Was haben die beiden gemeinsam?
Tja, das ist nicht so leicht zu erraten, denn sie erinnern mich an meine Großeltern: an den Vater meines Vaters und die Mutter meiner Mutter.
Meinen Opa habe ich nie kennengelernt und es waren immer nur Geschichten, die sich manchmal als falsch herausstellten. Er ist im Krieg gefallen. Doch wann und wo, hätte mein Vater gewusst, aber er sprach nicht über ihn. Und ich reimte mir anscheinend auch Geschichten zusammen oder hat es meine Mutter erzählt und nicht besser gewusst? Ich weiss es nicht. Ich hatte einmal älteren Männern zugehört und die waren in Russland. Vielleicht war das Anlass meiner Vorstellung er sei 1943 in Russland gefallen. Doch wenn mein Vater wütend war, dann wäre ich wie mein Großvater. Da ich aber mich recht gern habe, habe ich auch meinen Großvater zu lieben begonnen. Dazu kam, dass keiner etwas Gutes über ihn zu berichten wusste. Das wiederum machte mich wütend. Niemand ist nur schlecht. Selbst wenn er nur schöne Augen gehabt hätte.
Was blieb von ihm?
Er hatte meine Großmutter mit einem unehelichen Kind eines reichen Salzburger Bauern geheiratet. Eigentlich wäre er auch ein Bauer, er war der Älteste. Und um die oft kleinen Landwirtschaften zu erhalten, wurden sie nicht geteilt, es erbte nur einer. Mein Großvater hat also auf den Hof verzichtet und eine Frau mit einem unehelichem Kind geheiratet. Er wurde Maler und arbeitete unter der Woche irgendwo in Tirol. Aber worüber immer wieder gesprochen wurde, war, dass mein Vater und seine Schwester ihn am Freitag aus der Wirtschaft holen mussten, weil er sonst alles vertrank. Mehr war hier als Information nicht herauszuholen: Wie alt sie waren? Wie spät es war? War er wirklich stocktrunken oder war er nur am Ende der Woche ein Bier trinken? Doch das Schlimmste kam noch, er hatte Bruchholz im Wald gesammelt, doch der Wald war nicht seiner. Waldbesitzer verstehen keinen Spass. Obwohl heute der Wald rund um Innsbruck lange nicht so “ordentlich” aussieht wie noch vor 30 Jahren, doch verboten ist es auch heute noch. Aber es ist auch verboten in Frankreich, auch wenn für den Eigenbedarf durchaus ein Auge zugedrückt wird, hat mir Pierre erzählt. Mein Großvater wanderte ins Gefängnis. Dies war eine Riesenschande. Als mein Vater wieder einmal sehr wütend auf mich war, weil ich
seinen Geburtstag vergessen hatte und erst 2 Tage später gratulierte, hat er mir einen Brief geschrieben, wie enttäuscht er von mir ist, wie bei seinem Vater. Da schrieb er mir davon. Ich dachte nur, wenn mein Großvater nur annähernd so schlimmer Dinge tat wie ich, dann kann er nicht ganz so schlimm gewesen sein. Damals erfuhr ich, dass mein Großvater 1945 knapp vor Kriegsende im früheren Jugoslawien gefallen ist.
Mein Großvater hieß Romed.
Als ich bei der Rückreise im Trentino schlief, erzählte mir, die Tochter der Wirtin, dass ein Wallfahrtsort in der Nähe sei. San Romedio, der Heilige nach dem mein Großvater genannt wurde. Er wurde angeblich in Thaur, einem kleinen Dorf in der Nähe von Innsbruck, im 7. oder 8. Jahrhundert geboren. Und da es damals noch nicht Tirol hieß, wanderte er nach Rom und nach Trient und schien sich nicht sonderlich um anständige Landesgrenzen zu kümmern. Vielleicht war er
auch ein Adeliger aus Thaur. Ist das wirklich wichtig? Die Einsiedelei wurde errichtet, die Leute pilgern heute noch hin und danken für gesunde Kinder und die Rettung bei furchtbaren Unfällen. Als Romedius alt war, wollte er den Bischof in Trient besuchen. Als ein Bär sein Pferd aufgefressen hatte, befahl er den Bären zu satteln und ritt auf diesem ins Tal. Heute lebt dort die Mutter des Problembären “Bruno”, den die Bayern erschossen, aber da ich es nicht so gern habe, eingesperrte Tiere zu sehen, bin ich sie nicht suchen gegangen.
Ich glaube, mein Vater hat da etwas vermischt, vor 30 Jahren habe ich ihn einmal gefragt, ob er wisse, wo unser Name herkommt. Mein Geburtsname ist ein alter typischer Tiroler Name, Jennewein. Doch was er mir erzählt hat, passt besser zu San Romedio. Das muss ihm mein Grossvater erzählt haben. Eine schöne Geschichte, die von meinem Opa zu meinem Papa zu mir gekommen ist.
Hier zündete ich noch eine Kerze an für meine Vorfahren, es ist der letzte Tag meiner Reise. Was für ein wunderbarer Abschluß!
Als ich das Kloster verließ, war ich erstaunt ein Bild von Andreas Hofer hängen zu sehen, der dort auch als Verteidiger gefeiert worden. Darunter ein Kranz der Welschtiroler Schützenkompanie, eine der unheimlichen Einrichtungen meines Heimatlandes sind deren Schützen.
Ich wollte es genauer wissen — die Schule ist gar zu lange her — Welschtirol, was ist das nun wirklich? Es ist das heutige Trentino (und ein bisserl was dazu) war ab 1200 Teil der Grafschaft Tirol: Nord‑, Süd‑, Ost- und Welschtirol. Ab 1365 kam diese Grafschaft an den nächsten Verwandten der letzten Gräfin von Tirol, Margarete Maultasch, dem Habsburger Rudolf dem Stifter. Dieses Tirol blieb erhalten bis zum Ende des 1. Weltkriegs, wo Südtirol und das Trentino an Italien gingen.
Wer sind diese Schützen und was verteidigten die Schützen gegenüber Napoleon? Ich weiß noch wie ich in Korsika darauf angesprochen wurde, denn Tirol widerstand Paris so wie die Korsen Widerstand gegen Frankreich übten. Es waren die Rechte der freien Bauern, die sie verteidigten. Doch nicht alle waren frei, nicht alle waren Besitzer eines Bauernhofes. Nur nichts Neues! Weder von den Bayern, noch von den Franzosen, egal ob gut oder schlecht. Ein ziemlich stures Volk! wehe dem, der nicht dieser Meinung war.
Das führt mich zu meiner Oma, eine Südtirolerin. Sie und mein Opa heirateten erst spät, sie gehörten zu jenen Bauernkindern, die leer ausgingen. Da war es nicht so leicht Kinder durchzufüttern, trotzdem bekamen sie 9. Bei meiner Mutter war sie 40 und meine Mama, war mitten drinnen in der ganzen Kinderschar. Meine Großeltern sahen sich als Tiroler, sprachen Deutsch und waren sehr gläubige Menschen.
Als in Südtirol unter Mussolini nur mehr in Italienisch unterrichtet wurde, gingen sie mit ihren Kindern nach Innsbruck, denn ein Bruder lebte bereits in Nordtirol. Und mein Großvater sah sich nicht als Italienier, er kämpfte als Kaiserjäger im 1. Weltkrieg und er hatte nichts, was er in Südtirol zurücklassen hätte müssen. Doch dort hätte er seine Sprache verloren. So wurden meine Großeltern Südtiroler Optanten. Es hatte nichts mit Hitler zu tun, sondern mit ihrer Vorstellung ihres Lebens.
In dem Kloster fand ich dann diese 4 Damen. Von Katharina, Barbara und Margarete wußte ich, dass sie auch als 3 Beten gelten, die man in Südtirol oft auch auf Häusern findet, als Ambet, Borbet und Wilbet. Die Ursula ist im katholischen Raum als 4. Jungfrau dazu gekommen. Die drei Madeln sind in vielen Kulten vorhanden, was sie einst symbolisierten, ist offen. Ich mag die Vorstellung der drei weisen Frauen, der Jungfrau, der reifen und der alten Frau. Sie dienen als Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens. Sie erinnern mich aber auch an diese tiefe, stille Volksgläubigkeit meiner Großeltern.
Meine Großeltern haben meiner Mutter auch dieses Beten beigebracht, das sie solange sie konnte, wie ein Mantra pflegte. Ich bewunderte es und beneidete sie, dass sie auf diese Stütze in Zeiten der Not zurückgreifen konnte.
Was ist nun mit der Mona Lisa? Ich habe in den letzten Tagen einen Artikel über sie gelesen und plötzlich war mir klar, warum ich einerseits das Lächeln nie verstand und es mir andererseits so vertraut war. Ihre Art zu lächeln, entsprach dem Lächeln meiner Oma. Still, zurückhaltend, einfach, demütig, das Leben so nehmen, wie es kommt. Es gibt nichts Aufregendes, aber doch einiges, was ich lernen kann.
Meinen Großeltern sei dieser letzte Tag meiner Heimreise gewidmet.