Jules und ich landeten also am Rande der Leiser Bergen. Geplant hatte ich das nicht. Ich wollte schauen, wo mich Jules hinführt. Ich selbst hatte schon total vergessen, dass es diese Berge gibt und als Tiroler hätte ich diese Hügelkette auch nicht wirklich Berge genannt. 491 Meter ist die höchste Erhebung, Innsbruck, wo ich aufgewachsen bin, liegt 83 Meter höher. Und von Ladendorf hatte ich erst recht noch nichts gehört.
Wie viele andere Dörfer hier schmiegt es sich in den Talgrund, denn 200 Meter weiter oben bläst oft ein heftiger Wind. Als ich die kleine Straße abbog, dem Hinweisschild folgend, dass dort ein Parkplatz sei, wunderte ich mich zwar, dachte aber, niemand wäre bei diesem Sturm dort oben. Doch alle Plätze waren besetzt. Also stellte ich mich nebenan unter ein riesige Betonkreuz, das ich schon von weitem gesehen hatte.
Als dann die ersten beiden Musikanten kamen, fragte ich mich, was an einem Freitagnachmittag bei diesem Wetter so wichtig wäre, dass man sich diesem Wetter so aussetzt. Der Pfarrer grüßte mich als Einziger freundlich, die dunkel gekleideten, ernsten Menschen sahen mich nicht und unterhielten sich, alle sehr würdevoll und gedämpft, während ich sie vom Auto aus beobachtete und mich fragte, was sie hier taten. Denn der Wind blies ungemütlich und kalt, es war nicht gerade der ideale Moment, um auf einer Hügelspitze rumzustehen.
Bald waren alle weg und ich suchte ein besseres Plätzchen für Jules, denn der Parkplatz war nun leer, ich zog mir die Mütze tief in die Stirn und schloß den Reisverschluss und wickelte die Jacke eng um mich, stieg aus und plötzlich ergab alles einen Sinn.
Es ist ein Plätzchen, wo Menschen ihre Asche der Erde wiedergeben können. Auf einem Schild stand, dass hier ein Urnenfriedhof war. Sie waren zu einem Begräbnis gekommen. Die Aschen von Verstorbenen in verrottbaren Urnen wurden hier vergraben mit freiem Blick auf Sonnenauf- und Untergang. Wie hier in der Gegend vor 3000 Jahren Bronzeurnen vergraben wurden, nur dass von diesen Urnen nichts mehr übrig bleiben wird. Archäologen werden hier nichts anderes finden als Überreste dieses Riesenkreuzes.
Seltsam fühlt sich dieser Platz an. Ich zweifle nicht, dass die Toten hier Frieden finden, auch zweifle ich nicht, dass die Art und Weise beruhigend ist. Seltsam ist, dass die Wiese so nackt am obersten Punkt liegt, keine schützenden Bäume oder Büsche, die Stelle so ausgesetzt, dass einzelne Pflanzen, die gesetzt wurden, inzwischen verdorrt sind. Der Gewalt des Wetters zu heftig ausgesetzt, ist der Ort. Vielleicht war aber auch nur das Wetter nicht das Richtige. Das Foto erscheint seltsam, aber es gab tatsächlich nicht viel mehr zu sehen. Das ist der Weg, der neben dem Friedhof vorbei führt.
Den einzigen Widerstand bildet das Friedenskreuz, wie sie zu dem Betonmonument sagen. Es steht so fest, dass der Sturm vergeblich an ihm rüttelt.
Auf den Hügeln am Horizont sah ich zwei Gebäude, die wie ein Observatorium aussehen, aber ich erinnerte mich daran, dass sie vielleicht nicht so romantische Hintergründe haben könnten. Ich begann zu recherchieren: Luftraumüberwachung, die militärische und zivile wird in diesen zwei überdimensionalen Golfbällen betrieben. Von der Goldhaube war in meiner Jugend oft die Rede, heute hört man nur mehr bei dramatischen Ausfällen von Radarstationen von der Luftraumüberwachung. Von der Goldhaube werden junge Menschen wahrscheinlich noch nie gehört haben. Auf dem Bild sieht man in weiter Ferne, einen der beiden Türme.
Doch Ladendorf berührt mich auch, denn neben dem Kreuz ist auf der einen Seite nicht nur der Urnenfriedhof, sondern auf der anderen noch eine Wiese mit einer kleinen Schrebergartenhütte, wie mein Vater eine hatte. Es ist der Grillplatz mit einem Unterschlupf im Trockenen, der allen zur Verfügung steht. Anmelden müsste man es nur und bei einem Wetter wie heute, darf kein Feuer gemacht werden. Dass dort gefeiert wird, sehe ich an den Überresten im Abfalleimer: voll bis oben hin mit Dosen.
Mein Traum vom witzverzählende Apostel wurde sicherlich lebendig wegen der Kunstinstallationen, wo neben Auszügen des Evangeliums auch Gedichte, die zur Landschaft passten, standen. Es sind Tafeln von Heinz Cibulka, die am Meditationsweg, der zum Friedenskreuz, dem höchsten Punkt von Ladendorf, führt, aufgestellt sind.
Ob in der Nacht tatsächlich jemand an der Tür rüttelte, oder nur ein noch heftiger Windstoß das Auto beutelte, kann ich nicht sagen, ich bin aufgewacht, aber ich war nicht beunruhigt und bin gleich wieder eingeschlafen. Der Sturm begleitete uns die ganze Nacht und immer wieder versuchte er heftig, mich zu erschüttern. Er war am Morgen noch immer so wütend, dass der Mann, der seinen Hund ausführte, seine Kapuze ganz tief ins Gesicht gezogen hatte, um unbemerkt den Weg entlang gehen zu können, und deshalb auch mich kaum eines Blickes würdigte. Die Sonne kam zögerlich hinter Wolken zum Vorschein.
Nach meinem ersten Kaffee, den ich in Jules kochte, war ich in 10 Minuten in Asparn an der Zaya.