Mehr als 30 Jahre ist es her, als ich das erste Mal in Asparn an der Zaya war. Damals bei einer Exkursion eines Studiums, das heute Kultur- und Sozialanthropologie heißt und nicht mehr Ethnologie wie zu meiner Zeit. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Manchmal sage ich noch immer Völkerkunde und es sind die seltsamsten Blicke, die ich ernte. Am liebsten wäre es mir, von Menschen zu sprechen und ihren verschiedenen Kulturen. Aber auch da bleibt der Erklärungsbedarf nicht aus, wenn man den Begriff genauer ansieht. Egal.
Jeder Schritt, besser zu verstehen, wie alles lebt, führt dahin, toleranter zu werden. Es hilft zu begreifen, dass Unterschiede zum Leben gehören und sie das eigentlich besondere am Leben sind.
Ich bin also morgens von einem modernen Urnengräberfeld nach Asparn an der Zaya aufgebrochen. Einem Friedhof von dem nichts, aber absolut nichts übrig bleiben wird, zu einem Museum, wo mühsam Überreste aus weit vergangenen Tagen zusammengetragen werden. Was für ein Widerspruch!
Der oberste Stock des Schlosses ist der ältesten Zeit gewidmet. Unentschlossen begann ich meinen Rundgang und auch im Nachhinein kann ich nicht sagen, ob der Weg ein zeitliches Muster verfolgte. Es waren mehr die Objekte, die sich zusammenfanden, Grüppchen bildeten und zu Themenkreisen zusammengestellt wurden. Doch ich will immer mehr. Ich will Geschichten. Einzelne Teile, deren Bindeglied „Jungpaläolithikum“ heißt, ist mir zu wenig. Schließlich umfasst jene Zeit einen Rahmen von über 30.000 Jahren, damals als die ersten anatomisch modernen Menschen Europa betraten. Also suchte ich und wurde nicht enttäuscht.
In den letzten Jahren konnten in Niederösterreich die ältesten Fundschichten der ersten Europäer in Willendorf nachgewiesen werden. Menschen kamen an diesen Platz, lange bevor Willendorf gegründet wurde. Vor 43.500 Jahre lagerten sie in der Wachau (Das ist der Bericht der Grabung: Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type environment). Damit ist klar, dass sie mindestens einige tausend Jahre zusammen mit Neandertalern in dieser Region lebten. Neun markante Schichten konnten Archäologen feststellen, die von wechselndem Klima erzählen. Also Schichten, die dick genug waren, dass sie noch heute herausstechen. Wie herausragend dies ist, wurde mir erst klar, dass die ältesten Knochen außerhalb Afrikas 44–46-000 Jahre sind, gefunden in Sibirien.
Es muss ein guter Platz gewesen sein, zum Lagern und sich für einige Zeit niederzulassen. Das Land rundherum Steppe, geprägt von Gräsern aber noch viel mehr von Kräutern wie Wegerich, Beifuß, Schafgarbe, Chrysanthemen, Kuhschellen und Silberwurz, Mose und Flechten bildeten Polster, und Heidekrautgewächsen brachten hin und wieder etwas Farbe in die Landschaft. In den Flusstälern wie Donau, Thaya oder Krems gab es Nadelwälder, mit Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen, schreiben die Wissenschaftler. Das war neu für mich.
Bisher hatte ich immer die Vorstellung einer Steppe ohne Bäume gehabt, aber ich habe mir meine Bilder von der Prärie in den USA nochmals angeschaut, und gesehen, dass es in den weiten Flächen immer wieder Bäume gibt.
Die meisten Quellen berichten nie von Bäumen, die Steppe wird als reine Graslandschaft beschrieben. Ich begann nach Klimadaten zu suchen, weil mir nicht klar war, welche Unterkünfte sie gehabt haben könnten. Aber Bäume und Mammutknochen geben gute Stützen ab, ob sie nun ähnlich wie ein Tipi (das wir klassisch als Indianerzelt ansehen, auch dies ist eine Unterkunft von Präriebewohnern, also Menschen, die in einer Steppe wohnen) oder ein Wigwam (ein Kuppelzelt) oder der Kote, der Behausung der Samen (die genetisch gesehen, mit diesen ersten Wildbeutern noch am nächsten verwandt sind), aussahen, werden wir nie erfahren.
Immer wenn es kälter wurde, deckte der Löss alles immer wieder sanft zu, somit konnte es bis heute erhalten bleiben. Ich frage mich, wie lange es braucht, bis eine solche Schicht sich bildet. Wenn ich meinen Balkon nicht kehre, bildet sich eine dünne Sandschicht, kaum sichtbar. Selbst wenn der Wind aus der Sahara Sand hereinweht, dann würde es doch lange Zeit brauchen, bis sich 10 Zentimeter dicke Schichten bilden. Bis zu 40 Meter dicke Schichten werden in Krems gemessen. Die Schichten können aus jenem Grund beschrieben werden, weil sie unterschiedliche Färbung aufweisen. In sehr kalten Zeiten ist es reiner Lös, sehr hell, und in allen wärmeren wurde die Erde dunkler. Als die aktuelle Warmzeit begann, konnte der helle Löss in die dunkle, sehr fruchtbare Schwarzerde umgewandelt werden. Kalt war es damals,die Temperaturen im Sommer so wie jetzt im späten Herbst. Bis 20° sollen es an einem Hochsommertag erreicht haben, allerdings sollen die Winter nicht so hart, wie ich erwartete hatte, gewesen sein. Doch das Klima war nicht über mehrere Jahrtausende gleich. Es war manchmal wärmer, manchmal kälter. Meine Bemühungen, eine Grafik über das Auf und Ab der Temperaturen für genau jene Zeit zu finden, musste ich aufgeben. Ich wollte ein Gefühl für die wechselvollen Temperaturen bekommen, aber ich fand keine Tabelle für diese Zeit. Ich weiß nur, dass es vor 20.200 Jahren erheblich kälter wurde, bis vor 11700 Jahren (9.700 v.Chr.) die jetzige Warmzeit begann.
In der Ferne mussten sie es weiß glitzern gesehen haben, die vergletscherten Alpen waren nicht weit entfernt: nur 40 km waren es bis zu den ersten Gletscherzungen. Manche sagen, dass sie die Flusslandschaften im Sommer mieden, denn so wie heute im Norden Gelsenschwärme unerträglich werden können, wäre es damals am Fluss auch gewesen. Im Winter war die Donau zugefroren. Sie konnten auch auf die andere Seite wechseln. Da es in den Eiszeiten trockener war, war das Wetter nicht schlecht. So konnten sonnige Wintertage durchaus angenehm sein.
Die Felder, die mich im Weinviertel umgaben, helfen mir bei der Vorstellung, wie die Landschaft von damals aussah. Sie erinnern mich aber auch daran, wie sehr in der Zwischenzeit der Mensch die Landschaft verändert hat, kein Fleck blieb unberührt: Kulturlandschaft ist sie geworden. Die Vorstellung einer Steppe fällt hier um Mistelbach zumindest leichter, als in der Wachau mit ihren Marillenbäumen und Weinstöcken. Als ich vor einigen Jahren in Willendorf spazierte, versperrten Büsche und Bäume die Sicht. Aber ich werde noch einmal dort hinfahren, um zu schauen, ob ich mich doch ein wenig in diese älteren Zeiten zurückversetzen kann.
Damals zogen Tiere wie Mammuts oder Rentiere in Herden über die sanften Hügel, sie fanden in dieser Kargheit noch immer genug Futter. Mammuts waren auch die ersten Funde im 15. und 16. Jahrhundert, die in dieser Gegend gefunden wurden. Auch wenn auf dem Bild Rinder grasen und man sich die Leitungen wegdenken muss, kann es von der Ferne so ähnlich ausgeschaut haben.
Diese ersten modernen Europäer waren Jäger und Sammler und aßen viel Fisch, manche Untersuchungen ergaben, dass bei einzelnen untersuchten Menschen 40–60% der Nahrung aus Fisch bestand. Sie waren dunkelhäutig und hatten blaue Augen, das sagen uns die aktuellen genetischen Analysen (siehe Film untern mit einem Vortrag von Johannes Krause). Das muss für uns heute, sehr fremd aussehen, wir kennen keine blauäugigen Schwarze.
Die genetische Herkunft der Europäer: Migration in der Vorgeschichte
Sie lebten länger in dieser Region, als wir und alle später Ankommenden. Die Wachau musste schon damals freundlicher als andere Gegenden gewesen sein. Die hellere Hautfarbe wurde evolutionär erst bei den Ackerbauern zu einem Vorteil und setzte sich damals durch, da die bevorzugte Pflanzennahrung zu wenig vom wichtigen Vitamin D enthielt.
Eine Vitrine widmete sich Frauenfigurinen, die im Raum Niederösterreich gefunden wurden.
Ich möchte mit der berühmtesten alten Österreicherin beginnen, der Venus von Willendorf, auch wenn man sich hier ihr nicht wirklich widmet, gehört sie für mich unverzichtbar dazu. Sie hatte ich vor kurzem im Naturhistorischen Museum in Wien besucht. Aber wie so oft, ist für mich ein Objekt, allein für sich gesehen, recht blutleer. Ich merke mir weder, wann es hergestellt wurde, noch irgendwelche anderen Details. Es sind diese speziellen Momente, die mich reizen, mir ein Bild zu malen. Selbst die Grafik, die ich schon in Frankreich sah, die auf einer großen Landkarte die Fundplätze verschiedener Figurinen zeigen, erklärte mir zu wenig. Es gibt mir ein Gefühl der Gleichzeitigkeit, doch wurden diese kleinen Frauenfigurinen über mehrere 10.000 Jahre lang hergestellt. Und ich habe schon Schwierigkeiten mir eine Dauer von 2000 Jahren vorzustellen. Zu dieser Zeit waren die Römer in ganz Europa und dem Mittelmeerraum unterwegs, das fühlt sich unendlich lang an.
Die Willendorferin ist aus Oolith, einem Kalkstein aus der Brünner Gegend, wie auch andere dort gefundene Gegenstände aus Feuerstein, der auch von dort stammt, belegen. 136 Kilometer Luftlinie oder 32 Stunden zu Fuß, wie mir Google Maps verrät, also eine mehrtägige Wanderung muss es gewesen sein. Für uns schwer vorstellbar, wie Menschen damals zu Fuß in einem so weiten Raum umherzogen. 29.500 Jahre alt ist die kleine 11 cm große Lady, das ergaben die neuesten Analysen der Schicht, in der sie gefunden wurde. Mehr als 10.000 Jahre nach den ersten Ankömmlingen wurde sie hergestellt.
Welche Bedeutung weibliche Figurinen haben, können wir heute nicht mehr feststellen. Aber ich verstehe, dass die Objekte klein waren, denn so konnte man sie mitnehmen. Wenn du mit deinem ganzen Hab und Gut immer wieder aufbrichst, um den Herden zu folgen oder ein klimatisch günstigeren Ort aufzusuchen, und du alles tragen musst, dann werden Gegenstände, die keinen praktischen Nutzen haben, sondern einen kulturellen Hintergrund aus welchem tieferen Grund auch immer, eine Größe haben, die unter diesen Umständen vernünftig ist. Eine lebensgroße Statue würde simpel keinen Sinn ergeben. Und ich verstehe ja, dass sie auf eine besondere, aber sehr moderne Weise ausgestellt werden, aber es ist ein sehr distanziertes Aufeinandertreffen. Als ich sie nun diese Kopie nun zum ersten Mal in meine Hand nahm, und sie nicht nur als Objekt betrachtete, war ich seltsam berührt. Ich fühlte mich verbunden mit der Erde und allem, was unser Leben ausmacht. Ich werde sie wohl in Zukunft öfter in die Hand nehmen.
Schade, dass die Willendorferin keinen Namen bekommen hat, wie die Fanny von Stratzing, diese wird manchmal auch Venus vom Galgenberg gerufen, aber Fanny gefällt mir besser. Fanny, weil sie aussieht wie eine Tänzerin und man dachte an Fanny Elßler. Den Arm nach oben streckt, sieht sie aus, als ob sie sich um die eigene Achse drehen möchte. Sie ist aus Schiefer hergestellt.
Und sie ist noch ein Stück älter.
Ganze 6.500 Jahre.
Mit 36.000 gehört sie zu den Ältesten all dieser Frauenstatuetten, die in ganz Europa bis weit nach Russland hinein geschnitzt wurden. Dieser Zeitrahmen ist irgendwie gar nicht mehr vorstellbar.
Es muss immer wieder Zeiten des Überfluss gegeben haben oder Zeiten, wo es nichts anderes zu tun gab, in kalten Winternächten am flackernden Feuer vielleicht. Neben den geschnitzten Figurinen werden auch Fragmente aus Knochenflöten gefunden — in Niederösterreich wurde eine 19.000 Jahre alte, doch die älteste fand sich in einer Schicht, die auf 31–40.000 Jahre alt datiert wurde, in Deutschland in der Schwäbischen Alb am “Hohle Fels”. Wer schon mal geschnitzt hat, weiß, ganz so einfach ist es nicht. Viel mehr berührt mich, dass sie Musik gemacht haben, wie immer sie auch geklungen hat. Und heute denken wir darüber nach, die künstlerischen Fächer in Schulen gestrichen werden. Dabei sind es gerade diese Dinge, die mich so berühren, weil sie uns Menschen so auszeichnen.
Muscheln und Zähne werden als Anhänger für Ketten verwendet, mit Löchern versehen an ein Band gehängt als Schmuck mit einer persönlichen Bedeutung. Schmuck alleine erscheint mir zu trivial. Es wird nicht nur schön, sondern auch mit Inhalt versehen sein. Reste von rotem Ocker (Rötel) wird auf vielen Gegenständen gefunden, Rötel verwendeten auch Neandertaler. Wozu wissen wir nicht, es wurden nur Farbenreste gefunden.
Auch die Venus von Willendorf war ursprünglich mit diesem roten Pulver eingefärbt worden, oft enthalten Muschelschalen diesen Farbstoff, vielleicht dienten sie als kleiner Farbtopf. Das Leben war also nicht nur vom reinen Überlebenskampf geprägt, wie man es sich gerne vorstellt. Es wurde gefeiert, Musik gemacht, mit Geschichtenerzähler sind sie am Lagerfeuer gesessen, jene Menschen, die die ersten Mythen entwarfen, die halfen, die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Ich mag sie nicht Schamanen nennen, aber Menschen, die vielleicht spirituelle Führer waren. Menschen machten sich hübsch mit Perlen aus Muscheln und Elfenbein. In Russland wurde ein 30.000 Jahre alte Gräber gefunden, wo ein Mann mit 3000 Elfenbeinperlen, die vermutlich Teil der Kleidung waren, lag. Sie verwendeten Farben. Vermutlich auch Schwarz der Kohle. Rötel war ein Stoff mit tiefem Hintergrund sein, Rot wie das Blut, vielleichten Symbol für das Blut der Erde.
Ein Grab zweier Säuglinge wurde in Wachtberg/Krems ausgegraben, das 32.000 Jahre alt ist. Ein Video der APA berichtet von den Ergebnissen. Berührt hat mich, wie sie die beiden gegenüber lagen, als ob sie schlafen würden. Sie wurden dick mit Rötel eingehüllt und vorsichtig mit dem Schulterblatt eines Mammuts abgedeckt. So konnten sie über diese lange Zeit erhalten bleiben.
Die Kindersterblichkeit war groß und gehörte trotz allem nicht zum Alltag. Menschen trauerten. Skelette von Kindern können nur an Begräbnisstätten gefunden werden, zu dünn sind die Knöchelchen, als dass sie so lange Zeit überdauern. Sie wurden mit großer Sorgfalt zum letzten Schlaf meist in Hockerstellung niedergelegt. Kleine Elfenbeinperlen zeigen, dass ihnen Wertvolles mitgegeben wurde, weil sie für die Gesellschaft einen Wert hatten. Sie werden wahrscheinlich bekleidet gewesen sein und eingehüllt in roten Ocker, der bis heute sichtbar ist.
Aus Feuerstein, auch Silex genannt, wurden Werkzeuge hergestellt. Auf irgendeiner Reise habe ich einen seltsamen Stein aufgehoben und mitgenommen, erst viel später sah ich andere, ähnliche und verstand, dass ich ein Stückchen Feuerstein mitgenommen hatte. Für mich ist es ganz besonderer Stein, weil er so wichtig für meine Vorfahren war.
Als dann vor 7000 Jahren die ersten Ackerbauern nach Europa kamen, lebten sie neben den Wildbeutern und sie bekamen Kinder. Sie begannen Kreisgrabenanlagen zu errichten. Davon nächste Woche.
Ich ahnte schon, dass ich irgendwann wieder einen Informationsoverload bekomme. Aber mein Puzzle geht weiter: