Immer wieder muss ich daran denken, wie verwirrt ich war, als ich bei „primitiven“ Völkern hörte, dass sie einen halben Tag damit verbrachten, sich ums Überleben zu kümmern. Anschließend hatten sie „frei“. Freizeit, um mit einander zu reden, zu singen, irgendetwas, das nicht zielorientiert ist zu tun. Wenn ich nun hier in der Dordogne die Höhlen aufsuche, kommt dieser Gedanke wieder in mir hoch. Auf der einen Seite wird von der harten Zeit gesprochen und ich will mir gar nicht vorstellen, wie man überlebt, wenn es draußen eiskalt ist, eben eine Eiszeit. Und dann gibt es Menschen, die sich tief in Höhlen hinein wagen, um dort Abbildungen an den Wänden anzubringen. Doch nicht nur dort finden sich Bilder, auch in ihren Wohnplätzen, die nie in einer Höhle sondern in einer Abri, einem Unterstand, einem Felsüberhang, einem Shelter. Hier wurden Siedlungsspuren gefunden.
Im Abri du Poisson wurde 20 Jahre nach dessen Entdeckung, als sich wieder mal jemand daran machte die Funde aus Steinen zu Geld zu machen, hinlegte, um sich eine Pause zu gönnen, den 1 Meter großen Lachs an der Decke entdeckte. Die Franzosen waren nicht interessiert und das Berliner Völkerkundemuseum sehr viel Geld (umgerechnet wären das heute 200.000€) bot. Als man versuchte, das Relief zu entfernen, schritt – mit Verzögerung das zuständige Französische Ministerium ein. Wie ein Rahmen ziehen sich die Meiselspuren rund um den Lachs.
Ein andere Gravur fiel dieser Arbeit zum Opfer, die wenigen Spuren lassen keine Deutung mehr zu,
Diese Abri wurde die erste prähistorische Fundstätte, die zu einem „Monument historique“ wurde, einem Denkmal, das unter besonderem Schutz und Unterstützung durch den Staat steht. Da der Überhang heute sehr feucht ist und deshalb von Moosen überzogen, hat man vor 100 Jahren die Decke begonnen übereifrig zu reinigen. Das rote Ocker, mit dem auch der Lachs eingefärbt war, ging dabei verloren. Nur an einigen Stellen kann man noch die roten Flecken erkennen. Diese Reinigungsaktionen fanden an einigen Höhlen und Abri statt, wo man glaubte, die Ritzungen seien das einzige und die Ockerspuren wurden als solche damals noch nicht erkannt.
Wie in Font-de-Gaume gibt es ein Handnegativ zu sehen, die mit Manganoxid und der Sprühtechnik an der Decke abgebildet wurde. Durch die Feuchtigkeit fielen von der Decke immer wieder mit rotem Ocker bemalte Stücke und erlauben so die Zuordnung, dass die Deckengravur und Malereien vor über 27.000 Jahren angefertigt wurden.
Der Lachs wird vielfach als männlicher eingestuft, sieht man aber auf die Abbildung von einem anderen Platz aus, nämlich unter der Hand stehend, kann man durchaus auch einen weiblichen Lachs sehen, dessen Bauch voll mit ihren Eiern ist. Heute gibt es dort keinen Lachs an der Vezére mehr, einerseits ist es zu warm und andererseits erlaubt der Zustand der Flüsse kein frohes Leben der Lachse mehr.
Diese frühen Menschen hatten also Zeit und Muße ihre Wohnplätze zu gestalten. Es lag ihnen daran, ihre Umgebung zu verändern. Es war Zeit genug vorhanden. Dabei darf ich nicht vergessen, dass es sich nicht um Wohnstätten handelt, die jahraus jahrein bewohnt waren, sondern immer nur zeitweilig als Unterschlupf dienten. Man zog um, als Jäger und Sammler folgten sie ihrem Essen. Dieses Bild vom ewig nicht nur Jagenden sondern auch Gejagtem, der nur an sein Überleben dachte, kann nicht stimmen. Es war Zeit vorhanden, Überflüssiges zu tun, sich der Muße hinzugeben, Zeit für sich zu nutzen.
So wie ich hier meiner Muße fröne. Oft genug ertappe ich mich, da und dort wäre noch eine Höhle oder Abri, die ich besuchen könnte. Doch ist mehr immer besser? Es sind wirklich noch eine Menge Plätze da. Klar wäre Bernifal einen Besuch wert, nicht nur wegen der interessanten Abbildungen sondern auch wegen des leidenschaftlichen Bauern und Eigentümers, der mit Begeisterung durch die Höhle führt und seine Interpretationen (die ich aber nicht verstehen würde) zum Besten gibt.
Es bedeutet mir aber viel, dazwischen Zeit damit zu verbringen, nachzulesen, nachzudenken, Gedanken festzuhalten und mir mein eigenes Bild zu schaffen. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich nur wenige Momente nichts tue. Ich bin tatsächlich beschäftigt, die Eindrücke zu verarbeiten, Bilder zusammenzustellen und mir ein eigenes Büchlein im Andenken an den Urlaub und den vielen Menschen, die hier lebten und durchzogen.