Wäre ich reich …

Ab dem 15. wird das Geld knapp, erk­lärt mir Pierre, ab dann ist am Fre­itag Nach­mit­tag, aber auch am Sam­stag wenig los im Super­markt hier in Bor­deaux. In Frankre­ich werde ich auf eigene Art und Weise an die finanziellen Krisen erinnert.

Ein­er­seits sind große Häuser in Bor­deaux teuer wie noch nie und doch halb so teuer wie in Paris. Kleine sind im Ver­hält­nis kaum leichter zu bekom­men und sie kosten gle­ich viel. Pierre würde gern sein großes Haus, dass an diesem und jenen Eck verän­dert wer­den müsste, um dem Schickim­ic­ki-Stan­dard zu entsprechen, gegen ein kleineres aus­tauschen. Ums gle­iche Geld. Es klappt nicht. _MG_6950

In Les Arcs, wo Corinne wohnt, sind Häuser, die vor zwei Jahren noch viel Geld bracht­en, schw­er zu verkaufen. Es sind tolle Häuser für Durch­schnitts­men­schen, nichts für Reiche. Doch Reiche kaufen sich etwas anderes, der Durch­schnitt kann sich solche Häuser nicht mehr leis­ten. Nicht nur Corinne, auch ihre kanadis­che Fre­undin und ihre Mut­ter wollen verkaufen. Corinne hat auf gut 1/3 verzichtet. Hinge­gen in so abgele­ge­nen Gegen­den wie The­ly im Zen­tral­mas­siv, wer­den einem die Häuser nachgeworfen.

Für Kün­stler wie Corinne, diese vie­len kleinen, die unser Leben ganz still bere­ich­ern, weil sie hier und dort ein Fest beleben, ist eine schwere Zeit. Denn jene, die sich das leis­ten kon­nten, geht das Geld aus. Selb­ständig wer­den? Chris­tine, eine Fre­undin Corinne’s, war selb­ständig, sie hat­te ein Geschäft und verkaufte lokale Pro­duk­te. Sie sper­rte let­ztes Jahr zu und muss nun noch immer zahlen. Mehr Mut zur Selb­ständigkeit? Damit das, dein Leben beherrscht? Sie ste­ht jet­zt mit Corinne und Claude am Stand, wo Kinder zum malen angeregt wer­den. Beim Mit­tagessen meinte sie, sie habe die Nase voll davon, auch wenn ihr ein ander­er Fre­und zure­det wieder selb­ständig zu werden.

Doch was hätte ich lieber? Ein Leben im Überfluss?

Dann würde ich in einem Hotel sitzen, würde nicht für Fre­unde kochen, würde nicht drei Tage mit einem Lit­er­atur­pro­fes­sor inter­es­sante Gespräche führen.

Ich hätte ein aus­tauschbares Hotelz­im­mer, mit aus­tauschbarem Essen, das über­all auf der Welt gle­ich schmeckt.

Ich würde nicht wis­sen, welch­es Essen Fran­zosen schätzen. Wie sie es geniessen gemein­sam zu essen.

Ich hätte keinen exzel­len­ten 12-jähri­gen Bor­deaux genossen und über ihn bei einem äußerst inter­es­san­ten Gespräch die Zeit vergessen.

Ich hätte keine Ahnung, wie Häuser in Bor­deaux oder in der Provence von Innen aussehen.

Ich hätte einen Urlaub gemacht, der nicht viel Unter­schied hätte, von einem Film über Frankre­ich. Hätte ich reiche Fre­unde besucht, hätte ich nicht kochen dür­fen, wir hät­ten nicht zu dritt in einem kleinen Apparte­ment geschlafen: denn Claude, weil sie nicht gerne alleine schläft, ist, obwohl sie zwei Türen weit­er wohnt, zu uns gekom­men und hat ihren Schlaf­sack aus­gepackt. Sie ist mehr als 60 Jahre alt.
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Bei reichen Fre­un­den hät­ten wir getren­nte Zim­mer, wir hät­ten nicht selb­st gekocht.

Ich wüsste nicht, auf was Fran­zosen in einem Super­markt acht­en. Ich wüsste auch nicht, wie Kau­ma­gen schmeckt (Auch ich habe nach­schauen müssen, um rauszufind­en, was das ist). Das ist so eine Art Vor­ma­gen bei Geflügel, das bei der Ver­dau­ung hil­ft, eine Spezial­ität Bordeaux.

Ich hätte wahrschein­lich nicht mit­bekom­men, das Bor­deaux die Ver­legerhaupt­stadt Frankre­ichs ist, mit vie­len und ein­er ganz riesi­gen Buch­hand­lung, aber auch ein­er Buch­hand­lung, die sich Ver­boten­em wid­met: der Erotik, nicht nur bil­ligem Schund, nein auch Erotik in der Lit­er­atur von namhaften Schrift­stellern ist zu finden.

Die gesamte Häuserzeile ist EINE Buchhandlung in Bordeaux.
Die gesamte Häuserzeile ist EINE Buch­hand­lung in Bordeaux.

Ich werde auch noch einen Beitrag in Wikipedia über einen Maler und Fotografen Bor­deaux’ schreiben, denn darüber hat Pierre geschrieben und auf Deutsch fehlt der Eintrag.

Für die Neugieri­gen unter euch: Pierre Molin­ier. Wer nun unanständig über seine Fotografien denkt, sollte sich Zeit lassen beim vorschnellen Urteil. Er hat bewusst, manche Mon­ta­gen als Man­dalas gemacht, welch­er Form von Schaman­is­mus er sich wid­mete, weiß ich nicht genau, aber ich kann es nachvol­lziehen. Auch wenn Sex­u­al­ität eine große Rolle in seinem Leben spielte, so war doch noch mehr.

Nichts davon hätte ich erlebt, wäre ich reich.

Seit ich meine Urlaube bil­liger gestalte, wer­den sie span­nen­der und aufre­gen­der. Wer ist nun reich­er? Der, der alles kaufen kann oder ich, der sein Leben gestal­ten kann. Ich hat­te früher anders Urlaub gemacht. Irgend­wie fühlt es sich wie ein Plas­tikurlaub an gegen die Tage, die ich nun erleben darf.

Ich bin dabei meine Bedürfnisse zu über­denken und zu reor­gan­isieren. Das lehrte mich mein Urlaub.

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