Meine Franzosen

Mein Frankre­ich entspricht nicht dem, was ich von außen gel­ernt habe, was Fernse­hen und Zeitun­gen mir erzählten, mein Frankre­ich ist anders. Das war nicht immer so, denn als junger Men­sch war ich natür­lich in Paris. Aber auch das hätte mir Zeichen genug sein dür­fen, denn wo ver­brachte ich meine Zeit: vor dem Cen­tre George Pom­padou, nicht drin­nen. Draußen, denn dort spielte sich das Leben ab. Nicht nur die üblichen Straßen­musik­er waren dort zu find­en, oder die selt­samen Karikatur-oder Por­trait­maler, alle möglichen Kün­stler tum­melten sich hier rum. Das gefiel mir. Das ist lange her. Damals hat­te ich vergessen, was mir Schreiben und Fotografieren bedeutet. Denn ich hat­te es ver­loren. Es gab eine Zeit, da ergab das, was ich schrieb, keinen Sinn für andere und manch­mal auch kaum für mich. Es war so, dass Worte mir nicht mehr halfen, mich mitzuteilen.

Das ist sehr lange her — mehr als 30 Jahre.

Und es war auch weit weg von meinem heuti­gen Frankreich.
Corinne, in deren fast leerem Haus ich sitze, war die erste, die mich hier­her ver­führte. Ach, warum halb leer? Sie zieht um nach The­ly, ein winziger Ort, kaum zu find­en, um den Traum, den sie, seit ich sie kenne, träumt, zu ver­wirk­lichen. Sie hat ihren Bauern­hof gekauft, und wird dort ihren spir­ituellen, magis­chen, ökol­o­gis­chen Garten endlich umset­zen kön­nen. Ihren Fre­und Piam habe ich noch immer nicht ken­nen­gel­ernt, denn der ist ger­ade mit dem ersten Laster unter­wegs nach Nor­den. Corinne ist Kün­st­lerin und vor allem, eine wun­der­bare Leben­skün­st­lerin. Bei ihr füh­le ich mich immer so ganz ganz, auch wenn sie immer ganz viel im Kopf hat und an vie­len Plätzen gle­ichzeit­ig ist. Aber sie hat die wun­der­bare Fähigkeit andere so sein zu lassen, wie sie sind. Was zur Zeit zwar etwas prob­lema­tisch ist, denn ihr Jüng­ster ist 17 und so wie Siebzehn­jährige nun mal sind. Und nicht für jedes Kind ist diese Art von Frei­heit geeignet.

Sie hat nie viel Geld, lebt öfters mal von Not­stand und wenn das Geld gar knapp wird, dann meldet sich jemand für eine Mas­sage. So habe ich sie auch ken­nen­gel­ernt: in Thai­land, als wir gemein­sam einen Mas­sagekurs besucht­en. Und auch dort erlebten wir Momente, wo unsere Herzen gemein­sam schlugen.

Sie war die erste, die sich bei mir meldete, als meine Mut­ter starb.
Immer wieder passiert es, dass ein­er von uns etwas erzählt und der andere ver­wun­dert ist, weil es ihm auch passierte. Es ist unglaublich viel Syn­chro­niz­ität in unser bei­der Leben, auch von den nicht so schö­nen Seiten.

Ich freu mich, dass ich ihr eine Hil­fe war. Während sie nun in ihr neues Haus fährt, bin ich Rich­tung Öster­re­ich unter­wegs. Ich bin schon sehr ges­pan­nt auf Thely.

Doch bevor ich zu ihr fuhr, wollte ich den Atlantik sehen. Und den bekam ich zu sehen durch Pierre. Pierre ist ein 68-Jähriger Pro­fes­sor aus Bor­deaux. Ein nor­maler Pro­fes­sor? Ach, nein, das würde nicht zu meinem Frankre­ich passen. Mit 49 beschloss er aus dem 10-stündi­gen Uni-All­t­ag auszusteigen und wenn es ihm beliebte, Büch­er zu schreiben. Wie Corinne pfiff er auf das, was heutzu­tage als “nor­males” Leben ange­se­hen wird. Da waren Lebensver­sicherun­gen, von deren Zin­sen er Geld bekam, in Bor­deaux lebten seine Eltern, die froh waren, dass der einzige Sohn endlich wieder zurück­kam, denn er war zulet­zt Pro­fes­sor in New Zealand, von wo er zwar zweimal im Jahr heim­fuhr, aber es war weit weg. Pierre war mein Gast­ge­ber, als ich in Bor­deaux couch­surfte. Couch­surf­ing: Diese geniale Erfind­ung, wo man in anderen Städten und Län­dern pri­vat bei Men­schen unterkommt!

Als Tourist bekommt man weltweit gle­iche Hotels mit gle­ich fre­undlichem oder unfre­undlichem Per­son­al zu sehen. Das Früh­stücks­büf­fet ist über­all gle­ich, die Zim­mer sind aus­tauschbar. Keinen Moment sehne ich mich danach.

Aber es ist viel aufre­gen­der fremde Men­schen ken­nen­zuler­nen. Ich liebe diese Erfahrun­gen und ich ver­suche über­all, zumin­d­est einige Tage so unterzukom­men. Ich lernte immer wieder Men­schen an ver­schiede­nen Orten von innen und außen geze­ich­net ken­nen. Es waren alle ganz beson­dere Men­schen. Und sie brin­gen immer auch Erin­nerun­gen zurück in mein Leben, was ich großar­tig finde.

So jet­zt muss ich unter­brechen, denn Corinne bere­it­et ihren Gara­gen­verkauf vor. Bet­ty hat mir das in Madi­son, Wis­con­sin gezeigt, wo am Woch­enende am Ende des Stu­di­en­jahres an diesem und jenen Eck ein Fäh­nchen oder Schild zum stöbern ein­lud. Bet­ty gehört auch zu meinen ganz pri­vat­en Schätzen.

Nun ich bin nicht von großer Hil­fe. Ich spreche kein Franzö­sisch und Corinne hat ihre eigene Ord­nung, die ich nicht stören mag. Aber sie ruft mich, wenn nie­mand da ist, damit wir plaud­ern können.

Die Men­schen, die ich ken­nen­lerne, haben ver­schiedene Dinge gemein­sam. Sie schätzen gutes Essen, sie lieben Kun­st, bei­des und jed­er auf seine Art. From­mage und Frais­es bekam ich bei überall.

Ich musste ger­ade wieder unter­brechen, denn die alte einäugige Katze wollte gestre­ichelt wer­den. Nun ist genug, doch schon stellt sich der Tigerkater an, hat aber lange nicht die Aus­dauer der anderen geplagten. Von der Straße höre ich jeman­den beim Klopfen von Steinen, wozu auch immer, und immer wieder begin­nt er zu sin­gen. Die Sonne ist warm, aber nicht zu heiß. Es ist Früh­ling in der Provence. Die Regen­t­age der let­zten Zeit sind vergessen. Und auch die Kälte, die mich mein wärm­stes Fließjäck­elchen in Bor­deaux aus dem Auto holen ließen. Den ganzen Tag bei 11 Grad und dann noch bei Regen nach­hause laufen. Woll­sock­en, warme Jog­ging­hose kamen ger­ade recht. Ich rech­nete nicht damit, dass ich die vie­len war­men Sachen brauchen würde, aber sie erfüll­ten gute Dien­ste. Für Mai ist es ein­deutig zu kalt gewe­sen. Auch wenn ich jet­zt auf der Ter­rasse unter der frischge­wasch­enen Wäsche sitze, und es lange nicht so gemütlich, wie vor ein paar Jahren ist, weil nur mehr das Notwendig­ste aus­gepackt ist, der Wind ist immer nich kühl. Das Dur­chat­men tut gut.

Inzwis­chen tröpfeln nur mehr vere­inzelt Men­schen in Corinne’s Garage und wir sitzen vor der ver­schlosse­nen Kirche ihrem Haus gegenüber und trinken Tee und essen die Kirschen und Erd­beeren, die wir vorher am Markt kauften.

Wir bei­de müssen darüber nach­denken, wie selt­sam es ist, dass sich unsere Wege immer zu beson­deren Zeit­en kreuzten. Kurz bevor wir uns ken­nen­lern­ten, starb mein Vater und ich ver­lor meinen Job, sie war ger­ade dabei sich von ihrem Fre­und zu tren­nen. Ich denke damals haben wir gemein­sam das erste Mal miteinan­der geweint. Wir stam­men aus der gle­ichen See­len­fam­i­lie, sagt sie. Das gle­iche Buch, das ich vor 10 Tagen für sie gekauft hat­te, hielt sie vor 3 Tagen in Hän­den und sagte, dass sie sich es kaufen müsse. Das sind die Gänse­haut­mo­mente in meinem Leben.

Marie-Jeanne war auch kurz hier, eine ganz reizende ältere Dame, die ich vor 5 Jahren bei Coco ken­nen­lernte, sehr erdig, sehr weise, ganz gelassen. Inzwis­chen kom­men immer mehr Fre­unde, von denen ich einige in den let­zten Jahren ken­nen­ler­nen durfte. Der Gara­gen­verkauf ist auch eine Möglichkeit sich zu ver­ab­schieden, so gibt es selb­st­gemacht­en Orangen­wein und andere Dinge zum Ver­wöh­nen. Die Deutsche, mit der ich Man­dalas malte und mit der ich über etwas ganz Trau­riges sprach, kommt noch vor­bei. Eine andere, bei der ich vor Jahren zum Grillen ein­ge­laden war, schaut auch herein.

Das Her­rliche hier ist, dass ich mich soviel mehr auf das Schauen und Wahrnehmen ver­lassen muss. Was erzählt mir die Kör­per­sprache? Vielle­icht ist mir nur alles so fremd, dass es mir fre­undlich­er erscheint. Aber das kann auch nicht sein. Beim Aut­o­fahren etwa spürt man, wo man unter­wegs ist, sobald es städtis­ch­er wird, wer­den die Aut­o­fahrer nervös­er und drän­geln. Hinge­gen am Land rund um Mon­ti­gnac, war ich immer wieder über­rascht, wie wenige Autos zum Über­holen anset­zten. Ich war let­ztes Jahr in Öster­re­ich am Land unter­wegs und fühlte mich wie eine Getriebene. Erst gestern Mar­seille im Rück­en, Niz­za und Mona­co vor der Nase, da waren die eili­gen teueren Autos, die es nicht erwarten kon­nten, wo anzukom­men, wo sie eigentlich schon wieder weg waren. Welchen Ort erre­ichen sie wirk­lich, wenn die Gedanken über­all sind nur nicht im Augenblick?

Die Garage wird noch eine Stunde offen sein, von 10 bis 19 Uhr. Vorher dachte ich mir, wie es bei uns wäre, wenn ich auf 2 Klappses­seln auf einem kleinen Platz sitzen würde, auf dem immer wieder Autos vor­beifahren. Es ist nur jet­zt eng gewor­den, weil Fre­unde ein­fach am Platz ste­hen blieben, so wird gehupt, das Auto ein wenig vorge­fahren, damit der andere vor­bei kann und dann wird weitergeplaudert.

Inzwis­chen kaufte ich noch Brot. Der Wind behagt mir nicht beson­ders. Der Mis­tral bläst seit Tagen kalten Wind aus Skan­di­navien und trotz Son­nen­schein frieren wir oft. Ich hätte nicht gedacht, soviel­mal Leute in Fließ­jack­en rum­laufen zu sehen. Aber windgeschützt kon­nte man die 17 Grad im Schat­ten, was in der Sonne doch viel mehr ist, genießen.

Gara­gen­verkauf ist zu Ende. Spät nach 10 Uhr Abend kommt Corinne’s Schwiegersohn und dessen Fre­und mit dem Laster zurück, mor­gen wird gepackt und die bei­den wer­den los­fahren. Corinne arbeit­et am Woch­enende bei einem Fes­ti­val der Natur in einem kleinen Örtchen auf­nahm Berg hin­ter Saint-Tropez.

Ps. Ich bin schon längst wieder in der Arbeit. Aber einiges ging mir noch durch den Kopf, einiges hat­te ich schon notiert, also ich schau mal. Wie lange es noch in meinem Hirn urlaub­smäs­sig rotiert.

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