Die Malereien, Zeichnungen, Gravuren, Ritzungen, Basreliefs, Reliefs beeindrucken mich zu tiefst. Während viele vor sich hin philosophieren, was der Hintergrund für diese Ausdrucksformen sei, bin ich noch beim Nachdenken, wie sie das überhaupt konnten.
Wenn ich an die Bilder in Le Toth denke, die Kinder anfertigten, dann ist jedermann klar, so schaut es aus, wenn man beginnt zu malen.
Aber so sehen diese prähistorischen Bilder nicht aus. Es sind keine Bilder von Anfängern, das ist nicht das erste Mal, dass diese Menschen hier zeichneten oder malten. Ich kann keines dieser Tiere so darstellen. Und nur weil ich etwas sehr lange beobachte, bin ich immer noch nicht fähig, es abzubilden. Das wäre ja so, wenn ich nur lange genug einem Opernsänger zu höre, lange genug mitsinge, dann würde ich wie er. Nichts da! So einfach geht das einfach nicht.
Die Beobachtung allein genügt nicht, um etwas wiederzugeben. Da muss geübt werden. Und zwar geduldig. Man konnte nicht einfach hergehen und das Blatt Papier wegwerfen, man konnte es auch nicht einfach ausradieren. Einmal geritzt, für immer geritzt. Einmal hin gesprüht, für die Ewigkeit gesprüht.
Um mit einem Zug ein Mammut vom Schwanz bis zum Rüssel authentisch in eine Wand zu ritzen, reicht nicht der Entschluss es zu wollen, auch nicht, dass ich das Bild eines Mammuts vor meinem inneren Auge sehe.
Diejenigen die diese Bilder fertigten, mussten vorher schon geübt haben. Geduldig und ausdauernd. Da wären wir wieder bei Zeit und Muße. Waren sie so getrieben, wie wir heute? War die Jagd so zeitraubend, dass für nichts mehr Platz war? Wohl nicht. Es musste Zeiten gegeben haben, wo anderes im Mittelpunkt stand.
Waren es also Künstler?
Auch das ist bei genauerer Betrachtung unrealistisch. Seit wann sprechen wir denn von Kunst? Aber waren es besonders begabte Menschen? Das vielleicht wohl. Menschen, die eine besondere Begabung hatten und diese auch pflegten. Das heißt sie übten. Kunst von Können. Vielleicht außerhalb, an Stellen, die heute verwittert sind oder vielleicht den nächsten Regen und Schneefall nicht überdauerten. Bis sie dann soweit waren, dass sie fingerfertig genug waren und sie an besonderen Stellen anbrachten.
Auch wenn Ritzungen keine bildhauerische Schwerstarbeit waren, sie gezielt und genau durchzuführen, ohne viele Korrekturen anzubringen, ist etwas Besonderes. Mit einem Stück Manganoxid mal schwungvoll einen Steinbock zu zeichnen, das soll mir mal jemand vormachen. Ich kann es nicht. Selbst wenn ich ein Buch zeichnen würde, käme es nicht wirklich überzeugend hinüber. Wie hat das jemand mal so schön gesagt, es ist mehr Ausdrucksmalerei oder Art brut.
Waren es Schamanen?
Wer sich schon einmal mit schamanischer Praxis auseinander gesetzt hat, weiß, dass es einer langen Schulung bedarf, bevor sie sich mit der Geisterwelt auseinandersetzten. Ob das die richtigen Gesänge, die wirkungsvollen Zeremonien, mit Trommeln, Musik jeglicher Art, schauspielerischen Darbietungen, Trance war. Auch hier ist es jahrelange Praxis, die einen erst zum Schamanen macht. Und ich spreche hier noch nicht von den Geheimnissen der Kräuter. Denn dass sie davon wussten, glaube ich. Nicht umsonst hatte Ötzi vor über 5000 Jahren den Pilz Birkenporling mit sich geführt, der eine antibiotische Wirkung hatte. Nicht alles was wir als Zauberei und Humbug klassifizieren, war nur Show. Es hatte auch Wirkung. So wie die Indianer durchaus Mittel gegen Syphilis hatten. Nur weil wir nichts darüber wissen, heißt es nicht, dass es nichts gibt. Wenn wir heute groß von Placebo sprechen, dann sollten wir vielleicht von unseren Selbstheilungskräften sprechen. Die können wir aktivieren und helfen uns beim Gesundwerden, aber eben nicht nur. Ob es nun eine Geisterwelt gibt oder nicht, will ich hier nicht diskutieren, aber dass die Seele Hilfestellungen annimmt, um wieder gesund zu werden, glaube ich. Auch wenn nicht alles mit naturwissenschaftlichen Methoden erklärbar ist, heißt es nicht, dass es diese Dinge nicht gibt. Vor nicht allzu langer Zeit war Magnetismus ein solches unerklärliches Phänomen. Egal ob Kräuter, Pilze oder moderne Medikamente, sie unterstützen uns, wenn unser Körper gesund werden will.
Ein Schamane ist also ebenso ein Spezialist, der besondere Fähigkeiten hat. So wie ich glaube, dass es Ärzte gibt, die einen besser unterstützen wieder gesund zu werden, wie andere. Denn Heilung ist mehr als nur ein Kraut.
Diese Gedanken führten mich zu Spezialisten.
Während das Anfertigen von Steinklingen und Beilen Fähigkeiten waren, die jeder beherrschen musste, weil sonst ein Überleben nicht möglich war, kann ich mir durchaus vorstellen, dass für diese speziellen Aufgaben wie das Anfertigen von Bildnissen und Objekten, und der Kommunikation mit der anderen Welt, besondere Menschen sich auserwählt fühlten. In der Ethnologie habe ich immer wieder von Schamanen gehört, die nicht begeistert waren, diesen Weg einzuschlagen. Durch schwere Krankheiten getrieben entschieden sie sich dafür. Nicht immer ist das, was man kann, ein leichter Weg. Vielleicht macht man es lieber, aber einfacher muss es nicht sein.
Wenn also ein Mensch, seine Fertigkeit ein Abbild eines Tieres anzufertigen, perfektioniert hatte, kam ein anderer Mensch, der die Fähigkeit erlangt hatte mit der anderen Welt zu kommunizieren, auf ihn zu und sie planten gemeinsam an einem Ritual tief drinnen in einer Höhle zu arbeiten. Nicht nur Kommunikation, sondern auch die soziale Kompetenz dieser Menschen gemeinsam etwas auszuführen, mag dahinter gestanden sein.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer allein sich dachte: Ach, heute geh ich mal ein paar hundert Meter tief in eine Höhle und male ein Mammut, aber so dass es keiner sieht und an einer besonders schwierigen Stelle, damit nur ich es sehen kann.
Für so ein schwieriges Unterfangen braucht es Planung und Zweck. Während die Bilder in den Abri oder Überhängen und Wohnhöhlen aus anderen Gründen angefertigt wurden, ist es bei Höhlen, die nicht im alltäglichen Leben benutzt wurden, ein anderes Ziel, das verfolgt wurde.
Ich bin davon überzeugt, dass es rituelle Handlungen waren. Was sie genau bezweckten, ob sie nun die Tiergeister beschworen oder andere Geister zu Hilfe riefen, ist reine Fantasie. Das werden wir nicht sagen können.
Als ich in Pech-Merle war, wurde mir bewusst, dass hier andere Menschen die Abbildungen anfertigten. Viele Bilder waren abstrakter, enthielten mehr Andeutungen als realistische Darstellungen. Sie waren anders als weiter nördlich im Vallé de Vézére.
Jede der Höhlen, in denen geritzt, gezeichnet, gemalt und gesprüht wurde, empfand ich anders. Es waren unterschiedliche Emotionen, die in mir hochkamen. Es gibt nicht den einen Zweck, den sie erfüllten. Meinem Empfinden nach waren sie unterschiedlichen Zwecken gewidmet. Gerade in Pech-Merle, das eine wunderbare Akkustik hat und herrliche Säle bietet, konnte ich förmlich die Trommeln und Gesänge hören. In Les Cambarelles, wo man nur auf allen vieren die Höhle erobern kann, wird es still, ein heimliches Zwiegespräch mit der Geisterwelt bietet sich direkt an.
Aber es waren besondere Fähigkeiten von besonderen Menschen, die nicht jedem zugänglich waren und nicht jeder fähig war auszuführen. Und dass ich mich nicht alleine so tief in eine Höhle vorwagen würde, steht noch auf einem ganz anderen Blatt. Mir war nicht bewusst, wie weit innerhalb sich viele dieser Bilder, Zeichnungen und Gravuren sich befinden. Mir ist nicht einmal klar, wie sie aus dem oft sehr verzweigten Höhlensystem wieder herausfanden, denn mein Orientierungssinn ist in unserer modernen Zeit ein äußerst beschränkter, auch wenn ich nicht überall das Navi brauche.
Und Spezialisten hatten sie. Auch wenn wir heute nur an Hand der Abschläge der Steinwerkzeuge feststellen können, dass es Begabtere und weniger Begabte gab, so wird es welche gegeben haben, die gut kochen konnten, die gut jagen konnten, die besser Spuren lesen konnten als andere, die früher die Zeichen des Frühlings lesen konnten, die Kleidung besser anpassen und langlebiger anfertigen konnten. Es gab immer schon Unterschiede zwischen Menschen. Unterschiede, die das Leben spannend machen, die aufregend sind und erst zum Übel werden, sobald sie verurteilen. Nur zur Erinnerung möchte ich einwerfen, dass es Kulturen gibt, wo Geisteskrankheiten als eine besondere Gabe gesehen werden, die eine außergewöhnliche Verbindung zu einer anderen Welt mit sich bringen. Schwarz-Weiß ist die Welt der Naiven, Shadows of Grey, jener der Ungläubigen, im Regebogen erstrahlt die Welt als Ganzes. Es ist eine Sache des Glaubens, wer dem widerspricht, glaubt einfach nur an anderes. Denn wissen tun wir beide es nicht. Falsch denkt jener, der rechthaben will.