Eine Höhle — alle Höhlen gesehen? FALSCH

Die Lim­i­tierung der Besuch­er ist nicht nur ein Schutz für die Höh­le, son­dern auch ein Gewinn für die Besuch­er. In kleinen Grup­pen ist die Führung intimer, für mich ganz intim, da ich nicht Franzö­sisch spreche. Nur an weni­gen Stellen hätte ich gern gewusst, was da alles erzählt wird. Aber so kon­nte ich mehr Staunen. Ich hätte ja über­all noch gerne Zeit für mich ver­bracht, aber das geht nun mal nicht. Und so ist es auch gut.

Das Selt­same ist, wenn ich mir Bilder betra­chte, ich deren Unter­schiede schon sehen kann, aber die Art der Höh­le hat noch ganz viel mit der Wirkung dieser Malereien, Zeich­nun­gen, Gravuren, Reliefs zu tun. Ich habe immer nur von der Wirkung der Bilder gele­sen, aber die Höh­le an sich hat ganz viel Ausdruckskraft.

Es ist ein Unter­schied, ob es eine schmale, niedrige Höh­le ist, in die man hineinkrabbeln musste, um etwas in den weichen Kalk­stein zu ritzen, ich aber die Begren­zun­gen der Höh­le rund um mich erkenne (Les Com­barelles). Um sie heute betreten zu kön­nen, wurde extra gegraben, damit wir aufrecht durchge­hen kön­nen. Irgend­wie nimmt uns dies die Chance zu erken­nen, wie es sich anfühlte, als vor 15000 Jahren in diese Wände ger­itzt wurde.

Com­barelles I enthält an die 800 Ritzze­ich­nun­gen. meist han­delt es sich um Tier­darstel­lun­gen, aber auch einige men­schliche Abbil­dun­gen sind zu sehen (ins­ge­samt 48). Am häu­fig­sten sind die Wildpferde, von denen an die 140 Abbil­dun­gen vorhan­den sind, gefol­gt von Wisen­ten, Aue­rochsen, Bären, Ren­tieren, Mam­muts und Hirschar­ti­gen. Men­schen­darstel­lun­gen sind meist nur stil­isiert dargestellt. Daneben gibt es abstrak­te Abbil­dun­gen, die soge­nan­nten tek­ti­for­men (von lat. tēc­tum = Dach) bzw. dachför­mi­gen Zeichen.

Sie krabbel­ten auf allen Vieren hinein, mit dabei waren Lam­p­en, die gefun­den wur­den, mit Tier­fett gefüllt und mit Wachold­erzweigen entzün­det. Frisch hinein­ger­itzt waren sie viel deut­lich­er sicht­bar als heute, denn der frische weiche Kalk­stein zeich­nete sich deut­lich weiß ab. Die Schat­ten, die durch das flack­ernde Licht gewor­fen wur­den, mussten viel lebendi­ger gewirkt haben, als heute.

Es muss eine sehr stille, med­i­ta­tive Stim­mung geherrscht haben, denn es war nur möglich hin­tere­inan­der in die Höh­le zu kriechen. Vielle­icht war es tat­säch­lich immer nur ein­er, der sich in die Tiefe des Berges vor­wagte, und hier auf eine sehr intime Art mit den Tieren kom­mu­nizierte. Wie in einem Traum muss die Dunkel­heit auf diese Men­schen gewirkt haben.

In der anderen, die ver­gle­ich­bar schmal ist, doch sich die Höh­le nach oben hin ver­liert, weil es 8 Meter hin­aufge­ht, ver­lor sich die Bedeu­tung des Men­schen auf andere Art und Weise. In Font-de-Gaume ist es nicht nur die Tiefe, die man ahnen kon­nte, die Tiere erhiel­ten Far­ben, sie wur­den größer und sie trat­en auch miteinan­der in Kon­takt. Der Hirsch, der sich zu äsenden Hirschkuh hin­abbeugt, über­raschte mir auf Grund der Zärtlichkeit, die dieses Bild ausstrahlt. Die Fack­eln oder Fet­t­lam­p­en kön­nen dies gar nicht ausleuchtet haben. Sie haben immer nur im direk­ten Umkreis sehen kön­nen. Und weil es nicht unheim­lich genug ist, haben sie noch einige Meter ober­halb des Bodens Tiere abge­bildet, die ich als Besucherin gar nicht sehen kann. Das bedeutet sie haben Gerüste gebaut oder sind auf den Schul­tern eines anderen ges­tanden. Die Art und Weise, wie hier mit den Tieren kom­mu­niziert wurde, fühlt sich völ­lig anders an. Es ist ein Unter­schied, ob ich liegend die Tiere verklein­ert in die Wände kratze, oder ob ich aufrecht ste­hend, vielle­icht noch erhöht, die gewaltige Kraft eines Büf­fels auf die Wand sprühe, mit der Farbe in meinem Mund. Es ist so als ob ich die Energie und Lebendigkeit in mich aufnehmen könnte.

Es war Font-De-Gaume, wo ich nochmal eine Führung auf Eng­lish mit­machte. Sie hat mich nicht so beein­druckt wie andere. Und auch die englis­che war nicht so gut. Vielle­icht nehmen sie viel von der Impres­sion des Ganzen, da auf den verkauften Bildern die Objek­te viel deut­lich­er zu sehen sind, als in der Höh­le selb­st. Deshalb wollte ich auch nochmal hinein. Lei­der erschien mich das viel mehr an eine Verkaufsver­anstal­tung zu erin­nern. Wenn mir ein ander­er sagt, dass etwas gewaltig ist und ich beein­druckt sein muss, stiehlt er mir mein Gefühl. Sie zeich­nen mit einem Point­er die Gestalt der Tiere nach und ich kon­nte mir nicht helfen, es enthielt viel mehr von der Über­raschung dieses Tier zu erken­nen, als von dem Fak­tum, dass hier ein Men­sch einen Büf­fel oder einen Hirsch darstellen wollte.

Doch die riesige Höh­le in Rouffini­ac über­fiel mich völ­lig uner­wartet. Es ging tief hinein, viele Abzwei­gun­gen macht­en es zu einem Aben­teuer für sich. 700 Meter sind wir mit ein­er kleinen Eisen­bahn hineinge­fahren. Über­all Abzwei­gun­gen, Löch­er, die ins schwarze tiefe Unbekan­nte gin­gen, die Ausspülun­gen, die ein Fluss, viele Jahre bevor ein Men­sch die Höh­le betrat, als bizarre Bilder zeich­nete, nah­men mir den Atem. Und dann taucht plöt­zlich eine Herde von Mam­muts auf, die sich hin­tere­inan­der auf unbekan­ntes Land zu bewegten. Men­schen stiegen in diese Untiefen hinab, um unten weit­ere Bilder zu zeich­nen. Und in dem heute riesi­gen Saal lagen sie am Rück­en, zeich­neten Tiere in real­is­tis­ch­er Größe, die sie nicht ein­mal als Ganzes sahen, denn der Abstand zu Decke, war nur sehr ger­ing. Während in Com­barelles die seitlichen Wände benutzt wur­den, ist hier auch die Decke als Bett für diese Tier­bilder ver­wen­det wor­den. Auf dem Rück­en liegend hat ein Men­sch mit Manganox­id die Umrisse wirk­lichkeits­ge­treu zeich­nen kön­nen, ohne die großen Tiere jemals kom­plett erfassen zu kön­nen, weil es nicht möglich war, einen Schritt zurückzugehen.

Mein Entschluss Pech-Mer­le zu besuchen war richtig. Hier fand ich erst­mals nicht nur einen Saal. Es war kein Ort, den ein­er allein auf­suchen musste, hier war Platz für viele. Die Fußab­drücke von einem Jugendlichen und kleinen Kindern, die hier kon­serviert wur­den, geben davon Zeug­nis. Als uns die Höh­le gezeigt wurde und das Echo der Führerin den Raum erfüllte, legte bei mir einen Schal­ter um. Ich hörte Trom­meln und Stim­men, die hier die Winkeln und Eck­en aus­füll­ten. Zu den Bildern gesell­ten sich die Sta­lak­titen und Sta­lag­miten, die den Raum zusät­zlich verzierten. Hier war endlich auf Platz für Bewe­gung und Tanz. Hier waren es andere Dinge, die zu beson­deren Erfahrun­gen ein­lu­den. Ob Manganox­id tat­säch­lich, wenn es mit Spucke ver­set­zt, bewusst­seinsverän­dernde Zustände aus­löst, wie ich wo lesen kon­nte, weiß ich nicht. Doch die zahlre­ichen Umrisse von Hän­den, die damit erzeugt wur­den, lassen diese Idee glaub­haft erscheinen.

Höhlen waren Plätze, die nie als Wohnorte dien­ten. Anders als in den Abri oder Über­hän­gen, wo unglaublich viele Über­reste des All­t­agslebens gefun­den wur­den, waren dort kaum vorhan­den. Es waren beson­dere Stellen, die zu beson­derem ein­lu­den und auf­forderten. Tief, viel tiefer als ich mir je vorgestellt habe, sind Men­schen in diese Höhlen hinein und haben dort etwas hin­ter­lassen, das wir heute nur inter­pretieren kön­nen. Das Geheim­nis wird ver­bor­gen bleiben. Doch da diese etwas so Beson­deres sind, wer­den es für mich spir­ituelle Orte sein. Orte, wo man mit ein­er anderen Welt Kon­takt auf­nahm. Was immer sie dort erlebten, es wird ihnen im All­t­ag eine Hil­fe gewe­sen sein. Denn wäre es nicht so gewe­sen, wozu hät­ten sie diese Unan­nehm­lichkeit­en auf sich genom­men. Es wird einen Nutzen gehabt haben. Vielle­icht sind wir diejeni­gen, die etwas ver­loren haben, da wir nicht mehr fähig sind, auf diese Hil­fe zurück­greifen zu können.

Wer von uns würde tief hin­ab­steigen, um ein Bild eines Com­put­ers oder eines Autos zu zeich­nen. Wieviel Gegen­stände unser­er Welt haben eine tief­ere Bedeu­tung und wären so wichtig für uns, dass wir darauf ver­traut­en, dass sie mehr als “nur” ein Gegen­stand sind? Dass sie uns mehr geben kön­nten, als das, wozu wir sie kon­stru­ierten? Wir glauben in ein­er reicheren Welt zu leben, doch ist es wirk­lich so? Ver­spricht die Real­ität mehr als unser Geist und unsere Fan­tasie und Träume?

Ich hätte gern mehr Zeit für mich gehabt, aber das ist aus ver­ständlichen Grün­den nicht möglich. Für mich sind es spir­ituelle Orte und der alltägliche Touris­ten­strom erlaubt es nicht, sie auf eine andere Art zu erfahren. Es ist nicht möglich, so vie­len Men­schen diese Zeit zu geben.

Welche Hin­ter­gründe hin­ter den Tieren, den sex­uellen Abbil­dun­gen und abstrak­ten Motiv­en ste­hen, weiß ich nicht. Auss­er Respekt und Achtung bleibt mir nicht viel zu sagen.

Grotte du Peche-Merle

Keine Höh­le vorher hat so zum Tanzen ein­ge­laden wie diese. Es war unglaublich. Tanzen und Sin­gen in einem wun­der­baren Ball­saal mit leuch­t­en­den Sta­lagtiten und Stalgmiten.
Wielange wuch­sen die bizarren Girlan­den hier herunter?
Kein Wun­der, dass Men­schen hier ihre Hand­ab­drücke hinterließen.
Ich hätte so gerne laut gesun­gen, aber die geführte Tour hat es ver­boten. Was wäre passiert, wenn ich es gewagt hätte? Doch ich hörte sie sin­gen und spürte den Trom­melschlag. Die Fußspuren der Jugendlichen und Kinder, die wir zu sehen beka­men, sprachen davon.
Zu gerne hätte ich eine Fet­t­lampe entzün­det. Wieviel hätte man gese­hen, wieviel wäre im Dunkeln ver­bor­gen geblieben? Welch ein wun­der­bar­er Abschluss mein­er Reise! Auch diese Höh­le bewieß mir, dass jede etwas Beson­deres ist.
fotopech

Welches Leben will ich leben?

Ich weiß, es ist Urlaub und nicht mit nor­malem Leben zu ver­gle­ichen. Den­noch beginne ich mich inten­siv zu fra­gen, wie ich wirk­lich leben will und wie ich dieses Leben auch ver­wirk­lichen kön­nte. Es geht nicht darum, nichts zu tun, es geht darum, etwas sin­nvolles zu tun.

Seit ich unter­wegs bin, geht mir die Ver­mark­tung, die auf den soge­nan­nten sozialen Plat­tfor­men nicht aus dem Sinn. Muss ich mich wirk­lich verkaufen? ist es wirk­lich nor­mal einen Men­schen wie eine Ware anzupreisen?

Ein­er schreibt als Titel­bild: “mir hat auch kein­er gesagt, wie man Kap­i­tal­ist wird!” Und ich denke mir nur, ich will das nicht wis­sen. Schon gar nicht, dass mir ein­er erk­lärt, wie ich dazu werde. Ich will ein Men­sch sein und das ist irgend­wie gar nicht so leicht. Ich will doch nicht wis­sen, wie ich zu ein­er bes­timmten Schublade werde. Und es ist mir egal, ob diese Schublade viel Geld bringt oder nicht.

Ob es die 200-Zeichen­welt ist, der man sich mit­teilt, oder 500 Zeichen, bizarr ist bei­des. Teilt man sich hier mit? Wird hier nicht vielmehr ein Bild, ein Image, ent­wor­fen, ohne es vielle­icht zu wis­sen, ohne sich dessen bewusst zu sein, oder vielle­icht noch schlim­mer, ohne es zu wollen? Aus welchem Zweck soll ich diese Medi­en ver­wen­den? Geht es nicht ein­fach nur darum, was andere von mir denken sollen? Doch was geben ein paar Wörter schon von mir preis? Es ist doch nur eine Annäherung an das, was wir sind.

Und immer wieder muss ich daran denken, wieviele mein­er besten Fre­unde nichts davon benutzen. Also darf ich mich hin­set­zen und ihnen schreiben. Und sie schreiben mir. Oder ich besuche sie, wie jet­zt Corinne. Ihr Englisch ist nicht so gut. Aber wir sind miteinan­der inten­siv verbunden.

Ein­mal las ich: “ich wün­sche den anderen das Dop­pelte von dem, was sie mir wün­schen” kam mir nicht in den Sinn, dass der­jenige davon sprach, dass andere ihm Gutes wün­scht­en. Nein, es war wie ein bös­er Fluch. Die anderen wün­schen mir bös­es und ihnen sei es mit dem dop­pel­ten ver­golten. Schlim­mer als “Auge um Auge, Zahn um Zahn”, denn das sollte der Blu­tra­che Ein­halt gebi­eten. Es stimmte mich trau­rig. Was so zynisch und selb­stzufrieden dahin gesagt war, und ich kenne den­jeni­gen, der das sagte, gut genug, um es so zu deuten, tut mir weh. Welchem Zweck dient dieser Sarkasmus?

Lustig ist, dass ich erkenne, dass ich mich nicht so wichtig nehme, dass sich jemand x‑beliebiger die Zeit nimmt, mir irgen­det­was zu wün­schen. Dafür bin ich mir sich­er, dass mir meine Fre­unde das Allerbeste wün­schen, so wie ich ihnen. Die anderen mögen mir verzei­hen, ich glaube, ich bin abso­lut egal für ihr Leben. Und wenn ich der Rede Wert bin, dann inter­essiert es mich eigentlich nicht. Was soll ich mit der Mei­n­ung mir fremder Men­schen anfan­gen, die mich entwed­er nicht mögen oder vielle­icht gar nicht ken­nen. Was soll ihre Mei­n­ung mir über mich aussagen?

Allein unter­wegs zu sein bedeutet auch, viel Zeit zu haben, über das, was mir begeg­net, was ich lese, nachzu­denken. In einem frem­den Land unter­wegs zu sein nochmal mehr. Und wenn ich die Sprache nicht spreche erst recht.

Sind mir die Blicke in Öster­re­ich wirk­lich so ver­traut, dass ich in ihnen Lesens kann? Klar weiß ich, dass ich hier in Frankre­ich auffiel, wenn ich in der Apparte­men­tan­lage unter­wegs war, wo son­st nur Paare und Fam­i­lien waren, doch war dies leichter auszuhal­ten, als jeden Tag allein in einem Hotel zu sein.

Oder bin ich mir vielle­icht der Indi­vid­u­al­ität so bewusst, dass mir sehr klar ist, dass ich nicht ein­er Gruppe zuge­hörig sein kann. Eine Gruppe ist dadurch gekennze­ich­net, dass sie sich von anderen unter­schei­det, sie tren­nt. Grup­pen sind definiert, was sie verbindet: Durch das, was wir arbeit­en, wo wir leben, ob am Land oder in der Stadt, wo wir herkom­men, was für Aus­bil­dung wir erhal­ten haben, wie wir unsere Freizeit ver­brin­gen, was für Hob­bys wir haben. Und es geht weit­er, was wir anziehen, welche Frisur wir haben, was wir essen, wie wir unseren Urlaub ver­brin­gen. Die Basis der Vorurteile.

Das alles weist uns ein­er Schublade zu. Je mehr wir mit dieser Box verbinden und je genauer wir es definieren, um so bess­er ist unser Vorurteil definiert. Diese Box­en wer­den dann miteinan­der verknüpft und fer­tig ist ein bes­timmtes Bild.

Kurz durchge­spielt, funk­tion­iert es ganz leicht an Hand von Berufen: ein Bib­lio­thekar ist … Ein Jour­nal­ist ist … Ein Kün­stler ist.… Oder Öster­re­ich­er, Deutsch­er, Fran­zose, das ganze noch weib­lich und die Vorurteile sprießen nur so heraus.
Ich lade jeden ein, dieses Spiel für sich durchzus­pie­len. Da tun sich Wel­ten auf. Mit ein­er sim­plen Beze­ich­nung wird unglaublich viel verbunden.

Also ist es ganz leicht, diesem Bild nicht zu entsprechen. Nur eine Eigen­schaft, die wir ganz eng damit verbinden und der­jenige fällt aus der Rei­he. Es sind keine Grup­pen, denen du wie einem Vere­in beitrittst, nein es ist die Struk­turierung, die wir als Vere­in­fachung unseres Lebens ver­wen­den. Sie ist zu ver­führerisch, um sie nicht zu benutzen. Sie ist auch notwendig, denn wenn alles immer neu und unge­wohnt ist, bedeutet es auch eine ständi­ge Aufmerk­samkeit, aber auch Anstren­gung und Aufre­gung. In einem gewis­sen Umfang ist das ganz wun­der­bar und fein, doch gibt es Gren­zen. Wenn du wie ein Men­sch, der an Alzheimer erkrankt ist, jeden Tag deinen Schlüs­sel aufs Neue suchst, dann wird es dich verzweifeln lassen.

Hier bin ich wieder an jen­em Punkt, wo ich immer bess­er ver­ste­he, was mit dem mit­tleren Weg der Bud­dhis­ten gemeint ist. Es ist nicht Schwarz oder Weiß. Ich mag es auch nicht wie Bil­ly Joel “shad­ows of grey” nen­nen, nein, es soll ein bunt wie ein Regen­bo­gen sein, alle Far­ben enthal­ten und dadurch jedes beliebige Bild entste­hen lassen, sei es ein lustiges oder ein trau­riges, ein stilles oder ein lautes. Und manch­mal wird es schwarz sein und manch­mal weiss. Es ist nicht nur ger­adeaus, aber auch nicht nur ver­winkelt. Es ist min­destens beides.

Das Leben enthält alles und wir Men­schen sind mehr, als uns klar ist. Was wir hier brauchen ist, die Ein­sicht, dass es mehr gibt. Diese Erken­nt­nis hil­ft uns offen­er zu sein und die Vari­a­tio­nen des Lebens zu sehen.

Abri du Moustier und Gisement de la Ferrassie

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Die bei­den Fund­stät­ten im Val­lée Vézère geben Zeug­nis über die Beliebtheit dieser Land­schaft über Jahrtausende. Es sind Wohn­plätze und zahlre­iche Funde geben davon Zeugnis.

Nean­der­taler lebten dort vor 300.000 Jahren eben­so wie die Cro-Magnon Men­schen, die später in dieses Tal kamen. Die Funde sind manch­mal irri­tierend, denn man kann nicht mit 100%iger Sicher­heit sagen, ob sie nicht noch gle­ichzeit­ig dieses Tal auf­sucht­en. Der derzeit­i­gen Wis­sen­stand läßt diese Aus­sage noch nicht zu. Aber in La Fer­rassie graben sie derzeit regelmäs­sig und es scheint, als ob hier bald Uner­wartetes für die Urgeschichte zu tage treten wird. Noch wird aus­gew­ertet und die Datierung, die ein sehr teures Unter­fan­gen ist, find­et ger­ade statt.

Die bei­den Skelette sind Nean­der­taler, die im Musée in Les Eyzies aus­gestellt sind.

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Ich habe zahlre­iche Doku­men­ta­tio­nen in den let­zten Wochen angeschaut und da hörte ich erst­mals, dass bes­timmte Gene des Nean­der­talers zeigen, dass er eine weiße Haut­farbe und rote Haare hat­te. Ganz anders als man ihn noch vor weni­gen Jahren als grob­schlächti­gen Früh­men­schen sah. Viele neueste Erken­nt­nisse erzählen uner­wartet “mod­ernes” von ihm. Die Nean­der­taler waren Großwild­jäger, die sicher­lich auch wegen der kli­ma­tis­chen Umstände mehr Fleisch als Beeren und Wurzeln zu sich nah­men.
Aber sein kräftiger Kör­per­bau und seine gedrun­gene eher rundliche Form ist eine Anpas­sung an die Eiszeit, so wie auch die Inu­it eher klein und gedun­gen sind, im Gegen­satz zu den hochgewach­se­nen Afrikan­ern, deren Kör­per­bau nichts mit unseren Schön­heit­side­alen, son­dern mit den kli­ma­tis­chen Gegeben­heit­en zu tun hat.

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Die Wohn­stät­ten in diesem Tal befan­den sich nie im Inneren von Höhlen son­dern unter geschützten Über­hän­gen (Abri Cap Blanc). Höhlen wur­den oft von gefährlichen Tieren, wie Höh­len­bär, Höh­len­hyä­nen und Höh­len­löwen als Quarti­er aufge­sucht. Es sind keine Plätze, wo man sich beruhigt zurückziehen kann, son­dern Orte, die eine erhöhte Aufmerk­samkeit erfordern. Egal ob ein gefährlich­es Tier in der Höh­le wartete oder ob es von außen reinkam, irgend­wie war man hier vielfach bedro­ht. Ein Über­hang hinge­gen ver­sprach Sicher­heit zumin­d­est von ein­er Seite.

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An bei­den Orten gab es Über­hänge (Abri oder Shel­ter) an weit­er oben gele­ge­nen Stellen und an tief­er­en, wobei ger­ade die tief­er­en durch Früh­jahrsüber­schwem­mungen zahlre­iche Funde kon­servierten. Bei diesem Beispiel sieht man wieviele Über­reste die Her­stel­lung von Stein­werkzeug in den ver­schiede­nen Schicht­en vorhan­den sind. Anfangs fragte ich mich, ob es nicht ungemütlich gewe­sen sein muss, wenn diese vie­len schar­fen Split­ter rum­la­gen. Aber nach ein­er Unter­hal­tung mit Fran­cois, eine der wun­der­baren Führerin­nen, erkan­nte ich, dass  dieser “Abfall” sicher­lich nicht mit­ten im Wohn­bere­ich lag.

Es gab keine Behausun­gen, die das gesamte Jahr benutzt wur­den. Als Jäger und Samm­ler waren sie unter­wegs und lebten dort, wo aus­re­ichend Nahrung zu find­en war. Und wenn die Tiere weit­er­zo­gen, wan­derten auch sie weit­er. Und dann kam eine heftiger Regen­fall und deck­te die Schicht mit den Stein­split­tern zu. Als sie das näch­ste Mal wiederka­men, war nichts mehr von den Über­resten zu sehen. So ging es über viele Jahrtausende. Ich muss immer wieder innehal­ten, wenn ich an den Zeitrah­men denke. 90.000 bis 10.000 Jahre und unsere Geschichte? Europa vor 100 Jahren, vor 500 Jahren, Mit­te­lal­ter, Römer, erste Acker­bauern… was haben wir aus diesem Land gemacht.

Ich habe heute wo gele­sen, “Mir hat auch nie­mand gesagt, wie man Kap­i­tal­ist wird.” Ich habe nicht das ger­ing­ste Bedürf­nis, das zu hören noch zu ler­nen. Wo ste­hen wir heute? Sind wir wirk­lich ein Höhep­unkt der Evo­lu­tion? Ist es nicht nur ein Ver­such zu schauen, wohin es führt, ein Gehirn wie unseres zu besitzen. Das Spiel ist noch nicht zu ende. Wir wis­sen nicht, ob wir gewon­nen haben. Und es ist kein Men­sch-ärg­ere-dich-nicht, wo wir ein­fach von Neuem beginnen.

Ich hat­te das Glück, bei diesen Unterkün­ften (Le Pois­son, Cap Blanc, La Fer­rassie und Mousti­er) alleine die Führung gebucht zu haben. So kon­nte ich Fra­gen stellen, innehal­ten, die Umge­bung auf mich wirken lassen. Sie lagen alle in südlich­er Rich­tung und so wur­den alle von der Sonne gewärmt. Das Gefühl bei ihnen war immer anders als in den Höhlen. Fre­undlichkeit, gute Stim­mung, lustige Lieder kamen mir in den Sinn, wenn ich mich dort umsah. Auch wenn heute alles bewach­sen und Bäume die Aus­sicht versper­ren, sind es gute Plätze, um hier Zeit zu verbringen).

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Nach­den­klich stimmt mich nach­wievor, dass zu einem bes­timmten Zeit­punkt eine Fam­i­lie beschloss, ihre Mit­glieder dort zu begraben. In Cap Blanc wurde ein Grab gefun­den, in La Fer­rassie lagen Erwach­sene im West­en und Jugendliche und Kinder im Osten. Die Forsch­er gehen davon aus, wenn ein gesamtes Skelett eines Men­schen gefun­den wird, im beson­deren die Fuß­knochen, denn die sind es die als erste “ver­loren” gehen, dass eine Bestat­tung stattge­fun­den hat. In Fer­rassie wur­den ins­ge­samt 8 Skelette gefun­den. Mulden, wie jene, wo diese lagen, gab es mehr. Es waren Nean­der­taler, die hier Ange­hörige zur let­zten Ruhe bet­teten. Darunter war ein Neuge­borenes, nur wenige Tage alt. Es ist die älteste Begräb­nis­stätte von Nean­der­taler in Europa. Ob Nean­der­taler so gefühlt haben wie wir heute? Ich glaube, es war nicht so viel anders. Sie kan­nten Trauer und Ver­lust, vorallem viel unmit­tel­bar­er als wir heute. Wie oft sind wir uns unser­er Vergänglichkeit bewusst? Wie sehr blenden wir heute Alter und Tod aus? Wie oft glauben wir, dem Tod entkom­men zu sein, indem wir uns ein­er Illus­sion der ewigen Jugendlichkeit hingeben?  Vielle­icht ist dieser Traum zu tief­st men­schlich, ob homo sapi­ens oder homo nean­der­tal­en­sis. War es ein Sym­bol für die Ewigkeit, als Men­schen vor 40–45.000 Jahren diese Zeichen in La Fer­rassie hinterließen?

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Und falls dich, diese Zahlen nicht irri­tieren, sie soll­ten es, denn es ist ein Zeichen dafür, dass Nean­der­taler und Cro-Magnon-Men­sch nebeneinan­der in Europa lebten. Und wer weiß, wer diese Sym­bole hin­ter­ließ, die aus jen­er Zeit stammen?

Musée national de Préhistoire — Les Eyzies-de-Tayac

Stein­werkzeuge, Klin­gen, Sch­aber … Unzäh­lige bear­beit­ete Steine.

Trotz der gelun­genen Ausstel­lung ver­ste­he ich nun, dass Muse­um­späd­a­gogik ein wichtiger Bestandteil sein muss. Wis­senschaftler ver­lieren vielle­icht in ihrem Eifer und Begeis­terung den Überblick, mit welchem Wis­sen ein sim­pler Besuch­er ins Muse­um kommt.

Mir ist wichtig, dass in Museen wis­senschaftlich gear­beit­et wird, und dass Platz auch für jene Wis­senschaftler ist, die nicht an diesem Muse­um arbeit­en. Aber ein wesentlich­er Punkt ist, das Museen der bre­it­en Öffentlichkeit den Wis­sens­stand in einem Fachge­bi­et näher bringen.IMG_0509

Hier in Les Ezyies sehe ich den Stolz der Wis­senschaftler, die gefun­de­nen Objek­te zu präsen­tieren. Aber ich bin der Mei­n­ung, dass in diesem Fall weniger mehr wäre. Bei besten Willen kann ich nichts mit­nehmen, wenn ich vor 100 für mich völ­lig gle­ichar­ti­gen Faustkeile liegen und zwar jew­eils Hun­derte für jede Peri­ode, wenn mir nicht jemand erk­lärt auf was ich zu acht­en habe, wird es ein großer Eintopf.

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Dank der Führun­gen, die ich Mousti­er und le Fer­rassie hat­te, ver­stand ich ein wenig mehr. Aber ist es eigentlich nicht tragisch, dass ich zulet­zt ins Muse­um gehen hätte sollen, um die dort aus­gestell­ten Objek­te zu ver­ste­hen? Das ist doch ein Wider­spruch in sich.

Es wäre für mich viel sin­nvoller gewe­sen, an Hand weniger Faustkeile (Biface auf Franzö­sisch klingt ein­fach ele­gan­ter als Faustkeil auf Deutsch) aufzuzeigen, dass dieses Werkzeug seit 1,5 Mil­lio­nen Jahren ange­fer­tigt wur­den. Nur kurz zum Ver­ständ­nis, zu jen­er Zeit existierten noch ver­schiedene Hominiden-Arten in Afri­ka und die benutzten Faustkeile als Unter­stützung in ihrem Leben. Es ist also noch ein langer Weg bis zum mod­er­nen Men­schen. Denn vom Homo sapi­ens, so wie wir sind, kann erst früh­estens vor 200.000 Jahren gesprochen wer­den. Ich sollte genauer sein. Die Datierung des mod­er­nen Men­schen ist nicht ganz so ein­fach. Auf der einen Seite ver­sucht man die beson­deren Merk­male der ver­schiede­nen Homo festzuhal­ten. Bei Nean­der­taler sind das die beson­deren Augen­wül­ste, die flachere Stirn im Gegen­satz zu uns, das Kinn, das weniger her­vor­tritt als das unsere, und die Schädelform, die nicht so rund ist, wie der unsere.

Ich bin fasziniert, wenn ich daran denke, dass die ersten bear­beit­eten Steine, die Vorgänger der Faustkeile, der Chop­per, bere­its vor 2,6 Mill. Jahre in Ver­wen­dung waren. Durch die Führun­gen die Tage zuvor haben mir die vie­len Stein­werkzeuge etwas näher gebracht.

Es ist beein­druck­end, wie geschickt die Steine bear­beit­et wur­den. Doch auch damals gab es geschick­tere und weniger geschick­tere. Es waren nie alle gle­ich begabt in jeglich­er Hin­sicht. Bei bei den Stein­werkzeu­gen hat sich eine Wis­senschaft­lerin die Mühe gegeben und die “Abfälle” sortiert, ihre Ent­fer­nung zur Feuer­stelle gemessen und die Qual­ität des Steines geprüft. Und es war so, je geschick­ter, um so näher kon­nte der­jenige am Feuer sitzen und umso bess­er war die Qual­ität des Steines, der bear­beit­et wurde. Gute Qual­ität durfte nicht ver­schwen­det werden. IMG_0564
Ich habe ver­sucht die beson­deren Klin­gen des Solutrèen einz­u­fan­gen, denn sie sind ver­dammt dünn. Von diesen hat man lange nicht soviele gefun­den, wie von den etwas robus­teren. Die Frage ste­ht im Raum, ob nicht viele dieser Klin­gen mehr rit­uellen Zweck­en dien­ten, als für den täglichen Gebrauch. Die Meth­ode hat sich nicht für län­gere Zeit und in einem größeren Raum aus­ge­bre­it­et. Sie zeigt aber, wie geschickt und gekon­nt diese Steine beschla­gen wurden.

Eine mein­er Frem­den­führerin­nen erzählte, dass ein Archäolo­gen, der dur­chaus ver­siert in der exper­i­mentellen Archäolo­gie ist, beim Ver­such diese Klin­gen eben­falls herzustellen,  kläglich scheit­erte. Es gelang ihm nicht die Steine in dieser Fein­heit zu bearbeiten.

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Um einen Ein­druck zu gewin­nen, wie ein Fund­platz aussieht und wo Archäolo­gen bud­del­ten, um Klin­gen zu find­en, wurde ein solch­er Fund­platz in die Ausstel­lung aufgenom­men. Ichh ver­mute, dass anfangs die Klin­gen von dem umgeben­den Stein oder Sand gar nicht unter­schieden wer­den konnten.

Beson­ders berührend waren für mich die Skelette.  (Nean­der­taler Skelette werde ich bei den jew­eili­gen Fund­stellen, die ich besuchte, zeigen.) Am lieb­sten hätte ich sie in ein Grab gelegt. Das Bewusst­sein, dass es Men­schen sind, mit denen ich wenn auch nur weitläu­fig, aber doch ver­wandt bin, ließ mich still und ruhig wer­den. Auch wenn es vielle­icht lächer­lich erscheinen mag, aber mir war es wichtig, jedem eine Form von Gebet zukom­men zu lassen, mit dem Wis­sen, dass alles einen guten Weg geht, wenn es aus einem guten Herzen kommt. Das Mascherl, das Reli­gio­nen so gerne um Men­schen hän­gen, ist irrel­e­vant. Entwed­er gibt es etwas Höheres oder nicht. Und wenn es etwas  Höheres gibt, dann wird es wohl nicht genau­so beschränkt denken wie Menschen.

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