Die Limitierung der Besucher ist nicht nur ein Schutz für die Höhle, sondern auch ein Gewinn für die Besucher. In kleinen Gruppen ist die Führung intimer, für mich ganz intim, da ich nicht Französisch spreche. Nur an wenigen Stellen hätte ich gern gewusst, was da alles erzählt wird. Aber so konnte ich mehr Staunen. Ich hätte ja überall noch gerne Zeit für mich verbracht, aber das geht nun mal nicht. Und so ist es auch gut.
Das Seltsame ist, wenn ich mir Bilder betrachte, ich deren Unterschiede schon sehen kann, aber die Art der Höhle hat noch ganz viel mit der Wirkung dieser Malereien, Zeichnungen, Gravuren, Reliefs zu tun. Ich habe immer nur von der Wirkung der Bilder gelesen, aber die Höhle an sich hat ganz viel Ausdruckskraft.
Es ist ein Unterschied, ob es eine schmale, niedrige Höhle ist, in die man hineinkrabbeln musste, um etwas in den weichen Kalkstein zu ritzen, ich aber die Begrenzungen der Höhle rund um mich erkenne (Les Combarelles). Um sie heute betreten zu können, wurde extra gegraben, damit wir aufrecht durchgehen können. Irgendwie nimmt uns dies die Chance zu erkennen, wie es sich anfühlte, als vor 15000 Jahren in diese Wände geritzt wurde.
Combarelles I enthält an die 800 Ritzzeichnungen. meist handelt es sich um Tierdarstellungen, aber auch einige menschliche Abbildungen sind zu sehen (insgesamt 48). Am häufigsten sind die Wildpferde, von denen an die 140 Abbildungen vorhanden sind, gefolgt von Wisenten, Auerochsen, Bären, Rentieren, Mammuts und Hirschartigen. Menschendarstellungen sind meist nur stilisiert dargestellt. Daneben gibt es abstrakte Abbildungen, die sogenannten tektiformen (von lat. tēctum = Dach) bzw. dachförmigen Zeichen.
Sie krabbelten auf allen Vieren hinein, mit dabei waren Lampen, die gefunden wurden, mit Tierfett gefüllt und mit Wacholderzweigen entzündet. Frisch hineingeritzt waren sie viel deutlicher sichtbar als heute, denn der frische weiche Kalkstein zeichnete sich deutlich weiß ab. Die Schatten, die durch das flackernde Licht geworfen wurden, mussten viel lebendiger gewirkt haben, als heute.
Es muss eine sehr stille, meditative Stimmung geherrscht haben, denn es war nur möglich hintereinander in die Höhle zu kriechen. Vielleicht war es tatsächlich immer nur einer, der sich in die Tiefe des Berges vorwagte, und hier auf eine sehr intime Art mit den Tieren kommunizierte. Wie in einem Traum muss die Dunkelheit auf diese Menschen gewirkt haben.
In der anderen, die vergleichbar schmal ist, doch sich die Höhle nach oben hin verliert, weil es 8 Meter hinaufgeht, verlor sich die Bedeutung des Menschen auf andere Art und Weise. In Font-de-Gaume ist es nicht nur die Tiefe, die man ahnen konnte, die Tiere erhielten Farben, sie wurden größer und sie traten auch miteinander in Kontakt. Der Hirsch, der sich zu äsenden Hirschkuh hinabbeugt, überraschte mir auf Grund der Zärtlichkeit, die dieses Bild ausstrahlt. Die Fackeln oder Fettlampen können dies gar nicht ausleuchtet haben. Sie haben immer nur im direkten Umkreis sehen können. Und weil es nicht unheimlich genug ist, haben sie noch einige Meter oberhalb des Bodens Tiere abgebildet, die ich als Besucherin gar nicht sehen kann. Das bedeutet sie haben Gerüste gebaut oder sind auf den Schultern eines anderen gestanden. Die Art und Weise, wie hier mit den Tieren kommuniziert wurde, fühlt sich völlig anders an. Es ist ein Unterschied, ob ich liegend die Tiere verkleinert in die Wände kratze, oder ob ich aufrecht stehend, vielleicht noch erhöht, die gewaltige Kraft eines Büffels auf die Wand sprühe, mit der Farbe in meinem Mund. Es ist so als ob ich die Energie und Lebendigkeit in mich aufnehmen könnte.
Es war Font-De-Gaume, wo ich nochmal eine Führung auf English mitmachte. Sie hat mich nicht so beeindruckt wie andere. Und auch die englische war nicht so gut. Vielleicht nehmen sie viel von der Impression des Ganzen, da auf den verkauften Bildern die Objekte viel deutlicher zu sehen sind, als in der Höhle selbst. Deshalb wollte ich auch nochmal hinein. Leider erschien mich das viel mehr an eine Verkaufsveranstaltung zu erinnern. Wenn mir ein anderer sagt, dass etwas gewaltig ist und ich beeindruckt sein muss, stiehlt er mir mein Gefühl. Sie zeichnen mit einem Pointer die Gestalt der Tiere nach und ich konnte mir nicht helfen, es enthielt viel mehr von der Überraschung dieses Tier zu erkennen, als von dem Faktum, dass hier ein Mensch einen Büffel oder einen Hirsch darstellen wollte.
Doch die riesige Höhle in Rouffiniac überfiel mich völlig unerwartet. Es ging tief hinein, viele Abzweigungen machten es zu einem Abenteuer für sich. 700 Meter sind wir mit einer kleinen Eisenbahn hineingefahren. Überall Abzweigungen, Löcher, die ins schwarze tiefe Unbekannte gingen, die Ausspülungen, die ein Fluss, viele Jahre bevor ein Mensch die Höhle betrat, als bizarre Bilder zeichnete, nahmen mir den Atem. Und dann taucht plötzlich eine Herde von Mammuts auf, die sich hintereinander auf unbekanntes Land zu bewegten. Menschen stiegen in diese Untiefen hinab, um unten weitere Bilder zu zeichnen. Und in dem heute riesigen Saal lagen sie am Rücken, zeichneten Tiere in realistischer Größe, die sie nicht einmal als Ganzes sahen, denn der Abstand zu Decke, war nur sehr gering. Während in Combarelles die seitlichen Wände benutzt wurden, ist hier auch die Decke als Bett für diese Tierbilder verwendet worden. Auf dem Rücken liegend hat ein Mensch mit Manganoxid die Umrisse wirklichkeitsgetreu zeichnen können, ohne die großen Tiere jemals komplett erfassen zu können, weil es nicht möglich war, einen Schritt zurückzugehen.
Mein Entschluss Pech-Merle zu besuchen war richtig. Hier fand ich erstmals nicht nur einen Saal. Es war kein Ort, den einer allein aufsuchen musste, hier war Platz für viele. Die Fußabdrücke von einem Jugendlichen und kleinen Kindern, die hier konserviert wurden, geben davon Zeugnis. Als uns die Höhle gezeigt wurde und das Echo der Führerin den Raum erfüllte, legte bei mir einen Schalter um. Ich hörte Trommeln und Stimmen, die hier die Winkeln und Ecken ausfüllten. Zu den Bildern gesellten sich die Stalaktiten und Stalagmiten, die den Raum zusätzlich verzierten. Hier war endlich auf Platz für Bewegung und Tanz. Hier waren es andere Dinge, die zu besonderen Erfahrungen einluden. Ob Manganoxid tatsächlich, wenn es mit Spucke versetzt, bewusstseinsverändernde Zustände auslöst, wie ich wo lesen konnte, weiß ich nicht. Doch die zahlreichen Umrisse von Händen, die damit erzeugt wurden, lassen diese Idee glaubhaft erscheinen.
Höhlen waren Plätze, die nie als Wohnorte dienten. Anders als in den Abri oder Überhängen, wo unglaublich viele Überreste des Alltagslebens gefunden wurden, waren dort kaum vorhanden. Es waren besondere Stellen, die zu besonderem einluden und aufforderten. Tief, viel tiefer als ich mir je vorgestellt habe, sind Menschen in diese Höhlen hinein und haben dort etwas hinterlassen, das wir heute nur interpretieren können. Das Geheimnis wird verborgen bleiben. Doch da diese etwas so Besonderes sind, werden es für mich spirituelle Orte sein. Orte, wo man mit einer anderen Welt Kontakt aufnahm. Was immer sie dort erlebten, es wird ihnen im Alltag eine Hilfe gewesen sein. Denn wäre es nicht so gewesen, wozu hätten sie diese Unannehmlichkeiten auf sich genommen. Es wird einen Nutzen gehabt haben. Vielleicht sind wir diejenigen, die etwas verloren haben, da wir nicht mehr fähig sind, auf diese Hilfe zurückgreifen zu können.
Wer von uns würde tief hinabsteigen, um ein Bild eines Computers oder eines Autos zu zeichnen. Wieviel Gegenstände unserer Welt haben eine tiefere Bedeutung und wären so wichtig für uns, dass wir darauf vertrauten, dass sie mehr als “nur” ein Gegenstand sind? Dass sie uns mehr geben könnten, als das, wozu wir sie konstruierten? Wir glauben in einer reicheren Welt zu leben, doch ist es wirklich so? Verspricht die Realität mehr als unser Geist und unsere Fantasie und Träume?
Ich hätte gern mehr Zeit für mich gehabt, aber das ist aus verständlichen Gründen nicht möglich. Für mich sind es spirituelle Orte und der alltägliche Touristenstrom erlaubt es nicht, sie auf eine andere Art zu erfahren. Es ist nicht möglich, so vielen Menschen diese Zeit zu geben.
Welche Hintergründe hinter den Tieren, den sexuellen Abbildungen und abstrakten Motiven stehen, weiß ich nicht. Ausser Respekt und Achtung bleibt mir nicht viel zu sagen.