern. Er war am Morgen noch immer so wütend, dass der Mann, der seinen Hund ausführte, seine Kapuze ganz tief ins Gesicht gezogen hatte, um unbemerkt den Weg entlang gehen zu können, und deshalb auch mich kaum eines Blickes würdigte. Die Sonne kam zögerlich hinter Wolken zum Vorschein.
Nach meinem ersten Kaffee, den ich in Jules kochte, war ich in 10 Minuten in Asparn an der Zaya.
Mir persönlich ist es ja nicht ganz so wichtig, wohin wir fahren, Hauptsache wir fahren.
Als wir gestern aufgebrochen sind, hat sie mir schon gesagt, dass wir „dienstliches“ zu erledigen haben. Ein Himmel muss her, meint sie, als ob da nicht genügend Himmel über uns wäre. Zum Fetzenmüller in Bruck und was besorgt sie, einen Himmel wie aus einer dünnen Nebelschicht, nicht blau nicht weiß, ein zartes hellgrau, aber ich müsste noch warten, meinte sie, bis sie in mir anziehen wird. Und im Künstlerbedarf will sie auch noch vorbeischauen, eine Jause wäre auch nicht schlecht, sagt sie.
Hauptsache wir fahren. Und sie staunt. Wir sind noch immer zu schnell unterwegs, wirft sie ein. Viel zu viele Dinge würden wir noch links liegen lassen.
Der Föhn ist angesichts der Jahreszeit nur für Meteorologen warm, aber der Sturm passt zum Herbst. Manchmal rüttelt er auch an mir. Die Bäume in ihren vielen Farben lassen sich zum Tanz einladen. Silbern glänzen die Blätter der Pappeln und strecken ihre Äste hinauf und streicheln den hellblauen Himmel zart. Manchmal sieht es so aus, als ob sie die Wolken zeichnen und die langen Fäden ziehen. Hin und wieder mischen sich rote Blätter in den Silberhaufen hinein. Aber es sind auch orange, gelbe und immer noch viele grüne zwischendurch dabei, die nicht aufgeben wollen, das Jahr zu verlängern. Alle tanzen zum Lied des Winds. Irgendwie wäre es schön, mit ihnen tanzen zu können. Die Arme nach oben gerichtet, der Melodie des Sturms folgen.
Noch sind wir auf der Autobahn, der Tower des Flughafens links und rechts eine ganz andere Welt: Altwasser der Donau, die passend zu den Bäumen silbern glänzen. Die Flieger haben immer so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass sie, die Au, noch bevor ich in ihr Leben kam, nicht wirklich wahrgenommen hat. Aber nun sitzt sie höher und sieht mehr und plötzlich ist die Welt eine andere. Als sie Tage später nachsieht, stellt sie fest, dass sie tatsächlich einen Teil des Nationalparks Donau-Auen gesehen hatte.
Endlich geht es rauf ins Weinviertel. Wir legen eine Pause ein und schauen zu, wie Stare vom Wind getrieben in Kreisen über ein Feld wirbeln. Anfangs ist uns nur ihr rhythmische Auf und Ab aufgefallen, sie setzen sich und lassen sich dann vom Wind wieder hinauftreiben, hundert, zweihundert, viel zu viele, um sie zu zählen. Ein Vogelballet. Etwas erinnert an die riesigen Fischschwärme, die durch ihre Kreise riesige Türme im Wasser bilden. Aber die Stare sind flexibler, ihre Flugbahnen bilden Wellen, an einer Stelle klein, an der nächsten brausen sie wieder groß auf, setzen sich wieder, warten auf die nächste Böe, um das Spiel von Neuem zu beginnen. Erst später sehen wir, dass sie ihr Spiel mit einem Bauern treiben, der seine Furchen mit dem Traktor in den Acker zieht. Damit ihm das Pflügen der geraden Bahnen nicht langweilig wird, spielen sie mit ihm.
Wir fahren an braune Bergen vorbei. Zuckerrüben türmen sich. Die Ernte verrät, wie wichtig den Menschen das süße Leben geworden ist. Ein ganzer Zug, fünf/sechs Wagons, ist bis oben hin gefüllt und am Platz davor liegen noch etliche Rüben wie Steine wirr herum.
Die Lady vom Navigationssystem ist inzwischen völlig verwirrt. Kreisverkehre von denen sie nichts weiß, Umleitungen, die es notwendig machen ihren Anweisungen nicht zu folgen, die kleinen Hinweisschilde verwirren aber auch meine Fahrerin, wir kreisen verzweifelt zwischen ihren Anweisungen und unseren Bemühungen den Weg nach Asparn an der Zaya zu finden. Als wir endlich dort angelangt sind, finden wir alle, dass wir lieber morgen ins Museum schauen. Landluft schnuppern und vor allem ein Plätzchen für die Nacht finden. Wir fahren. Und verwundert mitten im Nichts Hinweisschilde für einen Parkplatz zu finden, fahren wir einen Hügel rauf. Wo wir gelandet sind, wird euch Ruth selbst verraten.
Inzwischen jammert sie ein wenig herum. Alles ist absolut neu. Nichts Routine, überall holpert es. Kühlbox neu, Herd neu, Bett noch unberührt. Sie bewegt sich ziemlich hilflos in meinen Eingeweiden herum, dabei hat sie gar nicht so viel zur Auswahl, einmal vor und zurück. Aber sie weiß noch nicht, wann es günstig ist, unter Bänke zu schauen, was sie wo wann herausholt oder hinräumt, damit es richtig gemütlich wird. Ich selbst verstehe allerdings nicht, was es da zu jammern gibt.
Die erste Nacht beginnt viel früher als geplant, denn ihr wurde zwar verraten, dass das Licht nach 45 Minuten ausgeht, es sich aber nicht einfach durch Ein- und wieder Öffnen einschalten läßt, Türe auf, aber es braucht noch einen Tag, bis sie es versteht. In der Zwischenzeit ist sie froh, das winzige Lichtlein eingepackt zu haben, um nicht dauern mit meinen Schlössern Tür auf zu spielen. Bald schläft sie ein, müde von den vielen Abenteuern, die sie mit mir erlebt hat.
Sie ist schon ein wenig verrückt, in der Nacht wachte sie auf, weil sie von einem Witz träumte, über den sie so lachen musste, dass sie sich ihn unbedingt merken wollte. Sie wacht sonst nie auf, Träume sind Schäume, sagt sie. Und weg war er, so schnell konnte sie gar nicht aufwachen. Sie wollte ihn mir so gerne erzählen. Irgendein Apostel hat ihn ihr erzählt. Was gut zu der Umgebung passt, wo wir die Nacht verbracht haben.
Am Morgen steht sie auf, um der Sonne beim Erwachen zuzusehen, kocht ihren ersten Kaffee, hilft mir bei den ersten Notizen, bevor wir ins Museum aufbrechen.
Ein Museumsbesuch kann manchmal eine wunderbare Ersatzhandlung sein. Statt Stonehenge zu besuchen, lerne ich ein wenig darüber und drumherum. Ich reise mit meiner Fantasie nicht nur in andere Gegenden sondern auch in eine andere Zeit zu anderen Menschen, Menschen, die irgendwo auch meine Vorfahren waren.
Da bis 27.11.2016 im Mamuz in Mistelbach/Niederösterreich eine Ausstellung über Stonehenge läuft, habe ich mich aufgemacht und mir die Ausstellung angeschaut. 3 Stunden bin ich herum gegangen, habe mir alle Videos angeschaut, habe manchmal bei Führungen zugehört, habe mich neben eine gelangweilte 17-Jährige gesetzt und ihr von Reisen erzählt und eine meiner Lieblingsgeschichten, die ich schon Laura von den Ahousat erzählt hatte, ausgepackt. Es ist eine Geschichte vom Anbeginn der Zeit.
Einen Tag später habe ich verzweifelt versucht, alle Fragen, naja ziemlich viele, zumindest solche, die auch beantwortet werden können, durch Lesen und Schauen und Hören zu lösen.
Langsam klären sich Dinge, die für mich noch offen geblieben sind. Wahrscheinlich ist es einfach meine Ausbildung als Ethnologin, dass ich erst mal ein wenig über die Leute wissen will, denn sonst könnten es wohl auch Außerirdische sein, die Steine aufstellen (wozu sollen Außerirdische soweit reisen, um dann sinnlos Steine anzuhäufen?) und dann wäre es mir ziemlich egal. Aber Menschen interessieren mich. Die Kleine neben mir hat mich gefragt, ob ich, wenn es möglich wäre, zum Mars fliegen wollte. Zu meiner eigenen Überraschung verneinte ich blitzschnell. Es gibt so vieles, was ich hier noch zu lernen und zu verstehen habe, und der Mars hat nichts davon.
Es ist das Leben, unser Leben, von dem ich nicht satt werde, mehr zu erfahren.
Wer waren also die Menschen, die so viel Zeit hatten, etwas Riesiges, Gewaltiges, beinahe Überirdisches aufzustellen?
Es waren Bauern, die ersten in Europa. Die aus Anatolien kamen, Gerste und Weizen, genau genommen wird es Einkorn oder Emmer gewesen sein, in den Taschen mitbringend, Schafe und Ziegen vor sich hertreibend, die es vorher in Mitteleuropa nicht gegeben hat, Rinder und Schweine, die es hier schon gab, aber nicht für den Hausgebrauch gezähmt, nicht zu vergessen. Dank der Genetik ist eines klar, es gab keinen Kulturtransfer, sondern Menschen kamen und brachten ihre Kultur mit. Die Sarden haben heute noch am meisten Gene mit diesen ersten Migranten gemein, sind genetisch also noch am meisten mit diesen alten anatolischen Bauern verwandt. So wie Ötzi mit diesen genetisch verbunden war. Die Sarden und Ötzi waren mit den Migranten, den Viehzüchtern und Ackerbauern aus Anatolien verwandt. Und die Jäger und Sammler, die die ersten Flüchtlinge aus Afrika waren, lebten noch sehr lange Zeit neben ihnen. Und sie sahen so aus, wie heute niemand mehr aussieht, die waren dunkel, sie waren Schwarze mit blauen Augen. Das erzählen zumindest ihre Gene. (Und die Neandertaler ebenso, auch wenn sie in Museen ganz anders ausschauen) Die ersten Europäer waren, wie alle späteren auch, Afrikaner. Das Vitamin D der Sonne brauchten allerdings erst die Bauern, die sich hauptsächlich vegetarisch ernährten, Joghurt und Käse vielleicht, hin und wieder mal Fleisch, aber viel zu wenig und sie wurden weiß. Aber die Milch vertrugen sie damals auch nicht. Joghurt und Käse besitzen kaum Milchzucker. Milchtrinken ist wohl das Urtypischte der Europäer. Alles andere kann diskutiert werden.
Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte erzählt es sehr begeistert und anschaulich und mir macht es riesigen Spaß, die Geschwindigkeit wie durch die Genetik die alten Interpretationen der Historiker durcheinander geschüttelt werden. Er kann Geschichten erzählen. Die andere Forscher dieser Vortragsreihe fesseln mehr durch Inhalt nicht durch Vortrag. Und mit Amüsement stelle ich fest, wie manchen die Ergebnisse der Genetik nicht gefallen, denn es passt nicht zu ihren Theorien.
Bevor diese Migranten aus dem Süden kamen, sah es in Großbritanniens anders aus. Die Insel war bewaldet, es wuchsen Kiefern, Eichen, Buchen, Erlen und Pappeln. Dazwischen gediehen Gräser, Kräuter und ein paar Büsche werden wohl auch dazwischen gewesen sein. Als Nachwehen der Eiszeit gab es Steppenlandschaften, die sich wohl mit der zunehmenden Wärme in den Norden zurückzogen. In den Wäldern lebten Wölfe, Auerochsen, Hirsche, Moorhühner und zahlreiche Nagetiere. Erst die Ackerbauern fällten Bäume, und ihre Ziegen, Schafe und Rinder verhinderten, dass der Wald zurückkam. Die ältesten Funde gehen auf 6000 v.Chr. zurück. Sie machten Europa zu dem, das wir kennen. Statt eines riesigen undurchdringlichen Waldes wird das Land offen.
Es war keine Verbreitung der kulturellen Technik des Ackerbaus und der Viehzucht, sondern es waren die Menschen, die selber kamen und was mitbrachten. Und sie kamen langsam. Viele 100 Jahre, ja 1000e Jahre vergingen, bis sie sich von Nordanatolien über die Donau, Italien und Spanien in den Norden bewegten. Es waren genetische Untersuchungen, die ergaben, dass die ersten Europäer, die vor 40.000 Jahren kamen und als Sammler und Jäger lebten, sich genetisch von den Ackerbauern unterschieden. Was mich immer noch verblüfft (was mit großer Leichtigkeit geschrieben wird), die kamen auch auf die iberische Halbinsel und Süditalien. Mit Booten? Sind sie da Nordafrika entlang gekommen? Nicht nur Bauern, sondern auch Seeleute? Mich erstaunt dies noch immer, erklärt mir aber andererseits auch, wie sie nach Großbritannien kamen, denn, als sie kamen, war die Insel zu Insel geworden. Die Jäger und Sammler kamen noch trockenen Fußes dorthin.
Diese neuen Forschungsmethoden wirbeln ganz nett die alten Vorstellungen durcheinander, halten mich auf Trab, denn ich schau inzwischen immer nach, ob es neuere Erkenntnisse gibt. Das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte ist da eine gute Adresse.
Es waren also Bauern, die die Wälder rodeten und die ersten hölzernen Henges aus dicken alten Eichenstämmen errichteten. Diese ersten Bauern begannen in ganz Europa Steinmonumente zu errichten, und zugleich veränderten sie das Land massiv. Die dunklen Wälder verschwanden langsam aber sicher. Der Mensch verändert das Land massiv und zwar seit es sie gibt und sie sich über den Erdball ausbreiten. Selbst die Aborigines veränderten das Land massiv durch Brandrodungen. Menschen verändern die Welt, immer schon.
Und der Mensch wird sich seiner selbst bewusst, aber auch über das Unberechenbare und schafft Begründungen für Unerklärliches. Daran hält er sich fest und es gibt im Sicherheit. So entstanden die ersten spirituellen Plätze.
In der Nähe von Stonehenge gibt es warme Quellen. Diesen Gewässer frieren nie zu, das bedeutet, dass Tiere auch im Winter dorthin zogen. Seltene Rotalgen wachsen dort und nimmt man einen Stein heraus, verfärbt er sich während des Trocknens in ein wildes Pink. Aber ob warm oder kalt, Quellen haben Menschen immer schon fasziniert. Selbst heute sind sie Ziel für und Ort von Erscheinungen. Wasser gehört irgendwie dazu, ob es die Taufe ist oder bei Marienerscheinungen wie in Lourdes.
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Archäologen bei spirituellen Plätzen sich sehr an die materielle Kultur anlehnen. Viele alte Kirchleins stehen auf noch älteren Kultplätzen. Soll hier der einzige Grund jener sein, dass vorher auch schon etwas Religiöses dort war? Oder vielleicht gibt es bestimmte Kräfte, die wir heute noch nicht messen können, so wie der Strom vor 200 Jahren etwas Magisches war.
In diesen offenen Flächen beginnen sie riesige Monumente zu errichten, aus Holz Kreisgrabenanlagen, Steinkreise wie in Stonehenge, Menhire, Dolmen. Was mich dabei fasziniert ist nicht nur, die technische Begabung, die wir uns noch immer nicht ganz erklären können (Steine von weit her transportieren, das Aufrichten, das Ineinanderfügen der viele Tonnen schweren Steine…), sondern auch der geistige (spirituelle) Hintergrund, von dem wir nur ahnen können, was er sein könnte, aber auch wie viele Menschen so viel Zeit opfern konnten, um diese Plätze zu dem zu machen, was sie sind. Es muss auch Überfluss gegeben haben, denn das Essen und Trinken geht immer noch vor.
Alles erzählt uns etwas. Ich komme ins Schmunzeln bei den vielen Theorien. Warum denken sie so kompliziert?
Jahreszyklen sind für Bauern immer wichtig gewesen (siehe Bauernkalender), die dunkle Jahreszeit grimmig (siehe Perchten in Salzburg und Tirol), das Gedenken an Ahnen (Allerheiligen und Allerseelen) in jeder Kultur vorhanden, das Verbundensein verschiedener Kultplätze durch Wege (ob Jakobsweg oder das Pilgern nach Mariazell) lange Tradition in vielen Gesellschaften.
Vor 5100 Jahren begannen Menschen einen ersten Wall zu errichten.
Stonehenge stand von 3100 v. Chr. bis 1600 v. Chr. in Verwendung, veränderte sich immer wieder, was verwundert erwähnt wird. Es sind 1500 Jahre. Was haben wir heute mit den Menschen von 6. Jahrhundert gemeinsam? Wir haben keine Idee. Wir würden ihre Sprache nicht verstehen und das Essen würde uns wahrscheinlich auch nicht schmecken. Das ist verdammt lange her und in unserer Kultur gab es Schrift, um Dinge festhalten zu können. Klar haben sich Bedeutungen und Rituale verändert. Wir feiern heute die Messe auch nicht mehr so, wie vor 100 Jahren. Wenn es nicht irgendwer aufgeschrieben hätte, wir wüssten es nicht mehr.
Spannend finde ich auch, dass es ein weit größeres Areal umfasst. Durrington Walls liegt 3,2 km entfernt, dort haben die Forscher der Ludwig Boltzmann Instituts und der Universität Birmingham einen viel älteren Henge gefunden. Die gesamte Gegend ist durchzogen von verschiedenen Ritualplätzen.
Was ich beim Besuch des Museums gelernt habe, ist, dass meine Neugier unendlich groß ist, ich immer mehr wissen will, es immer noch etwas gibt, das ich verstehen will. Ich kann das Mysteriöse einfach stehen lassen. Sein-lassen. Alte Plätze als Orte, der den Vorfahren heilig war, als solchen annehmen. Ein Raum, dem ich mich nähere mit der Achtung vor verschiedenen Religionsbildern.
Sie dienen immer dazu, das Unbegreifliche fassen zu können. Und alle wissen, wir können es nicht. Glaube ist unangreifbar. Nur Vernunft und Weisheit ist ein guter Freund. Denn es bleibt uns nichts anderes als Respekt und Wertschätzung. Vielleicht wäre heute wichtiger als alles andere, dass wir uns gegenseitig respektieren. Sonst scheitern wir beim Menschsein. Oft genug sind wir nicht fähig, das Glaubensbild anderer stehen zu lassen, ohne Wertung und Verurteilung. Wenn alle mit diesen Bildern so umgehen, dann ist die Welt gerettet.